Knobloch wirft Politik mangelnden Einsatz vor - Beckstein: Konsequent gegen Straftaten vorgehen

"Allein mit Empörung ist es nicht getan"

Der Ruf nach einem verstärkten Vorgehen gegen den
Rechtsextremismus wird lauter. Die Präsidentin des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, warf der Politik am Montag
in einem ddp-Interview mangelnden Einsatz vor. Der bayerische
Innenminister Günther Beckstein (CSU) forderte bundesweit ein
konsequentes Eingreifen.

 (DR)



Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy
(SPD), warnte vor einer zunehmenden Radikalisierung der
rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Die Hemmschwelle zur
Gewaltanwendung sinke. Das FDP-Präsidiumsmitglied Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger mahnte, Fremdenfeindlichkeit sei kein
rein ostdeutsches Phänomen.

Knobloch kritisierte: «Die Politiker äußern sich zwar jedes Mal
empört, wenn ein jüdischer Kindergarten brennt oder ein Grabstein
umgeworfen wird, sie überlegen sich aber nicht ausreichend, wie man
diese Exzesse verhüten kann.» Die Zahl der rechtsextremen Delikte sei
«schockierend». Sie könne nur hoffen, dass sehr schnell und effektiv
gegengesteuert werde.

Knobloch sprach sich dafür aus, die Diskussion über ein
NPD-Verbotsverfahren noch einmal aufzurollen. Sie betonte: «Es kann
nicht angehen, dass diese Partei jährlich Gelder aus der staatlichen
Parteienfinanzierung kassiert, während an anderer Stelle die Mittel
für Projekte gegen Rechtsextremismus knapp sind.»

Edathy bezeichnete die NPD als «eine Partei, der die
Verfassungswidrigkeit auf der Stirn steht». Deshalb würden die
Chancen eines neuerlichen NPD-Verbotsantrags in der
SPD-Bundestagsfraktion intensiv geprüft und diskutiert. Edathy fügte
hinzu: «Wenn es eine ausreichend große Chance gibt, die NPD zu
verbieten, sollte man sie ergreifen - aber andererseits nicht
sehenden Auges in ein aussichtsloses Verfahren gehen.»

Edathy verwies darauf, dass im vergangenen Jahr die Zahl
rechtsextremistischer Gewalttaten um knapp acht Prozent auf rund 1100
zugenommen hat. Er betonte: «Im Klartext: Jeden Tag werden in unserem
Land drei Menschen zum Opfer rechtsextremistischer Gewalt.» Notwendig
sei ein Konzept, das sowohl auf Vorbeugung als auch auf Repression
setze.

Beckstein forderte eine intensive Aufklärung. Außerdem müsse sich
die Union «auch um die demokratische Rechte bemühen». Der bayerische
Innenminister fügte hinzu: «Ein demokratischer Patriot muss
leuchtende Augen bekommen, wenn er CSU wählen darf.»

Beckstein nannte es «unabdingbar, dass auch die CDU nicht nur
ihren linken Flügel pflegt, sondern auch ganz bewusst Leuten eine
besondere Bedeutung beimisst, die konservativ geprägt sind». Als
Beispiel nannte Beckstein den hessischen Ministerpräsidenten Roland
Koch. Andernfalls werde die Union «nie die Chance haben, bundesweit
wieder deutlich über 40 Prozent zu kommen».

Leutheusser-Schnarrenberger hält weitere Wahlerfolge rechter
Parteien wie der NPD für «vorprogrammiert». Die frühere
Bundesjustizministerin betonte, die Partei verfüge in bestimmten
Regionen wie in ihren Hochburgen südlich von Dresden bereits über ein
großes Stammwählerpotenzial.




Als Präsidentin des Zentralrats der Juden in
Deutschland ist Charlotte Knobloch eine unermüdliche Mahnerin im
Kampf gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Mit der
74-Jährigen steht wohl letztmals eine Überlebende der
Judenvernichtung an der Spitze des Zentralrats, der mehr als 100 000
Juden in Deutschland vertritt. ddp-Korrespondent Petr Jerabek sprach
mit Knobloch über den Anstieg rechtsextremistischer Straftaten und
ihre Forderungen an die Politik.


ddp: Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten hat im vergangenen
Jahr einen Höchststand erreicht. Wie bewerten Sie die
Entwicklung von Antisemitismus und Rechtsextremismus in Deutschland?

Knobloch: Die Zahl ist schockierend, hat mich aber nicht überrascht,
denn schon seit einiger Zeit stelle ich in dieser Hinsicht
Veränderungen fest. Ich kann nur hoffen, dass sehr schnell und
effektiv gegengesteuert wird.

ddp: Im vergangenen Jahr haben Sie sich angesichts der deutlich
gestiegenen Zahlen rechtsextremer Vorfälle an die Zeit der
Machtergreifung Hitlers 1933 erinnert gefühlt. Hat sich an Ihrer
Einschätzung inzwischen etwas geändert?

Knobloch: Die aktuellen Zahlen bestätigen mich in meiner
Einschätzung.

ddp: Hat die Politik aus der Debatte um die Gefahr von
fremdenfeindlichen Gewalttaten ausreichende Konsequenzen gezogen?

Knobloch: Da stehen wir noch am Anfang. Die Politiker äußern sich
zwar jedes Mal empört, wenn ein jüdischer Kindergarten brennt oder
ein
Grabstein umgeworfen wird, sie überlegen sich aber nicht ausreichend,
wie man diese Exzesse verhüten kann. Allein mit Empörung ist es nicht
getan. Nur stets symbolisch zu regieren, hilft nicht.

ddp: Was müsste Ihrer Ansicht noch geschehen, wo sehen Sie
Handlungsbedarf?

Knobloch: Zum einen müssen Projekte gegen Rechtsextremismus stärker
und langfristiger finanziert werden. Zum anderen braucht es eine
Reform der Holocaust Education. Wir müssen den jungen Leuten ihre
Schuldgefühle nehmen und ihnen stattdessen klar machen, dass sie
aufgrund der Geschichte Verantwortung für die Zukunft tragen. Sie
haben keine Schuld an den Verbrechen ihrer Großväter. Und letztlich
bedarf es einer ganz breiten gesellschaftlichen Basis, die diese
Bemühungen mitträgt.

ddp: Am 9. November wurde in München die Eröffnung des neuen
jüdischen Hauptsynagoge als Rückkehr des jüdischen Lebens ins Herz
der Stadt gefeiert. Lässt sich sagen, dass die jüdische Gemeinde in
Deutschland insgesamt wieder ein selbstverständlicher Teil der
Gesellschaft ist oder spüren Sie noch Vorbehalte und Vorurteile?

Knobloch: Nach unserem Selbstverständnis gehören wir auch dazu.
Dennoch sind Vorbehalte und Vorurteile nicht ausgeräumt. Das ist
abhängig von der Weltpolitik. Während der Libanon-Krise haben wir
viele verletzende Schmähbriefe erhalten, nach dem Anschlag auf den
jüdischen Kindergarten in Berlin hingegen haben uns viele ihr
Mitgefühl ausgedrückt.

ddp: Fühlen Sie sich von der Politik in Ihrem Bestreben um ein
intensives Miteinander ausreichend unterstützt?
Besorgnis über Rechtsextremismus - Knobloch wirft Politik mangelnden
Einsatz vor - Beckstein: Konsequent gegen Straftaten vorgehen
--Von Jörg Säuberlich--
(Mit Bild)=

Berlin (ddp). Der Ruf nach einem verstärkten Vorgehen gegen den
Rechtsextremismus wird lauter. Die Präsidentin des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, warf der Politik am Montag
in einem ddp-Interview mangelnden Einsatz vor. Der bayerische
Innenminister Günther Beckstein (CSU) forderte bundesweit ein
konsequentes Eingreifen.

Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy
(SPD), warnte vor einer zunehmenden Radikalisierung der
rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Die Hemmschwelle zur
Gewaltanwendung sinke. Das FDP-Präsidiumsmitglied Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger mahnte, Fremdenfeindlichkeit sei kein
rein ostdeutsches Phänomen.

Knobloch kritisierte: «Die Politiker äußern sich zwar jedes Mal
empört, wenn ein jüdischer Kindergarten brennt oder ein Grabstein
umgeworfen wird, sie überlegen sich aber nicht ausreichend, wie man
diese Exzesse verhüten kann.» Die Zahl der rechtsextremen Delikte sei
«schockierend». Sie könne nur hoffen, dass sehr schnell und effektiv
gegengesteuert werde.

Knobloch sprach sich dafür aus, die Diskussion über ein
NPD-Verbotsverfahren noch einmal aufzurollen. Sie betonte: «Es kann
nicht angehen, dass diese Partei jährlich Gelder aus der staatlichen
Parteienfinanzierung kassiert, während an anderer Stelle die Mittel
für Projekte gegen Rechtsextremismus knapp sind.»

Edathy bezeichnete die NPD als «eine Partei, der die
Verfassungswidrigkeit auf der Stirn steht». Deshalb würden die
Chancen eines neuerlichen NPD-Verbotsantrags in der
SPD-Bundestagsfraktion intensiv geprüft und diskutiert. Edathy fügte
hinzu: «Wenn es eine ausreichend große Chance gibt, die NPD zu
verbieten, sollte man sie ergreifen - aber andererseits nicht
sehenden Auges in ein aussichtsloses Verfahren gehen.»

Edathy verwies darauf, dass im vergangenen Jahr die Zahl
rechtsextremistischer Gewalttaten um knapp acht Prozent auf rund 1100
zugenommen hat. Er betonte: «Im Klartext: Jeden Tag werden in unserem
Land drei Menschen zum Opfer rechtsextremistischer Gewalt.» Notwendig
sei ein Konzept, das sowohl auf Vorbeugung als auch auf Repression
setze.

Beckstein forderte eine intensive Aufklärung. Außerdem müsse sich
die Union «auch um die demokratische Rechte bemühen». Der bayerische
Innenminister fügte hinzu: «Ein demokratischer Patriot muss
leuchtende Augen bekommen, wenn er CSU wählen darf.»

Beckstein nannte es «unabdingbar, dass auch die CDU nicht nur
ihren linken Flügel pflegt, sondern auch ganz bewusst Leuten eine
besondere Bedeutung beimisst, die konservativ geprägt sind». Als
Beispiel nannte Beckstein den hessischen Ministerpräsidenten Roland
Koch. Andernfalls werde die Union «nie die Chance haben, bundesweit
wieder deutlich über 40 Prozent zu kommen».

Leutheusser-Schnarrenberger hält weitere Wahlerfolge rechter
Parteien wie der NPD für «vorprogrammiert». Die frühere
Bundesjustizministerin betonte, die Partei verfüge in bestimmten
Regionen wie in ihren Hochburgen südlich von Dresden bereits über ein
großes Stammwählerpotenzial.



Knobloch: Wie es eben ist in der Politik - die Unterstützung darf da
nicht aufhören, wo sie in Konflikt mit den Interessen der jeweiligen
Politiker gerät.

ddp: Halten Sie weitere Wahlerfolge der NPD etwa bei der Landtagswahl
2008 in Bayern für wahrscheinlich?

Knobloch: Ich hoffe auf eine hohe Wahlbeteiligung. Dann hat der
braune Spuk keine Chance.

ddp: Sollte Ihrer Meinung nach die Frage eines neuen
NPD-Verbotsantrags noch einmal diskutiert werden?

Knobloch: Jedenfalls sollte die Diskussion noch einmal aufgerollt
werden. Es kann nicht angehen, dass diese Partei jährlich Gelder aus
der staatlichen Parteienfinanzierung kassiert, während an anderer
Stelle die Mittel für Projekte gegen Rechtsextremismus knapp sind.