SPD-Politikerin Lale Akgün im domradio.de-Interview

"Erdogan hat Putin zum Vorbild"

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan will sich am Sonntag zum Staatspräsidenten wählen lassen. Das wird ihm mit Wahlmanipulation gelingen, befürchtet die in Istanbul geborene SPD-Politikerin Lale Akgün.

Wahlplakat in Istanbul / © Tolga Bozoglu (dpa)
Wahlplakat in Istanbul / © Tolga Bozoglu ( dpa )

Türken in Deutschland haben bereits in mehreren deutschen Großstädten ihre Stimme abgegeben.

domradio.de: Das ist doch ein recht ungewöhnliches Vorgehen: Der Regierungschef bewirbt sich als Staatspräsident.

Akgün: Ja, das ist ein sehr ungewöhnliches Vorgehen, aber dieses Vorgehen war zu erwarten, weil Erdogans Machtgier immer größer geworden ist und er inzwischen Vorbilder hat, die Putin heißen. Also haben wir alle, die politisch denken, eigentlich erwartet, dass er dieses Amt innehaben möchte. Übrigens, wenn es nach ihm gehen würde, für die Ewigkeit.

domradio.de: Was würde sich denn in der Türkei ändern, wenn Erdogan wie zu erwarten Staatspräsident wird?

Akgün: Wenn Erdogan Staatspräsident wird - wovon ich ausgehe, weil ich mitbekomme, dass jetzt schon manipulativ vorgegangen wird, was Wahlen angeht – dann wird er zuerst alle anderen Möglichkeiten der Jurisdiktion abschaffen, er wird die Legislative abschaffen. Er hat ja jetzt schon die Gerichte an sich gebunden, Richter fällen Urteile, die überhaupt nicht unabhängig sind, die Staatsanwaltschaft ist inzwischen weisungsgebunden an ihn. Es stört nur noch das Parlament, möchte ich sagen, und das wird er wohl auch noch ausschalten. Das heißt, er wird alle Macht an sich binden und in Alleinherrschaft regieren.

domradio.de: Sie haben gesagt, Sie haben Wahlmanipulation mitbekommen. Wie sieht das aus?

Akgün: Das sieht so aus, dass zum Beispiel hier in Deutschland bei den Wahlen die Umschläge durchsichtig waren, so dass man sehen konnte, wo der Stempel hingemacht wurde. Es waren ja die drei Kandidaten und klassisch ein Stempel. Und wir wissen, dass Menschen, die nicht Erdogan gewählt haben, fotografiert worden sind, und dass es ganz schwierig war für normale Bürger, einen Termin für die Wahl zu bekommen – denn für die Wahl musste man sich einen Termin geben lassen. Die Parteien der anderen zwei Kandidaten hatten in Deutschland kaum Infrastruktur, während sich die AKP über DITIP und über die UETD Infrastruktur geschaffen haben, ihre eigenen Leute hingekarrt haben. Also ist eigentlich schon in Deutschland manipulativ vorgegangen worden. Dann sind die Urnen ja schon geöffnet worden, umgefüllt worden in Säcke, und die Säcke sind in die Türkei transportiert worden. Kein Mensch weiß, was jetzt in der Türkei mit diesen Säcken passiert ist, weil sie erst morgen geöffnet werden. Übrigens noch etwas Interessantes: Es gibt ein Lehrbuch, herausgegeben vom türkischen Erziehungsministerium, und da ist Erdogan schon aufgeführt als der 12. Staatspräsident.

domradio.de: International ist Erdogan umstritten, in der Türkei selbst hat er aber ziemlichen Rückhalt, wie erklären Sie sich das?

Akgün: Er hat es in der Türkei geschafft, die Wirtschaft anzukurbeln. Es würde in diesem Moment zu weit führen, darüber zu sprechen, wie er das geschafft hat, mit welchen Möglichkeiten und ob das auch anhaltend sein wird, das wissen wir nicht. Aber er hat es geschafft, das Pro-Kopf-Einkommen der ärmeren Schichten zu erhöhen. Und er hat sehr, sehr manipulativ die Islam-Karte gespielt. Das heißt, er hat einen Islam-Wohlstand geschaffen und bindet so auch die einfachen Leute an sich. Wobei ich den „sehr großen Rückhalt“ so nicht unbedingt unterschreiben würde, denn wenn die Wahlen frei und fair wären, wäre ich mir nicht sicher, ob Erdogan 50 Prozent erhalten würde. Aber da sie nicht fair laufen werden, wird er die 50 Prozent bekommen.

domradio.de: Sie gehen also fest davon aus, das Erdogan in der Türkei neuer Staatspräsident wird. Was würde das für uns in Deutschland und für die Türken in Deutschland bedeuten?

Akgün: Das wird eine ganz schwierige Situation werden. Zum Einen ist natürlich für die Politik die Situation sehr schwierig, weil so viele Türken in Deutschland leben, muss die Politik gute Kontakte zur Türkei unterhalten – die wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte sind sehr gut. Zum Anderen sind natürlich auch nicht alle Türken Erdogan-Anhänger, man muss ja auch gerade die stützen, die nicht Erdogan-Anhänger sind. Aber zum Anderen wird es auch in Deutschland zu immer mehr Polarisation kommen. Das heißt, die Erdogan-Anhänger werden sich jetzt sehr stark fühlen – übrigens gehe ich davon aus, dass Montag- oder Dienstagabend bekannt gegeben wird, dass Erdogan die Wahl in Europa, und vor allem in Deutschland, mit 60 oder 70 Prozent gewonnen hat. Er wird ganz anders auftreten, er wird sagen: Ich habe in Deutschland 70 Prozent der Stimmen bekommen. Er wird nicht sagen, dass nur knapp neun Prozent zur Wahl gegangen sind, und dass auch die Stimmen manipuliert waren.

Aber das wird dazu führen, dass Erdogan-Anhänger sich in Deutschland sehr stark fühlen. Mit den Gegnern wird es immer wieder zu Reibereien, zu Zusammenstößen kommen, was jetzt schon passiert. Und sie werden natürlich versuchen, durch die neue Macht dem politischen Islam mehr Gewicht zu verleihen in Deutschland. Davor habe ich die meiste Angst übrigens, dass sie dann sehr mächtig auftreten werden und dafür sorgen werden, dass ihre Anhänger sich von dem entwöhnen, was wir unter Integration verstehen. Das ist jetzt schon der Fall, aber mit dieser Macht hinter sich und dieser Selbstherrlichkeit wird Erdogan dann immer wieder dafür plädieren: „Leute, haltet euch von den Deutschen fern, haltet euch von der Gesellschaft fern - ihr seid wer, sorgt dafür, dass ihr dort eure Stimme erhebt.“

Ich gehe sogar davon aus, dass sie eine Partei gründen werden, in dem Glauben, dass ihre Partei eines Tages auch im deutschen Parlament sitzen könnte. Das hört sich an wie eine Zukunftsversion, aber es gibt schon Vorläufer auf kommunaler Ebene. Für den Außenstehenden ist nicht klar, dass diese Partei eng mit der AKP eng mit der AKP in der Türkei zusammenarbeitet.  

 

(Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.)