Zentralrat der Juden sieht Koch-Wahlkampf fast auf NPD-Niveau - "Erziehungscamp" in NRW ist gar keines

"Erziehungs- und Ethikkurse für einige Politiker"

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, hat die vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch angestoßene Debatte über junge kriminelle Ausländer als "verlogen" kritisiert. Das Niveau des Wahlkampfes von Koch unterscheide sich "kaum noch von dem der NPD". Kramer betonte: "Wir brauchen scheinbar keine Programme gegen Rechts, sondern Erziehungs- und Ethikkurse für einige Politiker." Derweil stellte sich das geplante "Erziehungscamp" am Niederrhein als schon lange geplantes offenes Heim heraus.

 (DR)

Kramer warnte davor, Vorurteile gegenüber Ausländern zu schüren. Es gebe bereits "erste Anzeichen, dass vor allem die NPD und andere rechtsextreme Gruppen die Debatte nutzen". Kramer nannte es "unverantwortlich, wenn Politiker hier mit dem Feuer spielen". Notwendig sei nun "lauter Widerspruch aus der Gesellschaft".

Kramer kritisierte, bei der Diskussion über Jugendkriminalität gehe es "nicht wirklich um die wirksame und dauerhafte Lösung des Problems, sondern ausschließlich um Wählerstimmen". Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts sei nicht notwendig.

Kramer fügte hinzu, beim Jugendstrafvollzug gehe es "ausschließlich um Strafmaßnahmen, die erst einsetzen, wenn die Straftat bereits geschehen und möglicherweise Opfer zu beklagen sind". Viel sinnvoller wäre es, "flächendeckende Jugendarbeit präventiv einzusetzen, aber hier ist in den vergangenen Jahren bundesweit massiv gekürzt worden - auch in Hessen".

Kramer betonte zudem: "Wieder einmal versucht die Politik, schnelle Lösungen für die Symptome zu liefern, statt die Ursachen zu analysieren und wirksam zu bekämpfen. Das ist Populismus, aber keine Politik!"

Bereits seit Jahren werde darüber diskutiert, dass gerade bei männlichen Jugendlichen dann eine erhöhte Gewaltbereitschaft zu verzeichnen sei, "wenn sie zuvor im Elternhaus mit Gewalt konfrontiert und erzogen worden sind". Kramer fügte hinzu: "Es mag für manche 'harten Politiker' ja schwer zu akzeptieren sein, aber was den meisten Kindern und Jugendlichen fehlt, sind keine Strafen, sondern Verständnis und Zuwendung - und das schon im Kleinkindalter."

Pofalla: Vorwurf "absurd"
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla die Kritik des Zentralrats der Juden in scharfer Form zurückgewiesen. Der Vorwurf, der Wahlkampf von Hessens Ministerpräsident Roland Koch unterscheide sich kaum noch von dem der NPD, sei "an Absurdität gar nicht mehr zu überbieten", sagte Pofalla am Dienstag im RBB-Inforadio. "Das Recht, das die CDU ändern würde, gilt für alle Jugendlichen in Deutschland, ob sie Deutsche sind, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder ob sie Ausländer sind", betonte er.

Auch CSU-Chef Erwin Huber wies die Kritik des Generalsekretärs des Zentralrats zurück. Dessen NPD-Vergleich sei abwegig, sagte Huber im Deutschlandfunk.

Kritik am Informationschaos der NRW-Landesregierung
Die SPD im Düsseldorfer Landtag kritisierte derweil die Informationspolitik der Landesregierung zum geplanten Erziehungscamp. SPD-Fraktionsvize Ralf Jäger warf Familienminister Armin Laschet und Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (beide CDU) vor, im Hinblick auf das geplante Camp tagelang ein Informationschaos sondergleichen angerichtet und die Bevölkerung ohne Not in Aufregung versetzt zu haben.

Am Sonntag hatten die beiden Minister bekanntgegeben, dass das geplante erste Erziehungscamp für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche in NRW entgegen anderslautenden Meldungen nicht in Neukirchen-Vluyn, sondern im niederrheinischen Bedburg-Hau entstehen soll. Laschet hatte noch am Freitag erklärt, die Einrichtung solle in Neukirchen-Vluyn eröffnet werden. Der Minister habe sich bei den Örtlichkeiten vertan und die dort angesiedelten Projekte verwechselt, hieß es.
Jäger nannte diese Verwechslung "einen ernsthaften Fall von Unfähigkeit im Amt".

Das seit langem geplante und längst vorbereitete Projekt in Bedburg-Hau solle eben gerade kein geschlossenes Camp mit Gittern und Mauern sein. Der Minister erweise den Trägern vor Ort auch "einen Bärendienst, wenn er weiter halsstarrig an der Bezeichnung Erziehungscamp festhält, weil damit der falsche Eindruck eines Straflagers erweckt wird". Jäger warf vor allem Laschet Versagen vor: "So fahrlässig darf ein Minister nicht mit so einem sensiblen Thema umgehen."

Rüttgers: "Erziehungscamps" nur als pädagogische Einrichtungen
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat am Dienstag "Unklarheiten" innerhalb der Landesregierung bei der Debatte um sogenannte Erziehungscamps eingeräumt. Der Begriff sei gesetzlich nicht definiert und jeder stelle sich etwas anderes darunter vor, sagte Rüttgers am Dienstag in Düsseldorf vor Journalisten. Mit den von der NRW-CDU beim letzten Parteitag beschlossenen "Erziehungs- und Bewährungscamps" seien aber keine Drill-Camps nach US-Vorbild gemeint, sondern pädagogische Einrichtungen, betonte der Regierungschef.

Bei der von Jugendminister Armin Laschet (CDU) in die Diskussion gebrachten Einrichtung in Bedburg-Hau handele es sich um eine Erziehungseinrichtung für besonders schwierige Fälle.

Gewerkschaft der Polizei: Camps sind keine Lösung
Das geplante erste Erziehungscamp in Nordrhein-Westfalen stößt bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Kritik. Schutz vor Jugendkriminalität gebe es nicht durch Erziehungscamps, sondern beginne mit der Erforschung der Ursachen, sagte der GdP-Landesvorsitzende Frank Richter am Montag in Düsseldorf. Statt nach Erziehungscamps zu rufen, sei es Sache der Jugend-, Familien- und Integrationspolitik, Antworten auf überforderte Elternhäuser, Verwahrlosung und mangelnde Integration zu geben.

Richter sagte, die Justizpolitik müsse in erster Linie dafür sorgen, dass Verfahren kürzer werden und die Strafe der Tat auf dem Fuß folge. Der Gewerkschafter fragte: "Im übrigen, was sollen Erziehungscamps bewirken, wenn zu wenig Justizvollzugsbeamte heute schon nichts gegen die alltägliche Gewalt in Jugendstrafanstalten tun können?" Zudem fehle die Antwort der Justizpolitik darauf, dass der vorhandene Strafrahmen gegenüber jungen Straftätern oft gar nicht ausgeschöpft werde. "Wir haben kein Strafdefizit, wir haben ein Vollzugsdefizit", betonte Richter.