Das Koranverteilen in Fußgängerzonen soll verboten werden

"Es geht um den Effekt"

Es ist ein befremdliches Bild: Salafisten verteilen Korane in Fußgängerzonen. Mehr als drei Millionen Exemplare sollen inzwischen weitergegeben worden sein. Der Islamexperte Dr. Thomas Lemmen erklärt den eigentlichen Zweck der Aktion.

Ein Mann verteilt in der Innenstadt von Hannover kostenlose Koran-Exemplare an Passanten / © Julian Stratenschulte (dpa)
Ein Mann verteilt in der Innenstadt von Hannover kostenlose Koran-Exemplare an Passanten / © Julian Stratenschulte ( dpa )

domradio.de: Darf man das Verteilen von Koranen in Fußgängerzonen verbieten?

Dr. Thomas Lemmen (Theologe und Experte für christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln): Das Lesen und Verteilen religiöser Literatur fällt in den Bereich der vom Grundgesetz geschützten Religions- und Meinungsfreiheit. Das kann man also nicht so einfach verbieten.

Was man allerdings verbieten kann, ist das Verteilen in öffentlichen Einrichtungen wie zum Beispiel Schulen und Universitäten. Dort wo der Staat das Sagen hat, kann er es verbieten.

domradio.de: Die FDP fordert aber nun ein generelles Vervot. Wie kommt es dazu?

Lemmen: Das ist eine Schlussfolgerung, die angesichts eines neuen Phänomens entstanden ist. Ich selber weiß nicht, wie man das verbieten will. Meiner Meinung nach kann die Antwort auf religiösen Extremismus nicht sein, Religion zu verbieten. Das macht das ganze schwierig. Wie Sie sich denken können, müsste man dann auch das Verteilen von Bibeln verbieten.

Die Antwort kann also nicht sein, Religion aus der Öffentlichkeit zu Verbannen. Außerdem muss man religiöse Schriften, die beispielsweise auch hier auf der Domplatte verteilt werden, nicht mitnehmen.

domradio.de: Welche Gefahr geht von der Koranverteilung aus?

Lemmen: Das Verteilen von Koranen hat eher eine symbolische Bedeutung. Man will damit zeigen: "Wir sind da. Wir sind in der Öffentlichkeit." Es ist eine Interessenvertretung des Islams – so wie Salafisten ihn verstehen.

domradio.de: Also halten Sie die Gespräche darüber für gefährlicher?

Lemmen: Alleine, dass wir uns darüber unterhalten und damit zur Verbreitung dieser Aktion beitragen ist der Effekt, der erreicht werden soll. Die Presse sollte darüber berichten um so die Öffentlichkeit zu erreichen. Ob jemand den Koran liest oder nicht, ist von zweitrangiger Bedeutung.

domradio.de: Aktivisten behaupten, es wäre die erste Übersetzung, die ein Moslem in deutscher Sprache vorgenommen hat, stimmt das?

Lemmen: Das ist eine klare Fehleinschätzung. Muhammad Ahmad Rassoul hat eine Übersetzung vorlegt, die von vielen als erste angesehen wird. Das stimmt aber nicht. Rassoul hat sich bei seiner Übersetzung auf die Ahmadiyya berufen. Das ist eine Sekte oder auch Sondergruppe des Islams, die viele Muslime nicht für authentisch halten. Von denen hat Rassoul abgeschrieben.

Auch die Ahmadiyya hat den Koran nicht selbst übersetzt, sondern eine Übersetzung von Lazarus Goldschmidt benutzt. Wie man am Namen erkennen kann, ist das ein jüdischer Gelehrter, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den babylonischen Talmud und nebenher den Koran übersetzt hat. Mit anderen Worten verteilen Salafisten einen Koran, dessen Erstübersetzung auf einen jüdischen Gelehrten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgeht.

domradio.de: Kann nach diesem Wirrwarr am Ende noch etwas Gutes herauskommen?

Lemmen: Die, die den Koran verteilen, wissen gar nicht woher ihre Übersetzung kommt. Das sagt natürlich viel über das eigene Koranverständnis der Salafisten aus; sie haben keins.

domradio.de: Konnten Sie die Übersetzung mal vergleichen?

Lemmen: Die Übersetzung ist nicht schlimm oder falsch. Mich stört die Behauptung, es wäre eine authentische Übersetzung. Die ist nicht haltbar. Es gibt andere Übersetzungen von Muslimen, die sind genauso gut oder schlecht. Authentisch ist nur das Original in arabischer Sprache.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Ein Mann aus dem Umfeld der Koran-Verteilaktion verdeckt sein Gesicht / © Boris Roessler (dpa)
Ein Mann aus dem Umfeld der Koran-Verteilaktion verdeckt sein Gesicht / © Boris Roessler ( dpa )

Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR