Autorin sieht Spaltung in muslimischer Community

"Wer ist denn jetzt radikal und wer nicht?"

Vor fünf Jahren tötete ein islamistischer Terrorist mehr als ein Dutzend Menschen auf dem Berliner Breitscheidplatz. Die Autorin und gläubige Muslimin Katja Schneidt spricht darüber, wie dieser Anschlag zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt.

Menschen stehen am Breitscheidplatz am Mahnmal "Goldener Riss“ / © Christoph Soeder (dpa)
Menschen stehen am Breitscheidplatz am Mahnmal "Goldener Riss“ / © Christoph Soeder ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was ging Ihnen damals durch den Kopf, als Sie von diesem Attentat gehört haben?

Katja Schneidt (Autorin): Als erstes war ich entsetzt. Ganz unabhängig davon, ob Muslime, Nicht-Muslime, da stand nicht der Glaube im Vordergrund, sondern hier haben 13 Menschen ihr Leben verloren, es gab teils Schwerverletzte. Da ist das Motiv erst mal zweitrangig, sondern da geht es darum, dass viele Menschen ihr Leben gelassen haben.

Dann macht man sich natürlich gerade als Muslimin im zweiten Schritt Gedanken darüber, dass sich Strömungen hier in Deutschland ausgebreitet haben, die uns Muslime nicht unbedingt im besten Licht dastehen lassen. Solche Dinge tragen massiv zu einer weiteren Spaltung bei. Das ist natürlich erschreckend.

Dann sieht man noch, dass es ein Versagen auf ganzer Linie auch vom Staat gegeben hat. Anis Amri war ja kein Unbekannter. Ich bin nicht nur Muslimin, sondern auch seit über 30 Jahren Flüchtlingshelferin. Anis Amri war jemand, der im Zuge der Flüchtlingsströme hier nach Deutschland gekommen ist, unter falschem Geburtsdatum et cetera. Dieses Attentat zumindest, das hätte verhindert werden können.

DOMRADIO.DE: Sie sind seit über 30 Jahren gläubige Muslimin. Wie hat dieses Attentat Ihr Leben in Deutschland und das Leben von anderen Muslimen verändert?

Schneidt: Früher waren es immer die Taliban. Die Taliban waren die radikalen Muslime. Das waren alte Männer mit langen Bärten und einem Turban auf dem Kopf. Die hat man eigentlich nicht so ernst genommen, zumindest in Europa. In den Ländern, wo die Taliban herrschen schon. Das sieht man jetzt gerade auch in Afghanistan wieder.

Aber dann kam der Islamische Staat. Das waren junge Männer in schwarzen Jogginganzügen, die einfach eine unglaubliche Faszination ausgeübt haben. Gerade auch auf andere junge Männer. Man denkt beim Islamischen Staat immer an ferne Länder, aber der hat sich auch hier in Deutschland sehr massiv ausgebreitet.

Das ist etwas, was uns Muslimen ja sowieso massiv Schaden zugefügt hat. Das nehme ich auch niemandem übel. Der Durchschnittsbürger, wie will er denn differenzieren? Wer ist denn jetzt radikal und wer nicht?

Ich habe einen sehr guten Freund, ein türkischer Staatsangehöriger, der hier in Deutschland geboren ist. Ich sag immer: der ist genauso Deutscher, wie ich. Er kam irgendwann zu mir und war ganz traurig: Weißt du, Katja, ich bin hier geboren und die Leute wechseln die Straßenseite. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Ich glaube, das ist die Folge von solchen Attentaten.

DOMRADIO.DE: Was sind denn Ihrer Meinung nach Gründe dafür, warum sich Leute radikalisieren?

Schneidt: Da gibt es viele Gründe. Diese Community, die wirklich radikalisiert ist, die wird immer größer, auch wenn man das irgendwo nicht wahrhaben möchte. Ich bin in diesen Parallelwelten unterwegs und ich sehe, dass sich die Parallelgesellschaften immer weiter ausbreiten und das sehr rasant.

Jetzt muss man wissen, dass der Islam, wenn man ihn wirklich nach dem Koran auslegt, von Anfang bis Ende nicht nur eine Religion ist. Der Islam ist ein Lebenskonzept. Es gibt nichts, was nicht geregelt ist.

Die radikalen Muslime, die fühlen da eine Sicherheit. Die denken sich: "Solange ich mich daran halte, kann ich nichts falsch machen". Das übt diese Faszination aus. Wir hatten noch nie so viele deutsche Konvertiten wie in den letzten Jahren.

DOMRADIO.DE: Diese Parallelgesellschaften haben also auch einen Einfluss für die islamische Community an sich?

Schneidt: Absolut. Ich kann Ihnen auch sagen, dass das von vielen Muslimen nicht gewollt ist. Die meisten Muslime möchten diese Parallelgesellschaften nicht.

Ich habe gerade in meinem Umfeld so viele Muslime, die feiern Weihnachten, weil sie sagen: Wir leben hier in einem christlich geprägten Land. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder nach den Ferien in die Schule kommen, dass jeder erzählt, was er bekommen hat und unsere Kinder stehen daneben. Warum nicht? Wir vergeben uns doch nichts dabei.

Dann freuen die sich im Gegenzug, wenn ihre christlichen Freunde auch mal mit in die Moschee kommen und sich das angucken.

DOMRADIO.DE: In Ihrem Buch "Tiefer Riss" haben Sie auch dieses Thema "Dialog" behandelt. Was wollen Sie bewirken?

Schneidt: Ich habe in dem Buch versucht, mit vielen Vorurteilen aufzuräumen, aber ich habe sicherlich auch versucht, ganz oft den Finger in die Wunde zu legen. Ich habe oft gesagt: Hier passieren einfach Dinge, die dürfen wir nicht aus falsch verstandener Toleranz passieren lassen. Denn das betrifft eben auch uns Muslime.

Wenn ich sehe, mit wie viel Argwohn den Menschen begegnet wird und mit wie viel Ablehnung... Ich kann das sogar verstehen, denn diese radikalen Muslime nehmen so viel Raum ein, dass selbst die moderaten Muslime Angst haben. Dann muss sich aber auch die Gesellschaft viel entschiedener dagegen stellen. Das ist, was mir ein bisschen fehlt.

Oft habe ich das Gefühl, die Menschen machen es nicht, weil sie Angst haben, dann in die falsche Ecke gestellt zu werden.

Das Interview führte Michelle Olion.


Mahnmal auf dem Breitscheidplatz: der goldene Riss / © Christoph Soeder (dpa)
Mahnmal auf dem Breitscheidplatz: der goldene Riss / © Christoph Soeder ( dpa )
Quelle:
DR