Kardinal Meisner über 50 Jahre Priester sein

"Wie schnell die Zeit vergangen ist"

50 Bischöfe aus dem In- und Ausland kommen, wenn Joachim Kardinal Joachim Meisner sein Goldenes Priesterjubiläum feiert. Im domradio.de-Interview blickt er zurück - und der Zeit nach den Jahren als Kölner Erzbischof entgegen.

 (DR)

domradio.de: Wir sind hier im Erzbischöflichen Haus, zu Gast beim Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner feiert in diesen Tagen sein 50. Priesterjubiläum. Herr Kardinal, 50 bewegte Jahre als Priester – woran denken Sie da zuerst?

Meisner: Wie schnell die Zeit vergangen ist. Ich habe manchmal den Eindruck, dass ich erst am Anfang stehe. Und es reden jetzt so viele über mich und die letzten 50 Jahre – da sage ich mir manchmal: Naja, wenn die Hälfte stimmt, von dem, was da gesagt wird, dann bin ich ganz dankbar und zufrieden.

domradio.de: Sie dürfen auf ein sehr bewegtes Leben zurückschauen. Was, würden Sie sagen, war zweifelsohne einer der Höhepunkte?

Meisner: Nun, dass ich erwählt wurde zum Priestertum, das ist absolut der Höhepunkt und das ist unkündbar, bis zum heutigen Tag, dafür kann ich nur danken. Der Apostel Paulus sagt es ausdrücklich: Was hast Du, das Dir nicht geschenkt wurde? Darum ist der Grundtenor meines Lebens die Dankbarkeit. Wie Maria sinngemäß sagt: Großes hat an mir getan, der der mächtig ist. Und er hat herabgeschaut. Gott schaut ja nicht auf die Berge, sondern in die Täler. Und deshalb hat er mich auch nicht heruntergeholt von irgendeinem Podest, sondern eigentlich so aus den Löchern unserer Weltgeschichte, der Geschichte unseres Volkes. Ich komme aus einem ganz einfachen Diasporanest, noch nicht einmal mit eigener Kirche, sondern aus den einfachsten Familien und einfachsten Verhältnissen, aber vor Gott zählt ja das, was ganz unten ist, nicht was ganz oben ist.

domradio.de: Sie haben einmal gesagt: Ein Anfang geht immer mit. Sie haben dem lieben Gott ganz zu Anfang diesen Blankoscheck erteilt. Der liebe Gott hat aber im Laufe Ihres Priesterlebens viel von Ihnen verlangt?

Meisner: Es ist immer so, dass Gott die Beträge unserer Blankoschecks selbst ausfüllt. Und da muss man auf alles gefasst sein. Damals als ich den Scheck ausgestellt habe, zum Zeitpunkt meiner Priesterweihe am 22. Dezember im Erfurter Dom, habe ich am Vorabend gesagt: Morgen bei der Priesterweihe muss ich sagen, damals noch auf Lateinisch: "Adsum". "Ich bin bereit" oder vielmehr: "Ich bin verfügbar." Da habe ich mir gesagt, ich werde sicher morgen aufgeregt und gar nicht bei der Sache sein; damit Du siehst, Herr, dass ich es ganz ehrlich meine, stelle ich Dir jetzt einen Blankoscheck aus. Und da habe ich mir schon gedacht, als ich durch das Fenster des Priesterseminars sah, das wird Dich in eine der drei pastoralen Regionen des Bistums Erfurt rufen, Eichsfeld, die Diaspora oder die Rhön. Und die ersten Jahre hat es auch gestimmt, dass ich im Eichsfeld war und dass ich dann in der thüringischen Diaspora war, aber dann lief alles anders als gedacht, als geplant, aber wahrscheinlich vom Herrn in den Blankoscheck eingesetzt: Weihbischof in Erfurt, Bischof von Berlin und Erzbischof von Köln.

domradio.de: Da schauen Sie auf eine lange Laufbahn zurück. Eben haben Sie auch die Täler angesprochen. In so einem Leben gibt es ja sicher nicht nur die Höhen, sondern auch Täler. Gibt es Glaubenskrisen, durch die ein Erzbischof durch muss?

Meisner: Natürlich, aber dankbaren Herzens kann ich sagen, keine substantiellen Glaubenstäler. Ich habe nie an der Liebe Gottes gezweifelt und auch nur an der Vorsehung Gottes, die bis ins Detail alles regelt. Aber ich bin schon manchmal verzagt gewesen, wenn ich in meinen großen Anliegen, für die ich so viel Herzblut eingesetzt habe, nicht zum Ziel gekommen bin. Um ein einziges Beispiel zu nennen: Die größte Kraft und Anstrengung meines Lebens als Bischof war immer, die Sorge um die geistige Berufung, dass unsere Gemeinden vitale, heiligmäßige Priester haben. Und ich bin in dem Anliegen, zumindest was die Zahlen angeht, kaum zum Ziel gekommen, eher gescheitert. Und Johannes Paul II sagte einmal bei einer Begegnung – ich war ja öfters bei ihm ‑ zu mir: "Was hast Du denn? Du siehst so traurig aus." "Ach", sage ich, "Heiliger Vater, …" und habe ihm das erzählt. Und da sagte er: "Du, gib nicht nach. Die geistliche Berufung hängt auch von unserer Glaubenskraft ab. Denn der Herr sagt: 'Bittet den Herrn um Arbeiter für die Ernte.' Aber Deine Bitte darf nicht nachlassen, denn wie der Herr der Ernte die Arbeiter verteilt, das ist seine Sache, das ist nicht Deine Sache. Vielleicht haben wir in Krakau so viel Berufung, weil Du so viel um Berufung betest. Die Verteilung aber nimmt der Herr vor." Das war für mich eine große, große Hilfe und Korrektur. Und ich kannte manche heiligmäßige Pfarre, die so viel Kraft investiert haben und nie in ihrem Pfarramt eine Primiz feiern konnten. Da habe ich sie auch immer mit den Worten von Johannes Paul II getröstet. "Das ist nicht umsonst, was Sie mit Ihrer Pfarrei getan haben, aber die Verteilung nimmt der liebe Gott vor." Ich wundere mich manchmal, da kommen Berufungen aus Gemeinden, wo man das gar nicht vermutet hätte. Da gibt es eine andere Logik, und auf die Logik Gottes muss sich auch ein Bischof einlassen und das ist nicht immer gleich gegeben, denn die Logik Gottes entspricht manchmal nicht unserer menschlichen Logik. Und da kann es schon zu manchen Schwierigkeiten kommen zwischen dem Bischof und seinem Chef, der ihn gesandt hat, das Evangelium zu verkünden.

domradio.de: Gibt es denn auch Momente, nachdem wir die Täler gerade mit Ihnen durchschritten haben, die zweifelsohne Höhepunkte darstellen, wo Sie sagen: Da hat der liebe Gott mir Flügel verliehen, da lief es wie von selbst?

Meisner: Also, ich muss sagen, ich habe mehr Grund zum Danken als zum Klagen. Und es gab und gibt wirklich Höhepunkte in meinem Priesterleben. Es hat sich ja sicher auch bei Ihnen schon herumgesprochen, dass mir der Heilige Vater zum Jubiläum einen vierseitigen Brief geschrieben hat. Da steht so viel Positives drin, er erwähnt auch noch Johannes Paul II und meine Freundschaft zu ihm. Und als der Brief bei der Vesper mit den Priestern verlesen wurde, da habe ich denen gesagt: Ich weiß nicht, ob sich die Unfehlbarkeit des Papstes auf Glückwunschschreiben an Bischöfe erstreckt. Aber ich muss sagen. Es hat mich sehr, sehr, sehr tief bewegt – diese einfühlsamen Worte des Heiligen Vaters. Aber ich habe mir auch gesagt: Wenn das alles stimmt, und ich möchte das schon glauben, dann habe ich das nur meinen vielen Mitarbeitern, den Priestern und Diakonen und allen, die im Gemeindedienst stehen und bei der Caritas arbeiten, zu verdanken. Deshalb muss ich diesen Brief auch als an all diese Menschen geschrieben betrachten und habe ihn deswegen den Priestern verlesen lassen, denn, habe ich gesagt, „Ihr seid mit gemeint und darum ist das auch gar nicht mein Jubiläum, es ist unser gemeinsames Jubiläum. Und es hat mich sehr bewegt, dass über 600 Priester vor 14 Tagen zur Jubiläumsfeier zusammenkamen. Denn ich denke, dass die Bischöfe, die uns damals in den Diözesen der DDR geweiht haben, alle ins Fegefeuer mussten. Denn wie kann man zwei Tage vor dem Heiligen Abend Priesterweihen spenden?! Das bringt alles durcheinander. Und darum habe ich den Priester gesagt: Ihr könnt doch nicht am Samstag, den 22., wenn mein Weihetag ist, in den Dom können. Deswegen lade ich Euch schon 14 Tage vorher an einem Nachmittag ein, wir singen die Vesper im Dom und dann gibt es noch eine Zusammenkunft im Maternushaus und das war ein sehr, sehr schöner Nachmittag. Die Priester haben mir sagen, sie kommen trotzdem noch am 22., wenigstens am Vormittag. Aber ich bin wirklich dankbar, und wie ich höre, haben sich auch so viel Bischöfe aus unserem Land, aber auch sehr viele aus dem Ausland angemeldet, erst vor einigen Tag noch der Kardinal Simonis aus Utrecht, der schon in Pension ist, der sagte: Du hast mich gar nicht eingeladen. Da meinte ich: Na, komm. Ich habe mich gar nicht getraut, Dich einzuladen über die Grenze hinweg. Aber Du bist uns herzlich willkommen, so wird also auch der gute Simonis dabei sein.

domradio.de: Da wird ja auch deutlich: Sie sind immer auch ein Kardinal gewesen, ein Priester, der für die ganze Weltkirche Verantwortung übernommen hat. Wenn man Priester wird, dann denkt man zunächst wahrscheinlich an die Gemeinde, die man begleiten möchte. Die ist bei Ihnen mit der Zeit immer größer geworden. Wie ist denn das – Braucht man hin und wieder nicht selbst Seelsorge?

Meisner: Natürlich, das braucht man. Deswegen gehe ich alle vier Wochen beichten – gestern bin ich erst wieder gewesen‑ und da bekommt man ja einen sehr wirksamen Zuspruch, nämlich gleich auch in der Vergebung der Sünden. Ich habe jetzt am vergangenen Sonntag, als ich zuhause war, gesagt: "Ich danke Euch, dass Ihr so zahlreich zum Gottesdienst gekommen seid. Ich sehe in Euch Helfer in der Danksagung, ich brauche Euch in der Danksagung. Und Ihr müsst mir auch helfen, um Vergebung zu bitten für das Gute, das ich unterlassen, und das Böse, das ich getan habe. Und darum ist es gut, dass Ihr da seid." Das gehört auch zu unserem Dasein und Sosein. Wir sind Sünder, die der Vergebung mehr bedürfen als des täglichen Brotes.

domradio.de: Sie haben gerade gesagt "nach Hause" gefahren – Sie sind jetzt fast ein Vierteljahrhundert in Köln, Ihre Heimat ist immer noch Körner, die bleibt es natürlich auch. Wenn Sie aber jetzt ein bisschen nach vorn schauen, wie geht es denn weiter mit Joachim Kardinal Meisner, der jetzt 50 Jahre Priester ist?

Meisner: Also, ich will einmal so sagen: Mit dem 'Zuhausesein' ist das bei mir so ein Problem für sich. Meine ursprüngliche Heimat ist Breslau. Ich bin immerhin 11 Jahre alt gewesen, als wir da wegmachten. Und da muss ich immer so sagen: Je älter ich werde, desto mehr merke ich, wie der Baum mit seiner Krone sich immer wieder im Erdreich, im Wurzelreich vergräbt, damit er nicht umkippt. Und dann kommt natürlich als zweites Thüringen, denn ich bin hier immerhin von 1945 bis 1980, natürlich erst als Jugendlicher und Schuljunge, dann als Student, dann als Priester und dann als Weihbischof gewesen. Und dann kam ich nach Berlin und muss sagen, ich habe mich da sehr, sehr schnell wohl gefühlt, obwohl diese Welt ganz fremd für mich war. Und das Gleiche, muss ich sagen, gilt auch für Köln. Ich hatte nicht so viel Angst vor Berlin, weil ich mir gesagt habe: 'Naja, ein Teil davon ist ja noch DDR und es können mich die Verwandten besuchen ohne Anträge und Sperrscheine.' Köln war etwas Anderes, das war Bundesrepublik Deutschland, ich kannte die Situation im Rheinland nicht. Aber ich muss sagen: Wenn Gott ruft, dann schenkt er einem auch sofort die heimatliche Haftung. Ich habe mich in Köln sofort wohlgefühlt, sofort und bis zum heutigen Tag. Bedenken Sie mal: Die knappe Hälfte meines Priestertums habe ich in Köln verlebt. Ich bin jetzt seit 24 Jahren in Köln, 24 Jahre von 50 Jahren Priestertum. An Mariä Lichtmess bin ich 30 Jahre Kardinal, obwohl ich ja der erste Kardinal von Köln bin, der schon als Kardinal hergekommen ist, ich bin also nicht Kardinal von Kölners Gnaden, sondern von Berliners Gnaden. Insofern muss ich schon sagen: Überall ist die Heimat. Wie es weitergeht? Ich hoffe, dass der Heilige Vater mich nicht mehr so lange zappeln lässt und sagt: 'Jetzt mach' Schluss‘, damit ich noch ein bisschen Zeit habe, das ein oder andere zu tun, was ich noch gern machen würde. Aber fragen Sie mich nicht danach, ich gebe darauf keine Antwort, was das ist. Aber es wäre ganz gut, wenn ich jetzt noch ein bisschen herumgehen könnte und vor allen Dingen denke ich immer an den großen Kardinal Volk von Mainz, der mir als Emeritus gesagt hat: "Weißt Du, jetzt stehe ich nicht mehr unter dem 'Du musst', sondern unter dem 'Du kannst'. Und jetzt kann ich mehr, als ich damals konnte, da ich noch unter dem 'Du musst' stand." "Wie ist denn das?" habe ich gefragt. Da sagte er: "Guck mal, jetzt brauche ich keine Konferenzen mehr leiten, ich brauche keine Kongresse mehr durchziehen, jetzt kann ich kranke Priester besuchen, kranke Ordensschwestern, kann Einkehrtage halten, kann auch noch einmal einen Exerzitienkurs halten. Und ich mache jeden Tag vier bis fünf Hausbesuche." Und als ich da so fragend hochsah, meinte er: "Ja, ich gehe jeden Tag auf den Mainzer Domplatz, die Brötchen für mich und meine Schwester holen. Und da sprechen mich so viele Leute an, dass ich immer sage, Du hast jetzt schon wieder vier oder fünf Hausbesuche gemacht." So etwas Ähnliches stelle ich mir auch vor, bloß weiß ich gar nicht, wo ich hier Brötchen einkaufen soll. Aber es werden sich ja andere Gelegenheiten ergeben.

domradio.de: Herr Kardinal, wir bewegen uns als Menschen ja alle der ewigen Heimat zu. Sie haben uns schön von Ihren verschiedenen Heimaten hier auf Erden erzählt. Wir hoffen, dass Sie hier noch ganz viel Heimat finden, dass Sie auch die richtigen Orte finden, wo Sie Ihre Brötchen kaufen können und wo Sie noch als Seelsorger möglichst lange segensreich wirken können. Herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute noch einmal zu Ihrem 50-jährigen Priesterjubiläum.

Meisner: Gut, Gott vergelt’s, danke schön.

Das Gespräch führte domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen.