Religionswissenschaftlerin Mohagheghi zu Islam und Gewalt

"Über die tatsächlichen Ursachen wird nicht nachgedacht"

Über das Verhältnis des Islam zu Gewalt wird zurzeit heftig diskutiert. Die islamische Religionswissenschaftlerin Mohagheghi sieht als eigentliche Gründe für Terrorismus politische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse. 

Koran: die Heilige Schrift des Islam (dpa)
Koran: die Heilige Schrift des Islam / ( dpa )

domradio.de: Warum es es eigentlich so, dass einem Europäer beim Stichwort Terrorismus zuallererst der Islam in den Sinn kommt?

Hamideh Mohagheghi (Islamische Religionswissenschaftlerin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften der Universität Paderborn): Es ist leider so, dass in den letzten Jahren tatsächlich die Aktivitäten oder terroristische Anschläge von muslimischen extremen Gruppierungen sehr stark im Fokus der Medien sind. Es ist klar, dass man damit auch sehr stark jede Form von Gewalt mit den Muslimen verbindet.

domradio.de: Wie beurteilen Sie das?

Mohagheghi: Ich finde es schlimm, weil ich denke, dass über die tatsächlichen Ursachen der Gewalt, die in den letzten Jahren von Muslimen ausgegangen ist, nicht sehr viel nachgedacht wird. Statt dessen wird versucht, immer wieder diese brutale Gewalt sehr stark mit der Religion des Islam in Verbindung zu bringen. Und man denkt nicht über die anderen Ursachen nach, die durchaus auch vorhanden sind. Ich denke, da muss ein Umdenken stattfinden, dass wir nicht nur versuchen, die Dinge theologisch zu begründen und zu verstehen, sondern auch nach wirklichen Ursachen schauen.

domradio.de: Was sind denn Ihrer Meinung nach die anderen Ursachen?

Mohagheghi: Das sind die politischen, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die in sogenannten islamischen Ländern bestehen. Und auch insgesamt - in der gesamten Weltpolitik - muss genau geguckt werden, mit wem man kooperiert und in welche Richtung man eine Politik haben will. Ob wir tatsächlich eine Politik haben wollen, die nur auf materielle Interessen ausgerichtet ist oder eine, die das Wohl der Menschen vor Augen hat.

domradio.de: Gucken wir jetzt hier trotzdem mal inhaltlich auf die Religion. Wie sieht es denn mit der Rezeptionsgeschichte des Koran aus? Im Christentum gibt es eine Bibelkritik, das hat eine lange Tradition. Wie ist da der Stand beim Koran - ist das aktuell immer noch eine wortwörtliche Auslegung?

Mohagheghi: Es gibt Muslime, die tatsächlich den Koran wortwörtlich verstehen. Aber der Islam - vor allem der Koran - hat auch eine lange Tradition der Auslegung und des hermeneutischen Zugangs. Es gibt viele Kommentare, die den Koran nicht wortwörtlich sehen. Aber es ist klar, dass die Mehrheit eine sehr selektive Vorstellung vom Koran hat, dass einige einzelne Aussagen des Korans herausnehmen und sie lesen, ohne den Gesamtkontext zu verstehen. Da gibt es natürlich, wenn man den Koran so liest, problematische Stellen - genauso wie in der Bibel. Und mit denen muss man hermeneutisch umgehen. Man kann sie nicht selektiv rausnehmen und sagen: So steht es da. Sondern man muss verstehen, warum es so dort steht und in welchem Kontext dieser Text offenbart wird.

domradio.de: Viele islamische Wortführer haben etwa die Anschläge von Paris ganz entschieden verurteilt. Wird es da noch eine weltweite eindeutige Reaktion geben - oder kann es die überhaupt geben? Wie schätzen Sie das ein?

Mohagheghi: Eine einzige Reaktion kann es nicht geben, das sollte man auch nicht erwarten. Es ist einfach gut, dass diese Verurteilungen aus vielen verschiedenen Ecken der Welt kommen. Und die muss man dann eigentlich ernst nehmen.

Das Interview führte Verena Tröster.


Hamideh Mohagheghi / © Barbara Mayrhofer (KNA)
Hamideh Mohagheghi / © Barbara Mayrhofer ( KNA )
Quelle:
DR