Vor zehn Jahren starb in Frankfurt Ignatz Bubis - Zeitzeugen erinnern sich an den Zentralrats-Vorsitzenden

Versöhnung durch Debatte

Als Ignatz Bubis vor zehn Jahren als amtierender Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland starb, verlor auch die jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main ihren Vorsitzenden. "Aber hier wie dort spüren wir beim Zusammenleben noch heute das einmalige Vermögen Bubis', in Debatten zu gehen und gleichzeitig zu versöhnen", sagt sein langjähriger Freund Salomon Korn, heute Vizepräsident des Zentralrats. Ein Rückblick.

10. Todestag: Ignatz Bubis (hier 1998 mit Kanzler Schröder und Präsident Herzog) (KNA)
10. Todestag: Ignatz Bubis (hier 1998 mit Kanzler Schröder und Präsident Herzog) / ( KNA )

Ganz ähnlich sind die Erinnerungen des Frankfurter FDP-Vorsitzenden Dirk Pfeil. "Seit Bubis' Zeiten gibt es bei der FDP in Frankfurt parteiintern keine Fraktionen mehr", rekapituliert Pfeil.

Im Frankfurter jüdischen Gemeindezentrum stehen heute noch die italienischen Sitzmöbel, für die Bubis vor mehr als 20 Jahren mit Korn über die Alpen gefahren ist. "Er hatte die Stühle irgendwo in Italien günstig aufgetrieben", erinnert sich Korn, der - wie seinerzeit Bubis - der jüdischen Gemeinde in Frankfurt vorsteht. "Er war eben auch ein Praktiker und ein Organisationstalent." Mehrere Hundert Telefonnummern habe Bubis im Kopf gehabt und eine "unglaubliche Kondition" besessen.

Auschwitz "durch Zufall" überlebt
Der 1927 in Breslau (heute Wroclaw) geborene Jude Bubis war 1945 nach Deutschland gekommen, nachdem er während der Nazi-Herrschaft Vater, Mutter und zwei Geschwister verloren hatte. Dass er den Holocaust überlebt hatte, nannte Bubis einmal einen "Zufall". Seit 1956 lebte er mit seiner Frau Ida in Frankfurt, wurde Immobilienhändler, trat 1969 in die FDP ein und folgte 1992 Heinz Galinski im Amt des Zentralrats-Vorsitzenden. "Er war in den Medien als hochpolitischer Mensch präsent", erzählt Korn, "aber abseits der Öffentlichkeit ein nimmermüder Organisator." Von 1983 bis zu seinem Tod war Bubis Vorsitzender der Frankfurter Jüdischen Gemeinde.

Bubis habe sich als Erster für den Bau eines Gemeindezentrums, eines jüdischen Kindergartens und eines jüdischen Altenheims - heute Institutionen des jüdischen Lebens in Frankfurt - eingesetzt, berichtet Korn. "Ohne ihn sähe die Stadt heute anders aus." Zu dieser Geschichte gehört auch, dass der seinerzeit als "Spekulant" kritisierte Bubis im Ende der 60er Jahre entbrannten Frankfurter Häuserkampf fast sein gesamtes Vermögen verlor. Obwohl Bubis die Kritik an seiner Person als "Antisemitismus der politischen Linken" bezeichnete, galt er in den 70er Jahren in der FDP als Vertreter des linken Flügels.

Integrationsfigur trotz Streitfreudigkeit
Trotz seiner Streitfreudigkeit und seiner politischen Positionierungen sei er in der Partei eine "Integrationsfigur" gewesen, sagt Frankfurts FDP-Chef Pfeil. "Mit ihm als OB-Kandidat gelang uns 1997 der Wiedereinzug in den Stadtmagistrat." Bubis' wohnungsbau- und sozialpolitische Positionen hätten damals auch bei den Grünen Anerkennung gefunden, erinnert sich Pfeil. "Das hat bei uns für Debatten gesorgt." Gleichzeitig sei Bubis "unkompliziert" und "kein Anhänger von political correctness" gewesen. "Dass wir inzwischen in Frankfurt ohne parteiinterne Flügel auskommen, ist ein Verdienst von Bubis."

Das "Bild vom Juden, wenn nicht vom Ostjuden" sei heute in Deutschland von einigen Vorurteilen befreit, resümiert Korn, "das hat Bubis in seinem persönlichen Auftritt erreicht." Nie habe sich der geborene Breslauer einem Hilferuf versagt. "Dabei hat er immer mehrere Dinge gleichzeitig erledigt." Korn erinnert sich an Autobahnfahrten, bei denen sich Bubis bei Tempo 200 hinter dem Steuer seines Mercedes-Coupés den Hörer eines riesigen Funktelefons unters Kinn klemmte, um für ein Frankfurter Gemeindemitglied eine Kiosk-Lizenz zu organisieren.

Die Debatte um die "Moralkeule"
Bubis' Debattenpräsenz litt darunter nicht. Seine letzte öffentliche Auseinandersetzung führte der am 13. August 1999 an Knochenkrebs gestorbene Bubis mit dem Schriftsteller Martin Walser, der 1998 bei einer Rede in der Frankfurter Paulskirche von Auschwitz als "Moralkeule" sprach. "Repräsentanten der deutschen Politik brachten stehende Ovationen dar", erinnert sich Zeitzeuge Korn. Nur Bubis und seine Frau Ida seien versteinert auf ihren Plätzen sitzen geblieben. "Umgeben von Menschen", sagt Korn, "waren Ida und Ignatz Bubis in diesem Augenblick einsam."   Bubis warf dem Schriftsteller daraufhin "geistige Brandstiftung" vor. Walser bedauerte später, ein Versöhnungsangebot von Bubis nicht angenommen zu haben.

Kurz vor seinem Tod äußerte sich Bubis in einem Interview enttäuscht über seine Amtszeit als Präsident des Zentralrats der Juden. Er habe "fast nichts bewirkt". Die Mehrheit habe nicht einmal kapiert, worum es ihm gegangen sei. Es sei ihm nicht gelungen, die Ausgrenzung "hier Deutsche, dort Juden" wegzubekommen.

Kardinal Meisner: Bubis war Brückenbauer
Der damalige Bischofskonferenz-Vorsitzende Karl Lehmann unterstrich dagegen, Bubis sei viel mehr an Annäherung gelungen, als er zuletzt selber von sich glaubte. Zur katholischen Kirche habe der Zentralrat-Präsident "sehr gute Beziehungen" gepflegt. Der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, nannte Bubis einen "wachsamen und unbestechlichen Beobachter, Warner und Ratgeber". Er habe sich "in hohem Maß" für das Zusammenleben von Juden und Christen eingesetzt. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner würdigte Bubis als Brückenbauer - "von der Vergangenheit zur Gegenwart" und "von Juden zu Deutschen". Bubis hinterlasse nicht nur unter den jüdischen Mitbürgern,
sondern "in unserem Volk überhaupt" eine "schmerzliche Lücke".

Aus Sorge vor einer möglichen Grabschändung in Deutschland wollte
Ignatz Bubis gemäß seinem letzten Willen in Israel bestattet
werden. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Shaul Kiriat in Tel Aviv. Noch während der Beisetzung spritzte der israelische Maler Meir Mendelssohn schwarze Farbe auf die letzte Ruhestätte. Ein Racheakt aus persönlichen Motiven, wie sich später herausstellte.