Migrationsforscher erklärt Ziele des Expertenkreises Islamismus

"Ein stark unterschätztes Problem"

Der Soziologe und Migrationsforscher Ruud Koopmans ist Mitglied des neu gegründeten "Expertenkreises zum politischen Islamismus" beim Bundesinnenministerium. Im Interview spricht er über die Ziele des Gremiums und Fehler der Politik.

Symbolbild Moslem im Gebet / © Mrs_ya (shutterstock)

KNA: Welche Aufgaben hat der neue Expertenkreis zum politischen Islamismus?

Prof. Ruud Koopmans (Soziologe und Migrationsforscher und Mitglied des neu gegründeten "Expertenkreises zum politischen Islamismus" beim Bundesinnenministerium): Das Gremium soll vorerst nur ein Jahr bestehen und drei bis viermal zusammenkommen. In der Zeit sollen die Mitglieder einen Bericht zur Bedrohungslage durch den politischen Islam in Deutschland erarbeiten. Es geht erstens darum, Wissens- und Forschungslücken zu benennen und Empfehlungen für die Forschungsförderung zu entwickeln; zweitens soll der Bericht Empfehlungen für politische Maßnahmen geben. Das ist angesichts der knappen Zeit ambitioniert.

KNA: Sie sprechen von politischem Islam, das Bundesinnenministerium von politischem Islamismus. Warum?

Koopmans: Letztere ist eine Formulierung, die in der wissenschaftlichen Debatte nicht geläufig ist. Entweder spricht man von Islamismus oder von politischem Islam. Die Begriffswahl soll offenbar unterstreichen, dass es nicht darum geht, den Islam als Ganzes unter einen "Generalverdacht" zu stellen. Herausgekommen ist mit "politischer Islamismus" ein etwas merkwürdiger Kompromiss.

KNA: Wie groß ist die Gefahr aus Ihrer Sicht?

Koopmans: Ich halte den politischen Islam für ein stark unterschätztes Problem, das in den vergangenen Jahren immer größer geworden ist. Wir haben es mit einer Reihe von Organisationen zu tun, die nach außen gerne von Dialog, Toleranz und Vielfalt reden und auf die Religionsfreiheit pochen, aber innerhalb der muslimischen Community gegen Demokratie und universelle Menschenrechte hetzen.

Besonders die Gleichberechtigung von Frauen und der Schutz Andersdenkender bleiben dabei auf der Strecke.

KNA: Welche Organisationen gehören stärker in den Fokus?

Koopmans: Es gibt zwei Strömungen: Die eine strebt letztlich den universalen Gottesstaat mit der Scharia als Gesetz an, dazu zählen besonders die Muslimbrüder. Die andere ist in Deutschland gefährlicher, weil einflussreicher. Sie vertritt einen engen türkisch-islamischen Nationalismus und wird finanziell und organisatorisch von Ankara unterstützt. Das reicht von den rechtsextremen Grauen Wölfen mit fast 20.000 Mitgliedern über Milli Görüs, die den Islamrat dominiert, bis zur Erdogan-treuen Ditib, dem größten Islamverband mit rund 900 Moscheegemeinden. Der Zentralrat der Muslime hat Verbindungen zu beiden Strömungen.

KNA: Wieso haben Politik und Sicherheitsbehörden die Ausbreitung solcher Strukturen zugelassen?

Koopmans: Es herrscht seit Jahrzehnten eine weit verbreitete Mischung aus Unkenntnis, Naivität und Angst, als "islamfeindlich" zu gelten.

Außerdem wünschte sich die Politik feste Ansprechpartner und hofierte deshalb den organisierten Islam, dessen Verbände nunmal überwiegend zum politischen Islam gehören. Die liberalen Muslime sind dagegen kaum organisiert und eher über bekannte Einzelpersonen sichtbar. Im Fall von Ditib kommt hinzu, dass der Verband früher den säkularen türkischen Staatsislam repräsentierte und durchaus ein sinnvoller Partner war. Als Arm der türkischen Regierung schwenkte er dann aber auf den fundamentalistischen Kurs unter Erdogan ein.

KNA: Ändert sich die öffentliche Wahrnehmung nicht inzwischen? Die Empörung nach antisemitischen Ausschreitungen und die Gründung einer Expertenkommission beim Bundesinnenministerium sprechen doch dafür.

Koopmans: Ob wir es hier tatsächlich mit dem Beginn einer Kehrtwende zu tun haben, wird die Zukunft zeigen. Es gibt ein gewisses Aufwachen, aber insgesamt bestimmt die Verharmlosung des politischen Islam weiter die politische und mediale Debatte. Noch im Mai hat die NRW-Regierung unter CDU-Ministerpräsident Armin Laschet die Ditib am islamischen Religionsunterricht beteiligt. Bei den führenden Grünen-Politikern hört man nur Cem Özdemir als warnende Stimme. 

Am deutlichsten ist das Wegschauen bei der SPD. Als Kevin Kühnert nach den Terrorattacken im letzten Herbst den politischen Islam als ideologisches Vorfeld benannte, hagelte es Kritik aus den eigenen Reihen. Offenbar hofft die Partei immer noch auf ihr traditionelles Wählerklientel unter muslimischen Migranten, obwohl ihr die Union da längst die Stimmen abgräbt.

KNA: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Bernd Baumann berief sich jüngst im Parlament auf Ihre Kritik, dass vor allem politisch erwünschte Forschung gefördert wird, etwa über Rechtsextremismus und die Vorzüge der multikulturellen Gesellschaft, nicht aber über politischen Islam. Das provoziert den Vorwurf vom "Applaus von der falschen Seite".

Koopmans: Das ist unerfreulich, aber lässt sich bei diesem Thema nie ganz vermeiden und darf einer Debatte unter Demokraten über religiös begründete Formen des Extremismus nicht im Wege stehen. Es fließen in den letzten Jahren zurecht reichlich Mittel in die Prävention von Rassismus und Rechtsextremismus. In dem Bereich herrscht ein breiter Konsens, dass das Problem nicht nur aus einer relativ kleinen Gruppe von Gewalttätern besteht, sondern auch fremdenfeindliche Organisationen und Einstellungen umfasst.

Wir brauchen ein ähnliches Verständnis von der Gefahr des islamistischen Extremismus. Das Problem liegt auch dort nicht nur in der Gruppe der Gewalttäter und "Gefährder", sondern auch bei Organisationen, die verfassungswidrige Ziele verfolgen, Hass auf Andersgläubige und Andersdenkende verbreiten und zum Teil direkt von diktatorischen ausländischen Regimen gelenkt werden. 

KNA: Welche Erfolgsaussichten hat der politische Islam im Westen?

Koopmans: Das hängt letztlich von der Entwicklung in der islamischen Welt ab. Eine liberale Reform des dortigen Mehrheitsislam ist möglich. Aber diese Reform kann nur aus den islamischen Gesellschaften selbst hervorgehen. Umso wachsamer müssen die westlichen Einwanderungsgesellschaften sein. Das heißt vor allem: Keinen staatlichen Einfluss und keine Subventionen für islamistische Kräfte, die aus dem Ausland gesteuert werden und die Integration von Muslimen verhindern wollen.

Das Interview führte Christoph Schmidt.


Quelle:
KNA
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