Forscher fordern Ditib-Ausstieg aus Türkei-Abhängigkeit

"Keine reine Religion mehr"

Das Forschungszentrum Globaler Islam fordert vom türkisch-islamischen Verband Ditib überzeugende Konzepte, wie er sich aus der Abhängigkeit vom türkischen Staat lösen will. Der Verband spricht von einem Muslim-Bashing.

Eine Frau in einer Ditib-Moschee / © Boris Roessler (dpa)
Eine Frau in einer Ditib-Moschee / © Boris Roessler ( dpa )

Wenn der Verband weiterhin glauben machen wolle, dass er eine unabhängige Organisation in Deutschland sei, müssten sich seine Funktionäre "jenseits der Worthülsen von Demokratie und Verfassung" äußern, sagte die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter. So müsse Ditib einen Fahrplan entwickeln, wie Imame von deutschen Universitäten kommen und nicht mehr aus der Türkei, sagte die Ethnologin am Montag im WDR-Radio.

"Politischer Islam" auf dem Weg nach Deutschland

Derzeit sei Ditib strukturell abhängig von der türkischen Religionsbehörde Diyanet, sagte Schröter. Lange Zeit habe die Ditib wie der türkische Staatsislam als moderat gegolten. Doch das habe sich in den vergangenen Jahren "mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit geändert". Der türkische Staatsislam, wie er auch vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vertreten werde, "wandert immer mehr in eine islamistische Richtung und ist ganz sichtbar heute ein politischer Islam, keine reine Religion mehr", sagte die Wissenschaftlerin. Und das schwappe natürlich auch nach Deutschland.

Es sei zu begrüßen, dass nun bei deutschen Politikern eine Art "bitteres Erwachen" erfolge und bei Gesprächen mit islamischen Verbänden über den islamischen Bekenntnisunterricht an deutschen Schulen genauer hingesehen werde, sagte Schröter. Einige Politiker seien "blauäugig" in Verhandlungen gegangen. Es sei vernünftig, nun genau auf die Programme von islamischen Organisationen zu schauen und sich zu fragen, welche Art von Islam diese eigentlich vertreten.

Auch Bundespolitiker rufen zur Erdogan-Distanzierung auf

Am Wochenende hatten in der Diskussion über Kooperationen mit dem türkisch-islamischen Verband Ditib Bundespolitiker den Verband erneut zur Distanzierung von der Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufgefordert. Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte, Ditib sei "offenbar Sprachrohr von Präsident Erdogan" und sollte deshalb keinen islamischen Religionsunterricht in Schulen gestalten. Stephan Mayer (CSU) verlangte von Ditib, die "Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen".

Die kirchen- und religionspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kerstin Griese (SPD), sagte, es könne nicht geduldet werden, "dass Erdogans Politik in deutsche Moscheegemeinden hineingetragen wird". Für die Grünen betonte Volker Beck, es sei gut, dass die "deutsche Politik" im Umgang mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) "ihre Naivität" ein Stück weit abgelegt habe.

"Versuche der Einflussnahme"

Kauder sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er beobachte mit Sorge "Versuche der Einflussnahme" der türkischen Regierung auf die in Deutschland lebenden türkischstämmigen Bürger. Eine Zusammenarbeit könne nur fortgesetzt werden, wenn sich Ditib nicht als "unkritisches Sprachrohr instrumentalisieren lässt", sagte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Mayer der "Welt".

Griese sagte der "Welt", sie erwarte, dass der Verband "die Verhaftungswelle sowie die Einschränkungen von Demokratie und Meinungsfreiheit in der Türkei nicht rechtfertigt oder gar unterstützt". FDP-Chef Christian Lindner forderte laut "Bild am Sonntag" von allen Islamverbänden, "eine deutlich entschlossenere Arbeit gegen jede Form der Radikalisierung".

Ditib, der größte Islamverband in Deutschland, ist eng mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden, die zum Beispiel die Imame für die Ditib-Moscheen schickt und bezahlt. Kritik daran gibt es seit Jahren. In mehreren Bundesländern arbeitet die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) am Religionsunterricht mit. Beck kritisierte auch den Umgang von Ditib-Vertretern mit der Resolution des Bundestags zum Völkermord an den Armeniern.

Ditib: Bashing von Muslimen

Ditib-Sprecher Zekeriya Altug hatte gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) von "Bashing von Muslimen" gesprochen. Durch das Verhalten mancher Politiker würden die Muslime genau zu dem gedrängt, was man ihnen unterstelle: Dass sie sich von Deutschland weiter entfremden. Ditib habe "stets zu Ruhe und Entspannung aufgerufen", sagte er.

Griese und Beck forderten am Wochenende aber auch dazu auf, mit Ditib im kritischen Gespräch zu bleiben. Bisher habe der Islam in Deutschland keine repräsentativen Vertretungsformen, sagte Griese.

Das liege daran, dass der Islam zwar eine Religion, aber keine Kirche sei. Dennoch könne sich der Islam in Deutschland demokratisch repräsentativ organisieren.

Beck und Griese: Im kritischen Gespräch bleiben

Beck forderte eine "bekenntnisförmige Neuorganisation" der Muslime zu Glaubensgemeinschaften. Bisher bezögen sich die islamischen Verbände in ihrer Abgrenzung untereinander nicht auf religiöse, sondern auf politische und sprachliche Unterschiede.

Auch der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet forderte im Deutschlandfunk, Ditib müsse "sich völlig neu organisieren und auch unabhängig machen". Laschet verwies aber auch darauf, dass deutsche Behörden über Jahrzehnte froh gewesen seien, dass Ditib sich um die türkischen Gläubigen gekümmert habe. Weil Ditib vom türkischen Staat abhängig sei, sei damit auch garantiert gewesen, "dass ein Islam in den Moscheen gepredigt wurde, der mit dem Grundgesetz vereinbar ist", sagte er.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung hatte am Freitag angekündigt, die Gespräche mit den islamischen Verbänden, auch Ditib, vorerst auszusetzen. Beck lobte das Modell in Nordrhein-Westfalen, wo beim islamischen Religionsgesetz ein Beirat unter Beteiligung der Verbände und Sachverständigen die Rolle der Religionsgemeinschaften ersetze.


Quelle:
epd