Islamwissenschaftlerin: Ägypten zeigt Demokratiedefizite des Islam

Eine Frage der Ansprüche

Passen Islam und Demokratie zusammen? Laut der Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher muss unterschieden werden. Die aktuelle Entwicklung in Ägypten verdeutliche die Defizite, erklärt sie im domradio.de-Interview.

Koran: die Heilige Schrift des Islam (dpa)
Koran: die Heilige Schrift des Islam / ( dpa )

domradio.de: Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Islam und Demokratie - Ein Gegensatz?". Sie sagen, es gibt diesen Gegensatz. Wo hakt es Ihrer Meinung nach denn?

Schirrmacher: Man muss unterscheiden, von welchem Islam man spricht. An dieser Unterscheidung haben ja auch Muslime stets Interesse gezeigt. Insofern es sich um einen privaten Glauben von Menschen handelt, steht nichts der Demokratie entgegen. Aber wenn mit dem Islam, wie wir es gerade jetzt in Ägypten sehen unter der Herrschaft der Muslimbruderschaft, auch Gesellschaft, Politik und Rechtssystem bestimmt werden sollen, ergeben sich eklatante Demokratiedefizite. Es ist auch nicht so, dass Christentum gleich Demokratie ist, das steht auch nicht in meinem Buch. Demokratie hat manche Prinzipien aus dem christlichen Denken aufgegriffen, beispielsweise die Fehlbarkeit des Menschen oder seine Anfälligkeit für Machtmissbrauch und die damit eröffnete Möglichkeit, jemanden auf friedlichem Weg wieder abzuwählen, wenn er denn sein Amt nicht richtig ausfüllt.

domradio.de: Dennoch gibt es Gegenstimmen, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sagt, Sie würden den Islam zu fundamentalistisch lesen.

Schirrmacher: Es ist nicht überall gerne gesehen, wenn man auf die Problematik hinweist, dass der Islam den Anspruch hat, auch Rechtssystem und Gesellschaft gestalten zu wollen. Und dafür stehen die islamischen Dachverbände in Deutschland. Dennoch muss es gesagt werden, weil es um diese Auseinandersetzung geht - und nicht um die private Religion von Menschen, die hier leben und Muslime sind.

domradio.de: In der islamischen Lehre gibt es die Schura, die besagt, dass es in staatlichen und politischen Belangen Pflicht sei, ein Ratgeber-Gremium einzuberufen. Das klingt mehr nach Demokratie als Diktatur.

Schirrmacher: Das ist richtig. Es gibt im Koran den Begriff, dass man sich beraten soll. Und auch in den islamischen Dynastien und den verschiedenen Herrschaftsmodellen hat diese Schura-Beratung immer wieder Platz gehabt. Aber das sind dennoch keine demokratischen Prinzipien. Beziehungsweise dort, wo heute Schura-Beratung angewandt wird, beispielsweise den Golf-Staaten, bedeutet das nicht eine demokratische Partizipation. Sondern das sind Beratergremien einflussreicher Familien. Das sind Länder, an deren Spitze dennoch eine absolute Monarchie installiert ist, der nicht durch demokratische Prozesse abgelöst werden kann. D.h. indem man diesen Begriff benutzt, verweist man auf das Beratungsprinzip. Es bedeutet aber nicht, dass Demokratie automatisch zum Tragen kommen. Im Nahen und Mittleren Osten sehen wir ja auch, dass echte Demokratien dort Mangelware sind. Wir haben die Türkei, wir haben Indonesien, aber im arabischen Raum haben wir keine echte Demokratie zu verzeichnen.

domradio.de: Wie sehen Sie denn die aktuelle Lage in Ägypten? Der demokratisch gewählte Präsident Mursi ist gewaltsam abgesetzt worden. War das der richtige Weg zur wahren Demokratie?

Schirrmacher: Der Schritt weg von der Autokratie zu freien Wahlen war ein gewaltiges Hoffnungszeichen in der Region. Und dass die Muslimbrüder zusammen mit den Salafisten die Mehrheit der Stimmen erreichten, musste man dann auch erst mal akzeptieren. Allerdings ist eine freie Wahl alleine noch kein Kennzeichen einer reinen Demokratie. Die Muslimbrüder haben in ihrer Geschichte niemals echte Demokratien mit Freiheitsrechten befürwortet. Wie sich jetzt die Lage entwickelt, ist dramatisch.

Das Gespräch führte Daniel Hauser.


Quelle:
DR