Prominente Muslime kritisieren dominante Islamverbände

"Das Bild der Muslime ist viel bunter"

Die "Initiative säkularer Islam" will liberalen Muslimen eine Stimme geben. Sie wendet sich vor allem gegen den Einfluss der Islamverbände in Deutschland, die in ihren Augen einen politischen Islam befördern.

Autor/in:
Anna Fries
 (DR)

Muslime in Deutschland sind meist nicht organisiert. Ausnahmen sind die Islamverbände, die zum Teil vom Ausland unterstützt werden und meist als konservativ gelten. Für den Staat sind sie oft die einzigen Ansprechpartner, etwa beim islamischen Religionsunterricht.

Die neu gegründete "Initiative säkularer Islam" kritisiert diese Zusammenarbeit. Sie wolle "säkularen Muslimen eine Stimme geben, die bisher nicht präsent waren", wie ihr Sprecher Ali Ertan Toprak bei einer Podiumsdiskussion in Berlin erklärte.

Weitgehende Trennung von Religion und Staat

Prominente Muslime hatten die Initiative anlässlich der vierten Islamkonferenz im November 2018 gegründet, unter ihnen die Anwältin Seyran Ates, der Psychologe Ahmad Mansour, der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad und Grünen-Politiker Cem Özdemir.

In ihrem Gründungsdokument fordern sie ein zeitgemäßes Islamverständnis und eine weitgehende Trennung von Religion und Staat. Im Zentrum ihrer Kritik stehen die Islamverbände: "Wir wollen uns nicht abfinden mit der wachsenden Macht eines demokratiefernen, politisierten Islams, der die Deutungshoheit über den gesamten Islam beansprucht."

Vor allem wenden sich die Initiatoren gegen einen politischen Islam - der ihrer Ansicht nach von Islamverbänden befördert werde. Ates sagte dazu: "Das Bild der Muslime, das Bild der Menschen aus muslimischen Ländern ist so viel bunter, als wir das aktuell durch diese großen Verbände und Moscheegemeinden sehen."

Aus Sicht von Abdel-Samad verliert der politische Islam in der arabischen Welt in puncto Legitimation und Glaubwürdigkeit bereits an Boden. Im Westen werde ihm jedoch "eine Rettungsweste" gereicht. Das Hauptproblem seien "nicht ein paar Salafisten oder IS-Rückkehrer", sondern anerkannte und gut vernetzte "Krawatten-Islamisten", meinte der Islamkritiker.

Für den Islamforscher Ralph Ghadban beharren die Verbände auf einem "rückwärtsgewandten Islam und verhindern so Integration". Die Politik solle sie nicht ohne Grundlage weiter als Ansprechpartner bevorzugen. Denn die Mehrheit der Muslime habe die Grundwerte der Gesellschaft verinnerlicht und identifiziere sich nicht mit den Verbänden.

Ansprechpartner für die Politik werden

Die Initiative will in den kommenden Monaten Gespräche und Fortbildungen organisieren und sich zu einem Ansprechpartner für die Politik entwickeln. Auch Nicht-Muslime sind willkommen. Die Mitglieder vertreten durchaus unterschiedliche Positionen, etwa bei der Frage, wie weit die Trennung von Staat und Religion gehen sollte.

Abdel-Samad plädiert für eine strikte Trennung nach französischem Vorbild. "Wir begreifen nicht, dass der politische Islam im Schatten der Kirchen wächst", kritisierte er. Was "für das Seelenheil der Menschen gut ist", solle daher privat sein.

Psychologe Mansour hingegen fordert einen höheren Stellenwert für Demokratiebildung und Prävention. "Wir müssen versuchen, die Menschen zu mündigen Bürgern zu machen", sagte er. Sie sollten kritische Fragen stellen können, etwa zu Religion, Gott und religiösen Texten.

Die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, bezeichnete den politische Islam als ein System, "das die Welt organisieren will anhand einer wörtlichen Auslegung des Koran". Das sei heutzutage weder zeitgemäß noch sinnvoll.

Als großes Problem sieht sie eine zunehmende Radikalisierung von Jugendlichen - trotz Säkularisierung auch im Islam. Charismatischen Akteuren gelinge eine neue "Welle der Rekrutierung". An Hochschulen etwa zeigten sich gut ausgebildete Studenten, die "voll islamistisch agieren". Dagegen fehlten bisher Konzepte. In ihren Augen bietet die Initiative perspektivisch eine Chance auf einen deutschen Islam.

Die Politik wolle das unterstützen und für einen säkularen Islam eintreten, betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei der Diskussion. Auf der Suche nach Ansprechpartnern sei der Staat meist bei Verbänden und zu oft auch bei Radikalen gelandet. Entscheidend sei, ob sich die Initiative zu einem "legitimierten Sprachrohr jenseits der Verbände" entwickele.


Unter Polizeischutz: Seyran Ates / © Maurizio Gambarini (dpa)
Unter Polizeischutz: Seyran Ates / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Hamed Abdel-Samad / © Angela Krumpen (ak)
Hamed Abdel-Samad / © Angela Krumpen ( ak )

Ahmad Mansour, Publizist / © Stephanie Pilick
Ahmad Mansour, Publizist / © Stephanie Pilick

Özdemir kritisiert die geforderte "islamische Verfassung" für die Türkei / © Michael Kappeler (dpa)
Özdemir kritisiert die geforderte "islamische Verfassung" für die Türkei / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA
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