Moscheen als Motor im Kampf gegen Radikalisierung nutzen

Experten wünschen sich mehr Sachlichkeit

Wissenschaftler warnen davor, für die Radikalisierung von Jugendlichen allein Islamverbände und Moscheegemeinden verantwortlich zu machen. Damit sie zur Prävention beitragen könnten, brauche es Unterstützung. Es gibt dafür auch eine Idee.

Autor/in:
Paula Konersmann
Junge Muslime / © Axel Heimken (dpa)
Junge Muslime / © Axel Heimken ( dpa )

Spätestens seit den Vorwürfen, dass Ditib-Imame für den türkischen Geheimdienst spionieren, stehen die Islamverbände in der Kritik. Ermittlungen gegen die betroffenen Imame hat die Bundesanwaltschaft vor kurzem eingestellt. Es gebe durchaus heikle Einzelfälle, meinen Experten. Den Vorwurf, dass die Islamverbände radikale Salafisten regelrecht züchteten, halten sie jedoch für überzogen.

In den etablierten Moscheeverbänden und ihre Moscheen sind nach Schätzung von Hamdan Hussein etwa 40 Prozent der deutschen Muslime organisiert. "Sie können nicht hauptverantwortlich für das Erstarken der salafistischen Szene gemacht werden", sagt Leiter des Projekts "Muslime als Partner in Baden-Württemberg" an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Andere Schätzungen gehen davon aus, dass 20 Prozent der deutschen Muslime organisiert sind.

Andere Strukturen

Was die öffentliche Wahrnehmung angeht, offenbart sich schon beim Blick auf diese Zahlen ein Teil des Problems, meint der Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Der Islam kennt keine Struktur, die der kirchlichen entspricht. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch ist im Islam eine direkte; Priester sind zur Pflege dieser Beziehung - theologisch gesehen - nicht nötig. "Als frommer Muslim muss man nicht organisiert sein", erklärt Kiefer. "Daher wird sich an den Strukturen kaum etwas ändern."

Der Religionswissenschaftler Michael Blume vertritt zudem die These, dass immer mehr Muslime sich von der Religion abwenden. In anonymen Umfragen bezeichnet sich seinen Angaben zufolge eine wachsende Zahl von Deutschen etwa türkischer oder iranischer Herkunft als konfessionslos. Als Hauptgrund dafür sieht er eine "Selbstzerfleischung" der islamischen Gesellschaften.

Hamdan sieht es ähnlich: Das Aufkommen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) habe auch hierzulande Spuren hinterlassen. Viele Muslime fühlten sich unter Pauschalverdacht. Auch bei anderen Diskussionen, etwa über den islamischen Religionsunterricht, bleibe oft der Eindruck, nicht recht vom Fleck zu kommen.

Wie religiös "die" Muslime tatsächlich sind, lässt sich also nicht ohne weiteres beantworten. Die meisten Radikalen allerdings hatten laut Hamdan zunächst keinerlei Bezug zu einer Moscheegemeinde.

Zuletzt hätten insbesondere viele Konvertiten den salafistischen Islam angenommen. 10.800 Personen werden bundesweit wegen Salafismus-Verdachts beobachtet, etwa zehn Prozent von ihnen dem radikalen Spektrum zugerechnet.

Die Bekämpfung von Extremismus betrachtet Hamdan als zivilgesellschaftliche Aufgabe. "Wir können sie nicht nur den Muslimen überlassen", mahnt er. Wichtig sei beispielsweise, dass kirchliche Einrichtungen weiterhin den Dialog suchten.

An die Jugend herantreten

Potenzial sieht Hamdan zudem bei der jungen Generation. 40 Prozent aller Muslime in Deutschland sind unter 25; das entspricht etwa 1,6 bis 1,8 Millionen Menschen. Unter Jugendverbänden gebe es viele gute Initiativen, sagt Hamdan. Nötig sei allerdings eine Zusammenarbeit mit etablierten Trägern: "Es ist utopisch zu glauben, dass jeder einzelne Moscheeverband beispielsweise ein eigenes Präventionsprojekt durchführen kann. Dazu fehlen Ressourcen und Know-How."

Laut Kiefer können die Verbände ihre Mitglieder sensibilisieren und sich dafür einsetzen, dass Extremisten bei ihnen nicht auftreten dürfen. Und: "In der religiösen Sozialisation kann man dafür sorgen, dass Kinder einen reflektierten Umgang mit dem Koran und den Geboten lernen." Gemeinsam mit Trägern etwa der Jugendhilfe ließen sich auch professionelle Präventionsprojekte umsetzen.

Manche Muslime müssten die eigenen Prioritäten überdenken, fordert Hamdan. Gemeindemitglieder spendeten gern für prachtvolle Details in Moscheen. "Vielleicht könnte man auf manche architektonische Feinheit verzichten - und Spenden zusätzlich in Stellen und Projekte stecken." Auch plädiert Hamdan für klarere Strukturen. Moscheen brauchten hauptamtliche, geschulte Ansprechpartner - und bei der Islamberatung, die sein Haus gemeinsam mit der Robert-Bosch-Stiftung und der Kehler Hochschule für öffentliche Verwaltung anbietet, werde auch über solche Fragen gesprochen. Hamdan: "Ohne Struktur wird man niemals Partner auf Augenhöhe sein."


Quelle:
KNA