Indonesien streitet über Gesichtsschleier

Nikab gleich Radikalisierung?

Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt – mit einer moderaten Form des Islams. Inzwischen sieht man aber auch dort mehr und mehr Frauen mit Gesichtsschleier auf der Straße. Das sorgt für Debatten.

Autor/in:
Ahmad Pathoni
Juanita Vyatri aus Indonesien / © Ahmad Patoni (dpa)
Juanita Vyatri aus Indonesien / © Ahmad Patoni ( dpa )

An die Blicke hat sich Juanita Vyatri inzwischen gewöhnt. Zehn Jahre trägt die Muslimin aus Indonesiens Hauptstadt Jakarta nun schon in der Öffentlichkeit den Nikab, den schwarzen Schleier, der von ihrem Gesicht nur einen Schlitz für die Augen freilässt. "Anfangs", so erinnert sich die 32-Jährige, "haben die Leute gedacht, dass eine Frau mit Nikab eine Terroristin ist. Oder die Frau eines Terroristen."

Beispiel für Vereinbarkeit von Islam und Demokratie

Damals war sie mit dem Nikab in ihrer Heimat noch eine große Ausnahme. Der Inselstaat in Südostasien mit seinen mehr als 225 Millionen Muslimen ist zwar das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt; aber bislang war Indonesien für moderate Formen des Islams bekannt – und auch als Beispiel dafür, dass Islam und Demokratie durchaus gut miteinander zu vereinbaren sind. Aber seit einiger Zeit gewinnen radikalere Kräfte an Einfluss.

Normalerweise tragen muslimische Frauen hier ein Kopftuch, das zwar die Haare bedeckt, nicht aber das Gesicht. Der Nikab hingegen ist vor allem auf der Arabischen Halbinsel verbreitet, in Saudi-Arabien und im Jemen. Viele argumentieren, dass der Schleier mit Sehschlitz – nahe an der Grenze zur Vollverschleierung durch die Burka – seinen Ursprung in der arabischen Tradition hat, nicht im Islam.

Nikab – ja oder nein?

Trotzdem ist inzwischen auch in Indonesien eine kleine – und wachsende – Minderheit muslimischer Frauen dazu übergangen, nur noch mit dem Nikab auf die Straße zu gehen. "Heute erntet man kaum noch verdächtige Blicke", sagt Vyatri, die in einem Startup-Unternehmen am Stadtrand von Jakarta ihr Geld mit der Entwicklung von Apps für Mobiltelefone verdient. "Ich glaube, dass das die Leute hier inzwischen akzeptieren."

So weit würden die meisten Indonesier wohl nicht gehen. Die Frage, ob Frauen in der Öffentlichkeit ihr Gesicht verhüllen dürfen oder nicht, sorgt immer wieder für Debatten. Obwohl 87 Prozent der Bevölkerung islamischen Glaubens sind, ist Indonesien ein säkularer Staat. Für manche ist der Nikab Indiz dafür, wie sehr religiöse Fundamentalisten an Einfluss gewinnen.

Diskussion um Verschleierungsverbot

Tatsächlich gibt es zunehmend solche Tendenzen. Im vergangenen Jahr wurde der christliche Gouverneur von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama (Spitzname: Ahok), nicht nur abgewählt, sondern auch zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Hauptvorwurf gegen den Vertrauten von Staatspräsident Joko Widodo: Er soll im Wahlkampf den Islam beleidigt haben. International gab es daran viel Kritik. Trotzdem sitzt Ahok bis heute in Haft.

Widodo versichert zwar: "Der Islam war in Indonesien stets friedlich und tolerant. Daran wird sich nichts ändern. Pluralismus gehört zu unserer DNA." Aber eine Studie der Denkfabrik Alvara ergab kürzlich, dass 23 Prozent der indonesischen Studenten für die Ausrufung eines islamischen Staats wären. Wegen ihrer Pläne zur Errichtung eines Kalifats wurde die muslimische Gruppe Hijbut Tahrir Indonesia (HTI) im vergangenen Jahr von der Regierung verboten. Wie in Europa gibt es auch hier Forderungen, die Vollverschleierung zu verbieten.

"Man muss die Leute erkennen können"

Der Muslim-Schüler Yahya Cholil Staquf gehört zu denjenigen, die ein Verbot des Nikab unterstützen. "Das scheint harmlos zu sein. Aber wir sollten uns darüber bewusst werden, welches Gedankengut damit verbreitet wird", sagt er.

"Wenn man dagegen nichts unternimmt, kann das in den Extremismus führen." Deshalb sollte das Tragen des Nikab – wie mancherorts in Europa – im öffentlichen Raum verboten werden, meint er. "Man muss die Leute erkennen können."

Forderung nach Toleranz für Nikab-Trägerinnen

Die Meinungen über ein solches Verbot sind geteilt. Inzwischen setzen sich einige Nikab-Trägerinnen offen dagegen zur Wehr, dass sie zum Symbol für eine vermeintliche Radikalisierung des Landes gemacht werden. Dazu haben sie eigens eine Gruppe namens "Niqab-Kommando" gegründet. Neben Ärztinnen, Juristinnen und Journalistinnen gehört zu den Gründerinnen auch die TV-Prominente Indadari Mindrayanti.

Die einstige Talkshow-Frau, die jetzt Mode entwirft, sagt: "Unser Ziel ist es, dem Nikab zu gesellschaftlicher Anerkennung zu verhelfen. Das ist ein Symbol der Würde und Pietät. Wenn sich die Leute daran gewöhnen, dass Frauen einen Nikab tragen, wird das hoffentlich kein Stigma mehr sein."

Für die App-Entwicklerin Vyatri, die mit dem Nikab an ihrem Laptop sitzt, ist die Sache eigentlich längst schon entschieden. In ihrer Firma habe niemand etwas dagegen, dass sie verschleiert zur Arbeit komme. "Ich glaube, dass die Leute im Technologie-Bereich toleranter sind als anderswo", sagt Vyatri. "Worauf es ankommt, ist, dass du deine Arbeit ordentlich machst."

Gesichtsverschleierung

Das Kopftuch von Musliminnen gehört zu den meistdiskutierten Symbolen islamischen Glaubens. Für die einen ist es Zeichen der Unterdrückung der Frau im Islam, für die anderen Ausdruck der Religionsfreiheit und der weiblichen Selbstbestimmung. Hinter der Bezeichnung "Kopftuch" verbergen sich unterschiedliche Formen von Überwürfen. Der "Dschilbab" ähnelt am ehesten dem europäischen Kopftuch; er wird als Überwurf über Kopf, Schultern und Brust getragen. Der "Nikab" ist ein Gesichtstuch mit einem Schlitz für die Augen.

Frau mit Kopftuch / © Harald Oppitz (KNA)
Frau mit Kopftuch / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
dpa