Michael Kleeberg über 'Der Idiot des 21. Jahrhunderts'

Was verbindet Orient und Okzident?

Orient und Okzident, Aussteiger, Christentum, Kapitalismus, Islam und die Suche nach dem Glück. Michael Kleeberg verwandelt in seinem Roman 'Der Idiot des 21. Jahrhunderts. Ein Divan' die Fragen unserer Zeit in packende Literatur.

Michael Kleeberg / © Lothar Köthe (Galiani Verlag)

"Wir haben den Siedepunkt einer geistigen Auseinandersetzung erreicht, die fast schon die Vorboten eines geistigen Bürgerkrieges in sich trägt", sagt Michael Kleeberg im DOMRADIO.DE Interview. Jede Äußerung müsse man viermal im Mund umdrehen, weil sie sofort extremste Meinungsäußerungen hervorrufe. Michael Kleeberg hat diese Erfahrung selbst gemacht, als er sich in seiner Frankfurter Poetikvorlesung 2017 kritisch über den Islam und das Auftreten der Muslime äußerte. Im DOMRADIO sagt er, dass ein Roman wahrscheinlich die einzige Form sei, dieser wahnsinnig komplexen Gemengelage gerecht zu werden.

In dem Buch 'Der Idiot des 21. Jahrhunderts. Ein Divan' schreibt Kleeberg über den Orient und den Okzident. Hermann aus der Pfalz verliebt sich in Maryam, die aus dem Iran stammt. Die beiden wandeln in den Spuren historischer Liebespaare wie Leila und Madschnun, dem berühmten persischen Liebespaar aus dem 13. Jahrhundert. Ihre Liebe scheitert. Maryam verläßt Hermann. Als dann auch noch seine Doktorarbeit über die Spiritualität des Widerstands abgelehnt wird, zieht sich Hermann, der sich als grundlegend gescheitert sieht, aus der Welt zurück. Er geht ins Kloster, arbeitet als Schäfer, sucht die Einsamkeit.

Glauben und Denken widersprechen sich nicht

Michael Kleeberg webt in diese Liebesgeschichte weitere Handlungsstränge ein, die ein ganzes Kaleidoskop wunderbarer Geschichten ergeben. Dabei schneidet er Glücksmomente und idyllische Augenblicke der Seligkeit zum Beispiel im dörflichen Umfeld einer Gartenoper hart neben Bürgerkrieg, Horror, Hass und Gewalt. Er erzählt wie Islamisten junge Menschen zu Terroristen machen, wie Religion missbraucht wird, um Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Und dazwischen versucht sich der 'Waldgänger' Hermann, den Kleeberg auch als störrischen Hornochsen bezeichnet, über sich selbst und die Welt klarer zu werden. In der islamischen Mystik findet er erstaunliche Parallelen zur spätmittelalterlichen christlichen Mystik. Hermann erfährt, dass der wirklich praktizierende und überzeugte Mystiker, der im Anblick des geliebten Menschen Gott schaut und durch diese Einheit sein ganzes Leben befreit, der braucht die religiös theologische Hierarchie nicht mehr und kommt dementsprechend auch oft genug mit ihr in Konflikt.

Hermann ist davon überzeugt, dass sich Glauben und Denken nicht widersprechen, sondern ergänzen. Schon als Messdiener fühlte er sich von der Messe, der katholischen Wandlung angezogen. "Für jemanden, der mit der Heiligen Messe aufwächst, ist dieser Moment der Eucharistie der mystische Kreuzungs- und Knotenpunkt", sagt Kleeberg.

Der Autor als Wasserträger

Am Ende seines Romans findet Hermann zurück in die Gemeinschaft von Freunden – und er findet auch seine Maryam wieder. Ein Märchen? Ja, das ist es vielleicht auch. Ein sehr reales Märchen, das uns hilft zu verstehen, wer wir sind und in welcher Welt wir leben. Dabei schöpft Kleeberg aus einem grandiosen Fundus kulturellen Wissens. 'Ein Divan' nennt er seinen Roman und spielt damit auf die legendäre Gedichtsammlung 'West-östlicher Divan' von Goethe an. Auch sein Roman ist eine Annäherung an die orientalische Literatur. Und in der Titelüberschrift 'Der Idiot des 21. Jahrhunderts' greift Kleeberg Dostojewskis Roman 'Der Idiot' um den Fürsten Myschkin auf. Kleebergs Figuren und Handlungen zitieren leichthändig literarische Vorlagen, die aus der Vergangenheit in die Zukunft weisen, ohne aufdringlich oder aufgesetzt Bildungshuberei zu betreiben.

Denn Michael Kleeberg sagt, als Autor sehe er sich als eine Art Wasserträger: "Wenn früher im Dorf ein Feuer war, haben die Menschen doch eine Eimerkette gebildet, sich von Hand zu Hand die Wassereimer weitergereicht, um gemeinsam das Feuer zu löschen", erzählt Kleeberg. "Ähnliches könnte man auch über die Tradition des Geschichtenerzählens über die Zeiten hinweg sagen. Geschichtenerzähler geben sich gegenseitig den Eimer der Erzählungen und der Geschichten in die Hand und tragen ihn weiter. Und ich bin in diesem Buch einer in dieser Kette".


Quelle:
DR