Berliner Rektor zu Kopftuch-Debatte und Neutralitätsgesetz

"Religiöse Symbole gehören in die Schule"

Am Berliner Canisius-Kolleg unterrichtet eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch. Das gefällt nicht allen. Der Rektor, Pater Zimmermann, versteht die Aufregung nicht: "Unsere Gesellschaft ist voll mit religiösen Symbolen."

Kopftuch in der Schule / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Kopftuch in der Schule / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

DOMRADIO.DE: In Berlin herrscht das sogenannte Neutralitätsgesetz. Staatsbeamte dürfen keine Schmuck- oder Kleidungsstücke tragen, die demonstrativ für eine politische oder religiöse Position stehen. Darunter fallen Kreuze, die jüdische Kippa oder das Kopftuch bei Muslimen. Pater Zimmermann, Sie sagen, religiöse Symbole gehören in die Schule. Warum gerade in die Schule?

Pater Tobias Zimmermann (Rektor des Berliner Canisius-Kollegs): Ich glaube, dass wir auf zwei Ebenen ein Problem mit dem Neutralitätsgesetz haben. Einerseits gibt es ein falsches Verständnis von Neutralität. Wir haben eine andere Tradition als Frankreich. Es geht bei uns nicht um Laizität, also das Ausblenden der Religion aus dem Alltag. Wir haben ein kooperatives Modell zwischen Weltanschauungen und Staat – und das finde ich auch richtig. Wenn alle religiösen Zeichen in eine private Sphäre verbannt werden, ergreift der Staat Partei für eine weltanschauliche Position, die antireligiös ist. Das ist das rechtliche Problem.

Das zweite Problem, das ich sehe, ist ein bildungspolitisches. Es gibt bei uns einen Bildungsbegriff, der sehr schmal und sehr funktionalistisch ist. Ich glaube, wir schulden Schülerinnen und Schülern eine Bildung, die sie tatsächlich auch in die Lage versetzt, über Religion zu sprechen und miteinander von verschiedenen Positionen ins Gespräch zu kommen. Dazu brauchen sie Lehrer, die keine neutralen Wurstwarenverkäufer von Bildung sind, sondern die tatsächlich auch für etwas stehen.

Natürlich dürfen Lehrer nicht indoktrinieren, auch an unserer Schule unterliegen wir dem Überwältigungsverbot (Schüler nicht im Sinne erwünschter Meinungen überrumpeln und damit an der "Gewinnung eines selbstständigen Urteils" hindern, Anm. d. Red.). Sie sind so eine Art Sparringspartner, damit die Schüler wachsen können. Damit sie lernen, sich über Religion auszudrücken. Damit sie Religionen kennenlernen und dann kritisch miteinander ins Gespräch kommen.

DOMRADIO.DE: Jetzt unterrichtet bei Ihnen ja keine Ordensschwester im Habit, sondern eine Muslimin mit Kopftuch. Wie genau wachsen ihre Schüler daran?

Zimmermann: Gut, es gab ja eine Vorgeschichte. Wir haben uns 2015 entschieden, dass wir an unserer Schule in die Flüchtlingsbetreuung einsteigen und auch mit der Beschulung von Jugendlichen und Kindern, die erst im deutschen Schulsystem ankommen müssen, beginnen. Das heißt, wir hatten schon eine ganze Reihe von Schülern, die auch ein Kopftuch trugen, darunter eine Reihe von Muslima.

Für uns war Teil der Entscheidung zu sagen: Die brauchen ja auch Vorbilder, eine gute Integration. Das heißt, sie müssen zum Beispiel sehen können, dass es in Deutschland möglich ist, als Muslima Lehrerin zu werden – ob mit oder ohne Kopftuch – auch an einer kirchlichen Schule. Ich glaube, dass wir als kirchliche Schule für dieses Bildungsverständnis eintreten und werben sollten, zu dem auch ganz selbstverständlich gehört, dass die Frage nach Gott gestellt wird.

DOMRADIO.DE: Viele User in unseren sozialen Medien schreiben uns, sie sprechen von einer drohenden Islamisierung des Abendlandes, wenn sogar in der katholischen Privatschule eine Muslima mit Kopftuch unterrichtet. Was sagen Sie diesen Menschen?

Zimmermann: Zunächst finde ich diese Angst unbegründet. Wir sprechen im Moment von fünf Prozent Muslimen in Deutschland. Diese Zahl, das muss man auch sagen, kommt zustande, weil jeder als muslimisch gilt, der aus einem muslimischen Land nach Deutschland eingewandert ist oder aus einer muslimischen Familie stammt. Das ist anders als bei Christen, da gibt es keine klare Statistik. Das heißt, wir sprechen, wenn es um wirkliche Religiosität geht, über viel kleinere Zahlen. Deswegen finde ich diese Angst schon mal relativ unbegründet. Eine zweite Sache ist: Es geht nicht darum alles zu relativieren, sondern natürlich auch darum, kritisch miteinander ins Gespräch zu kommen.

DOMRADIO.DE: Das Kopftuch bei Muslimen wird in unserer Gesellschaft ja nicht nur als religiöses Symbol, sondern auch als politisches Symbol gesehen, oder?

Zimmermann: Ja, da sind wir beim Thema der Symbole. Ich glaube, dass hinter dem Kopftuch viel mehr steckt. Das Kopftuch ist auch ein Symbol für Identität – das sind viele Ebenen. Ich bin natürlich kein Muslim, ich spreche von außen. Für mich wäre das kein religiöses Symbol. Aber das ist eine Debatte, die intern in den muslimischen Gemeinschaften geführt werden muss. Ich stelle nur fest, dass das Kopftuch in bestimmten Milieus an Bedeutung gewonnen hat – auch als Ausdruck einer Identität, die im öffentlichen Diskurs vielfach negiert wird.

Wir haben bis vor kurzem noch öffentliche Verlautbarungen gehabt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Wenn ich das als junge Frau höre, die hier vielleicht in zweiter oder dritter Generation lebt – oft sind es Frauen aus dieser Generation, die sich plötzlich für das Kopftuch entscheiden – dann würde ich das als Angriff auf meine Kultur verstehen. Dann suche ich nach Zeichen der Identifikation und trage das Kopftuch aus ganz anderen Gründen.

Das Symbol Kopftuch hat meines Erachtens sehr viele Nuancen. Dazu gehört auch, dass es in bestimmten Milieus ein Zeichen der Unterdrückung ist. Ich habe auch viel Post von betroffenen Frauen in solchen Situationen bekommen. Da sind wir als Zivilgesellschaft aufgerufen, sehr deutlich und klar Stellung zu beziehen.

DOMRADIO.DE: Kommen wir nochmal auf das Neutralitätsgesetz zu sprechen. Die Berliner CDU und die SPD hält daran fest. Die Grünen begrüßen eher Ihre Einstellung. Ist es nicht kontraproduktiv, wenn Sie als katholische Schule das Gesetz umgehen?

Zimmermann: Ich umgehe überhaupt kein Gesetz. Dieses Gesetz gilt nicht für alle freien Träger, es gilt nur für staatliche Schulen. Das heißt, jeder freie Träger kann damit umgehen, wie er möchte. Und gerade als kirchliche Schule habe ich einen Auftrag und sogar die Pflicht dafür zu werben, dass religiöse Symbole in unserer Öffentlichkeit Platz haben müssen.

Und es liegt ja eine gesellschaftliche Lebenslüge dahinter zu sagen: Das Symbol könnte andere belästigen, deswegen gehört es in den privaten Raum. Entschuldigung, ich kann heute gar nicht mehr ins Fitness-Studio gehen ohne über einen Buddha zu stolpern. Unsere Gesellschaft ist voll mit religiösen Symbolen – nur, dass sie oft gar nicht mehr als religiöse Symbole genutzt oder ignoriert werden. Aber plötzlich pickt man sich ein Symbol heraus und hängt sich daran auf.

Das Gespräch führte Beatrice Steineke. 


Quelle:
DR
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