Über weibliche Terroristinnen bestehen noch viele Klischees

Dschihad statt Disney

In Kürze soll das Urteil gegen Safia S. fallen, die vor einem Jahr einen Polizisten in Hannover angegriffen hatte. Seit Jahren werben Terroristen gezielt um Frauen wie sie. Die Debatte darüber steht noch am Anfang.

Autor/in:
Paula Konersmann
Auch Frauen werden vom IS angeworben / © Amel Pain (dpa)
Auch Frauen werden vom IS angeworben / © Amel Pain ( dpa )

Februar 2016 in Hannover: Safia S., 15 Jahre alt, verletzt einen Polizisten lebensgefährlich. In dieser Woche geht der Prozess gegen die Schülerin weiter, noch im Januar soll ein Urteil fallen. Die Bundesanwaltschaft bezeichnet ihre Tat als "Märtyreroperation" für die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Den Ermittlungen zufolge wollte Safia S. nach Syrien ausreisen. Damit wäre sie kein Einzelfall gewesen. Jeder fünfte Ausreiser ist nach Angaben des Bundeskriminalamtes weiblich.

IS versucht Frauen anzuwerben

Die Hintergründe dieser Entwicklung sind vielfältig. Forscher beobachten seit etwa vier Jahren gezielte Versuche des IS, Frauen für sich zu gewinnen. Dabei arbeiten die Terroristen teils mit Klischees wie aus Disney-Filmen, so die Politikwissenschaftlerin Petra Ramsauer. "In der virtuellen Welt wird aus dem Leben im Kalifat eine abstruse Klassenfahrt, im Zuge derer alles abgelehnt wird, was in der europäischen Welt Wert hatte, und sich die Frauen dafür einem rigiden System unterwerfen", schreibt sie in "Die Dschihad Generation".

Nach Einschätzung des Londoner Terrorforschers Peter Neumann sind solch naive "Dschihad-Bräute", die aus romantischen Gründen ausreisen, jedoch die Minderheit. Manche Frauen werden innerhalb der "Schwesternschaft" des IS selbst zu Kämpferinnen, allen voran bei der Al-Khanssaa-Brigade, einer Art weiblichen Scharia-Polizei. Bei Al Qaida, jener Organisation, die die Anschläge des 11. September 2001 verübte, gab es laut Neumann noch keinen Platz für Frauen. Im IS dagegen spielen Frauen ausdrücklich eine Rolle.

Nicht selten fühlen sich junge Frauen in Europa zunächst aus humanitärem Interesse von der IS-Propaganda angesprochen, hat die kanadische Forscherin Marie Lamensch beobachtet. "Viele von ihnen möchten eigentlich Ärztinnen, Krankenschwestern oder Sozialarbeiterinnen werden."

Falsch verstandene Freiheit

Besonders viele Reaktionen erzielen laut Bundeszentrale für politische Bildung denn auch jene Propaganda-Bilder, die verwundete oder tote Kinder aus Syrien zeigen. IS-Kämpfer inszenieren sich als Helfer und Betreuer; die USA, Israel oder "der Westen" werden als "Kreuzzügler" für das Leid verantwortlich gemacht. "Diese toten Kinder sind tatsächlich da", sagt Marwan Abou-Taam vom rheinland-pfälzischen Landeskriminalamt. Sie hätten jedoch kaum jemanden interessiert, bevor die Flüchtlingszahlen in Europa stiegen. "Diese Nische hat der IS besetzt."

Hinzu kommen junge Frauen, die den Anschluss an den IS als Akt der Befreiung betrachten. Viele schwärmten von der Freiheit, sich verhüllen zu dürfen, ohne dafür gemobbt zu werden, so Ramsauer.

Umgekehrt hätten sie die Rechte und Möglichkeiten in den europäischen Staaten oftmals eben nicht als befreiend, sondern verwirrend erlebt, ergänzt Neumann in seinem Buch "Der Terror ist unter uns". Und manche westlichen Werte, allen voran einen "robusten Säkularismus", nähmen sie als regelrechte Unterdrückung wahr.

Größere Wertschätzung nötig

Ähnlich formuliert es die muslimische Religionspädagogin Lamya Kaddor. Die westlichen Freiheiten brächten die Verpflichtung mit sich, sie sinn- und verantwortungsvoll zu nutzen. Dies überfordere manche, erklärt sie in ihrem Bestseller "Zum Töten bereit". Auch würden junge Musliminnen die Rolle als Ehefrau und Mutter niemals so geringschätzig beschreiben, wie es in Europa oft geschehe - sondern eher die westliche Pflicht, ins "Hamsterrad des beruflichen Wettstreits" treten zu müssen.

Aus Sicht der islamischen Theologin Hamideh Mohagheghi wäre daher mehr Wertschätzung wichtig, wenn Frauen sich verstärkt der Familie widmen wollen. "Man sollte insgesamt jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich für die Familie zu entscheiden, ohne dass sie Angst um ihre Arbeitsstelle haben müssen", betont sie.

Welche Motive Safia S. im Einzelnen zu ihrer Bluttat motivierten, ist noch unklar. Das Thema wird Forschung, Politik und die Öffentlichkeit allerdings über den Einzelfall hinaus weiter beschäftigen: Im März kommt der Spielfilm "Der Himmel wird warten" über weibliche Terroristinnen in die Kinos, im Mai erscheint eine Studie über "Dschihadistinnen".


Quelle:
KNA