Wie Deutschland juristisch auf "politischen Islam" reagieren könnte

"Der Handlungsspielraum wäre da"

Österreich will mit Moscheeschließungen und der Ausweisung von Imamen gegen den "politischen Islam" vorgehen. Der türkische Präsident spricht von einem "Kreuzzug" und kündigt Konsequenzen an. Könnte Ähnliches in Deutschland passieren?

Muslime beten in einer Moschee / © Daniel Naupold (dpa)
Muslime beten in einer Moschee / © Daniel Naupold ( dpa )

DOMRADIO.DE: Österreich hatte jüngst die Ausweisung von bis zu 40 Imamen und die Schließung von sieben Moscheen angekündigt. "Parallelgesellschaften, politischer Islam und Radikalisierungstendenzen haben in unserem Land keinen Platz", sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Die Reaktion des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan folgte prompt. Er kündigte eine nicht näher beschriebene Antwort der Türkei an. "Ich fürchte, dass die Schritte des österreichischen Bundeskanzlers die Welt zu einem neuen Kreuzzug führen."

Kurz sprach von einer Maßnahme "gegen den politischen Islam". Wie sieht das denn aus? Darf eine Religion nicht politisch sein?

Josef Isensee (Staatsrechtler und Staatsphilosoph): Eine Religion darf politisch sein. Es ist aber so, dass sie keinen Freibrief hat, sich in allen Lebensbereichen zu engagieren und gleichzeitig das Grundrecht der Religionsfreiheit auszuüben. Sie kann über die Religionsfreiheit hinaus wirken. Das garantieren ihr auch noch andere Grundrechte. Innerhalb der Religionsfreiheit hat sie auch in gewissem Umfang die Möglichkeit, zu bestimmen, was religiös motiviert ist und was nicht. Aber diese Selbstdefinition ist nicht unbegrenzt. Sie kann nicht jede Ihrer Aktivitäten religiös deklarieren. Die Religionsfreiheit hat auch ihre thematischen Grenzen.

DOMRADIO.DE: Wo liegen denn diese Grenzen der Religionsfreiheit genau?

Isensee: Das ist nicht ganz einfach zu sagen. Die Religion ist im Kern der Glaube an letzte Dinge, der Glaube an Gott, an einen verpflichtenden Grund allen Handelns. Die Religion zielt über den weltlichen Horizont - innerhalb dessen das staatliche Recht liegt - hinaus in eine Sphäre, die den weltlichen Staat an sich nichts angeht. Insofern hat die Religion einen Grund, der vom Staat als solcher auch nicht weiter behandelt wird.

Allerdings bedeutet es, dass dieser Glaube an Gott und letzte Dinge den Einzelnen bewegen kann, praktische Dinge im Leben zu tun. Und diese praktischen Dinge müssen sich in die allgemeine Rechtsordnung einfügen, wenn sie über den inneren Kreis des Gläubigen und der Glaubensgemeinschaft hinaus greifen. Hier stoßen sie auf Grenzen, auf Rechte der anderen und auf Rechte der staatlichen Gemeinschaft.

DOMRADIO.DE: "Dies werde die Welt zu einem neuen Kreuzzug führen" kritisierte der türkische Präsident Erdogan die Schritte des österreichischen Bundeskanzlers. Ist das eine typische Erdoğan-Rhetorik?

Isensee: Das ist eine typische Erdoğan-Rhetorik, die allerdings auch anderen muslimischen Agitatoren eigen ist. Ihr großes Trauma sind die Kreuzzüge, obwohl der Islam selber ja aus eigenen Kreuzzügen hervorgegangen ist. Es wird von unseren wohlwollenden Politikern, die sich gern als Islam-Exegeten betätigen, immer wieder hervorgehoben, dass es im Islam durchaus friedensfreundliche Stellen gibt, wie es auch Stellen gibt, die Gewaltsamkeit legitimieren können. Es wird aber vergessen, dass der Gründer des Islam, Mohammed, ein erfolgreicher Krieger und ein höchst aktiver Feldherr war und damit eine ganz andere Gründerfigur darstellt als die des Christentums.

Es ist ja doch der Krieg mit Feuer und Schwert, der den Islam über die ganze arabische Halbinsel, über ganz Nordafrika bis an die Ostgrenzen Asiens und bis vor die Tore Wiens geführt hat. Das war ein kriegerischer Erfolg. Insofern mehr als die Kreuzzüge des Mittelalters jemals angestrebt haben. Gleichwohl ist es ein dauerndes Trauma gewesen.

Hier meint Erdoğan, er könne in ein schlechtes europäisches Gewissen eingreifen und das gleichsam als Nasenring für seine eigene Politik nutzen. Von dieser Rhetorik sollte man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Aber er weiß sehr wohl, wo er in Europa auf empfindliche Stellen trifft.

DOMRADIO.DE: Auch bei uns in Deutschland gibt es Moscheen und Islamverbände, auf die mit einiger Skepsis geschaut wird. Wäre denn so ein Szenario wie zwischen Österreich und der Türkei auch bei uns denkbar und wenn ja: Welche Auswirkung hätte es für das Verhältnis zur Türkei?

Isensee: Um die zweite Frage als erstes zu beantworten: Die deutsche Politik ist gewissermaßen in Geiselhaft, weil die Türkei, in der sich etwa drei Millionen Flüchtlinge aufhalten, in der Lage ist, jederzeit die Schleusen zu öffnen und wieder gigantische Massen nach Europa zu schicken und damit Europa in allergrößte Schwierigkeiten zu stürzen. Ein Europa, das sich ja zu Grundrechten bekennt und keineswegs Flüchtlinge als Instrumente verwenden darf.

Wir haben hier die Situation einer latenten Erpressung, insbesondere der deutschen Politik, weil sich Deutschland wegen seiner besonderer Grundrechtssensibilität und seiner besonderen Attraktivität für Zuwanderer einer extrem schwierigen Lage ausgesetzt sähe.

DOMRADIO.DE: Ähnliche Schritte wie in Österreich sind von der deutschen Politik also nicht zu erwarten?

Isensee: Am allerwenigsten von der Bundeskanzlerin, die wohl nicht nur wegen dieser politischen Geiselsituation, sondern auch aus eigener Überzeugung dazu neigt, in dieser Frage besonders zurückhaltend zu sein.

Man wird hier unterscheiden müssen, in welchem Maße Imame oder Moscheevereine und sonstige islamische Verbände den Schutz der deutschen Grundrechte gegen Eingriffe genießen, wie sie in Österreich vorgenommen worden sind. Das Grundrecht der Religionsfreiheit gilt in gleichem Maße für Muslime wie für Christen und auch für solche, die keiner Religion angehören. Es ist eben ein echtes Freiheitsrecht. Das gilt für Einzelpersonen und grundsätzlich auch für Gemeinschaften.

Aber man wird bei den islamischen Verbänden unterscheiden müssen, ob es Verbände sind, die von ihren Mitgliedern getragen werden, oder ob es sich, wie im Fall Ditib, um staatliche Einrichtungen handelt. Staatliche Verbände eines ausländischen Staates haben keine Teilhabe an deutschen Grundrechten.

DOMRADIO.DE: Das heißt, da wäre durchaus eine Möglichkeit zum Handeln gegeben?

Isensee: Sie wäre auch sonst gegeben, wenn es ernsthafte Gründe gibt. Wenn also elementare Verstöße gegen Grundlagen des deutschen Rechts stattfinden. Aber das Entscheidende ist die Position des Moscheeverbandes Ditib. Diese ist eine schwächere als die der echten Religionsgemeinschaften, die sich aus dem Kreis ihrer Mitglieder oder einer sonst autonomen Einrichtung rekrutieren. Die gibt es ja in größerem Umfang. Bei der Ditib handelt es sich um eine staatliche Einrichtung, die der verlängerte Arm des türkischen Religionsministeriums ist, das seinerseits dem Staatspräsidenten zugeordnet ist, sodass der Staatspräsident selbst Durchgriff auf die Ditib-Landesverbände in Deutschland hätte.

Im Übrigen wird die deutsche Organisation in einem hohen Maße auch noch von der türkischen Botschaft gesteuert. Ausländische Botschaften sind Teil eines fremden Staates und haben eine völkerrechtliche Beziehung zum Gastland. Aber ausländische Botschaften haben keine Teilhabe an deutschen Grundrechten. Das gilt nicht nur für Botschaften und Konsulate. Das gilt auch für sonstige staatliche Einrichtungen wie Kulturinstitute. Das gilt damit auch für den Moscheeverband Ditib in Deutschland.

DOMRADIO.DE: Dann wäre eine Ausweisung von Ditib-Verantwortlichen, von Imamen, mit einer Ausweisung von Diplomaten gleichzusetzen?

Isensee: So ähnlich. Die Diplomaten haben einen noch privilegierten Status. In einer solchen Weise sind die Imame, die ja alle Angestellte des türkischen Regionsministeriums sind, nicht geschützt.

Es gibt einen großen verfassungsrechtlichen Handlungsspielraum, den das Verfassungsrecht offenhält, wie er für andere Religionsgemeinschaften nicht besteht. Insofern ist der politische Handlungsspielraum Deutschlands von der Verfassung her gesehen relativ weit.

DOMRADIO.DE: Er ist relativ weit, wird aber aufgrund der aktuellen Situation, des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei, nicht genutzt?

Isensee: Das Recht hält einen weiten Handlungsspielraum offen. Aber die politischen Rücksichten sind hier natürlich in einem ganz besonderen Maß gegeben, sodass die rechtliche Freiheit in gewissem Maße durch politischen Druck reduziert wird.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.


Professor Josef Isensee / © N.N. (KNA)
Professor Josef Isensee / © N.N. ( KNA )

Verteidiger christlicher Werte: Sebastian Kurz / © Pavel Golovkin (dpa)
Verteidiger christlicher Werte: Sebastian Kurz / © Pavel Golovkin ( dpa )

Recep Tayyip Erdogan / © Str (dpa)
Recep Tayyip Erdogan / © Str ( dpa )

Logo der Ditib in Stuttgart / © Marijan Murat (dpa)
Logo der Ditib in Stuttgart / © Marijan Murat ( dpa )
Quelle:
DR