Blick auf 20 Jahre nach 9/11

Eine Zeit davor und eine danach

Ob der 11. September 2001 eine historische Zäsur darstellt, darüber sind Zeithistoriker uneins. In der persönlichen Erinnerung vieler Menschen aber war der Tag unbestritten ein Einschnitt, der bis in die Gegenwart nachwirkt.

Autor/in:
Paula Konersmann
New York: Eine Feuerwehrfrau (M) spricht ein Gebet neben anderen Feuerwehrleuten / © Jason Szenes (dpa)
New York: Eine Feuerwehrfrau (M) spricht ein Gebet neben anderen Feuerwehrleuten / © Jason Szenes ( dpa )

Die Wahrnehmung von Muslimen oder das Sicherheitsgefühl in der Öffentlichkeit: Der 11. September 2001 hat vieles verändert. Wer den Tag erlebt hat, und sei es nur aus der Ferne, der hat ihn bis heute nicht vergessen. Zu erschütternd waren die Bilder und Beschreibungen des Leids; fassungslos saßen damals Millionen vor dem Fernseher.

Jede Gesellschaft bezieht laut Historikern ihr Selbstbild aus dem gemeinschaftlichen Gedächtnis. Gedenktage und -stätten, das mediale und öffentliche Erinnern an Tage wie "9/11", so die amerikanische Bezeichnung, tragen dazu bei. Der französische Historiker Pierre Nora bezeichnete die heutigen Gedächtnisorte einmal als "flüchtige Heiligtümer in einer Gesellschaft der Entheiligung". Sie entstünden aus dem Gefühl, dass es kein spontanes Gedächtnis gebe; dass man Archive schaffen, an Jahrestagen festhalten, Feiern organisieren müsse.

Welle von großen Anschlägen

Gedenkveranstaltungen wird es auch in diesem Jahr wieder geben. Die Folgen der Ereignisse von vor 20 Jahren machen sich jedoch auch jenseits davon bemerkbar. Das mag zu Teilen daran liegen, dass der 11. September den "Auftakt zu einer Welle von großen Anschlägen" bildete, wie es der Historiker Heiko Heinisch nennt. Madrid 2004, London 2005, Paris 2015, Brüssel, Nizza und Berlin 2016: nur einige der blutigen Stationen der Folgejahre.

Derartige krisenhafte Ereignisse bieten laut Heinisch die Grundlage für ein Phänomen, das durch die Corona-Krise erst ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist: Verschwörungserzählungen. Der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders bezeichnet den 11. September als "Schlüsselmoment" für deren Erfolg. Tatsächlich seien manche Fragen rund um die Anschläge, bei denen fast 3.000 Menschen ums Leben kamen, bis heute ungeklärt, sagt der Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Das habe zu einem Bruch im Vertrauen in Politik und Medien geführt.

Seither ist eine Generation aufgewachsen, die keine eigene Erinnerung an die Anschläge hat. Der Brite Peter Rosengard rief vor zehn Jahren das Bildungsprogramm "Since 9/11" ins Leben. In der Schule lernten Kinder kaum etwas über dieses Ereignis, das doch "alles verändert" habe, so Rosengard. Sie müssten erfahren, wie Terrorismus wirkt.

Heute, so der Experte, sei der 11. September "eine Erinnerung, die wachgehalten werden muss". Das Programm widmet sich indes nicht nur dem Ablauf dieses dramatischen Tages, sondern auch den geopolitischen Folgen und den jüngsten Terrorattacken, die weltweit für Entsetzen sorgten, etwa auf eine Synagoge in Pittsburgh 2018 oder auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 2019.

Welt hat sich massiv verändert

Diese Beispiele verdeutlichen, wie massiv sich die Welt in den vergangenen 20 Jahren verändert hat. Verfolgten die meisten Menschen die Anschläge 2001 noch über klassische Nachrichtensendungen, so streamen Attentäter heute bisweilen live im Netz. Der Umgang mit entsprechenden Bildern ist nicht leichter geworden, weder was die Überprüfung ihrer Echtheit angeht noch in ethischer Perspektive.

Terroristen haben nach Worten der Kunsthistorikerin Charlotte Klonk schon immer versucht, "ihr Anliegen zu verbreiten, indem sie uns ihre Bilder aufzwingen". Der "religiöse Terror des 21. Jahrhunderts" habe dies perfektioniert, erklärte sie einmal in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". Der Wirkmacht solcher Bilder könne sich kaum noch jemand entziehen. Der mediale Umgang mit dem Leid von Opfern gehöre zu den "schwierigsten und erschütterndsten Aspekte des Themas".

Nicht umsonst widmen sich Forscher inzwischen verstärkt der Frage, wie Bilder von Gewalttaten auf den Betrachter wirken. Der Jerusalemer Kommunikationswissenschaftler Amit Pinchevski etwa sieht einen klaren Zusammenhang zwischen medialer Berichterstattung und Traumata: Medien machten traumatische Erfahrungen wortwörtlich übertragbar - und damit nachvollziehbar, womöglich aber auch reproduzierbar. Zugleich seien die Blicke auf Bildschirme in entsprechenden Situationen zumeist ein Versuch, "den Schrecken greifbar, verstehbar, kontrollierbar zu machen", erklärt Klonk. "Das ist ganz natürlich."


11.09.2001, USA, New York: Rauchschwaden ziehen über die Skyline von New York City / © Patrick Sison (dpa)
11.09.2001, USA, New York: Rauchschwaden ziehen über die Skyline von New York City / © Patrick Sison ( dpa )

11.09.2001, New York: Eine staubbedeckte Krankentrage und ein Feuerwehrmann / © Randy Taylor (dpa)
11.09.2001, New York: Eine staubbedeckte Krankentrage und ein Feuerwehrmann / © Randy Taylor ( dpa )

11.09.2001, New York: Feuerwehrleute nähern sich den Überresten des World Trade Centers / © Ciaran Dougherty (dpa)
11.09.2001, New York: Feuerwehrleute nähern sich den Überresten des World Trade Centers / © Ciaran Dougherty ( dpa )
Quelle:
KNA
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