Debatte um Koran-Verteilung durch Salafisten geht weiter

"Christen, Juden kommen in die Hölle, wenn sie den Islam nicht annehmen"

Die Debatte um die kostenlose Verteilung von Koran-Exemplaren durch Salafisten geht weiter. Der in Köln lebende salafistische Prediger Ibrahim Abu Nagie will die von ihm initiierte Aktion wie geplant fortführen. Die Verbreitung des Korans sei "die Pflicht von jedem Muslim", sagte Abu Nagie. Am Wochenende setzten die Salafisten ihre Verteilaktion in zahlreichen deutschen Städten fort. Der Hamburger Weihbischof Jaschke übt harsche Kritik an der Aktion.

Hannover: Koran geht weg wie warme Semmeln (epd)
Hannover: Koran geht weg wie warme Semmeln / ( epd )

Abu Nagie sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", er werde dieser Pflicht nachkommen, obwohl er "jeden Tag" von der Polizei und vom Verfassungsschutz "terrorisiert" werde und unter der "Medienhetze" leide. Die Islamwissenschaftler und Muslime, die sich in den vergangenen Tagen und Wochen kritisch zu den Absichten der Salafisten geäußerten hatten, bezeichnete Nagie als Heuchler: "Allah verspricht denen die Hölle." Muslime, die den Deutschen "schmeicheln" wollten, indem sie deren Religionen als gleichwertig bezeichneten, seien "Verräter". Abu Nagie erklärte: "Christen, Juden kommen in die Hölle, wenn sie den Islam nicht annehmen."



Jaschke: Massenhafte Koranverteilung weckt Aggressionen

Der Hamburger katholische Weihbischof Hans-Jochen Jaschke hat die massenhafte Koranverteilung scharf verurteilt. "Solche Aktionen stören den Religionsfrieden. Sie wecken Aggressivität und schüren Misstrauen", sagte der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für den Dialog mit den Muslimen am Wochenende in Hamburg auf Anfrage. Aufgrund der Religionsfreiheit könne jeder Mensch seinen Glauben bekennen, solange er andere nicht störe. "Aber wenn die Öffentlichkeit auf einmal überschüttet wird mit einer Millionenauflage des Korans, weckt das Ängste", unterstrich der Bischof.



Zudem stelle sich die Frage, wer die Millionenbeträge für die Kampagne finanziere. Die radikal-islamische Gruppierung der Salafisten sei dafür bekannt, dass sie die Menschen eher religiös anstachele und sogar Gewalt im Namen des Islam ausübe, sagte Jaschke. "Von daher ist es völlig eindeutig, dass wir so etwas nicht gut heißen können. Ich glaube auch, dass sich alle vernünftigen Muslime in Deutschland davon distanzieren", sagte der Weihbischof.



Aufruf zur Gelassenheit

Die Christen rief Jaschke zur Gelassenheit und der Fortsetzung des Dialogs mit den Muslimen auf. "Wir schätzen die Muslime, wir achten den Koran als ihre Heilige Schrift, wir achten jeden Gläubigen, aber religiöse Propaganda, die mit Gewalttätigkeit auftritt, darf uns nicht dazu verleiten, dass wir in irgendeiner Weise zurückschlagen wollen", hob der Weihbischof hervor. Gegenaktionen wie etwa die massenhafte Verteilung von Bibeln seien völlig unangemessen.



Jaschke hält die Kampagne nicht für erfolgversprechend für die Salafisten. "Ich glaube auch nicht, dass viele Menschen das zum Anlass nehmen, den Koran zu lesen und sich religiös anrühren zu lassen." Auch beängstige ihn die Aktion nicht, sagte Jaschke. "Aber sie zeigt noch einmal, dass das Mühen um den Dialog der Religionen immer neu beginnen muss. Es passt nicht in ein dialogisches Verhältnis zwischen Muslimen und Christen, dass eine Seite mit so einer Gewalttätigkeit auftrumpft. Was wäre los, wenn wir etwa in Saudi-Arabien oder im Iran massenhaft Bibeln verteilen würden? Das tut man nicht! Auch aus Respekt den anderen Menschen gegenüber", so der katholische Bischof.



Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, sieht unterdessen die Imame und muslimischen Verbände in der Verantwortung im Kampf gegen die radikal-islamischen Salafisten. Sie sollten gegen die Verhetzung klar Stellung beziehen. "Dabei kommt es nicht so sehr auf Pressestatements an sondern, dass in den Moscheen erklärt wird, dass die salafistische Verengung des Islam nicht die muslimische Sichtweise auf die Welt ist, dass der Respekt vor Andersgläubigen und Atheisten die Grundlage der Freiheit aller ist und Gewalt kein Mittel von Politik oder Religion sein darf", sagte Beck am Samstag in Berlin.



Druckerei prüft Abbruch des Auftrags

Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" prüft die Ulmer Druckerei Ebner und Spiegel, die mit dem Druck der Korane beauftragt ist, unterdessen weiter den Auftragsabbruch. "Wenn wir da rauskommen, wollen wir raus", sagte ein Unternehmenssprecher der Zeitung. Eine Entscheidung erwarte er für Montag. Die Druckerei hat den Angaben zufolge seit dem Herbst 2011 insgesamt 300.000 Korane für den Kölner Verein "Die wahre Religion" gedruckt.



Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, hält mehr Aufklärung über "die wahren Absichten" der Gruppierung für nötig. Ziercke sagte der in Berlin erscheinenden "Welt am Sonntag", die Beobachtung der salafistischen Szene in Deutschland durch den Verfassungsschutz sei eine wichtige Voraussetzung, um Straftaten frühzeitig zu erkennen. "Dass der Salafismus mit seiner Ideologie zum Radikalisierungsprozess von Menschen beitragen kann, hat beispielsweise der Anschlag auf US-Soldaten am Frankfurter Flughafen im letzten Jahr gezeigt", fügte Ziercke hinzu. Das bedeute aber nicht, dass jeder Salafist mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung zu bringen sei.



Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) erklärte, er habe nichts dagegen, dass in Deutschland Koran-Ausgaben verteilt würden. Sobald es dabei aber zu strafbaren Handlungen komme, werde der Staat eingreifen: "Klar ist: Jegliche Form von Gewalt - oder auch nur der Aufruf hierzu - ist durch die Religionsfreiheit nicht gedeckt, sondern kann und wird strafrechtliche Konsequenzen ebenso nach sich ziehen wie eine Abschiebung, ein Einreiseverbot oder das Verbot von Versammlungen", sagte Hahn der Tageszeitung "Die Welt".



Demokratische Kräfte gegen Radikale

Der Vorsitzende des Islamrates und neue Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Ali Kizilkaya, bezeichnete in der "Berliner Zeitung" (Samstag) die Diskussion als "etwas panisch". Die Salafisten hätten in der islamischen Gemeinschaft keine große Bedeutung. "Sie erfahren mehr Aufmerksamkeit in der medialen Öffentlichkeit, was ihre Bedeutung vielleicht fördert." Die Koran-Kampagne sei "eine andere Sache als die Gruppe, die die Korane verteilt", so Kizilkaya, der zugleich einräumte, dass die Salafisten eine "problematische Randgruppe" seien. Es gebe aber bei der Verteilung keine Gesetzesübertretungen und daher auch keinen Handlungsbedarf von Seiten des Rechtsstaates.



Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach forderte in der "Passauer Neuen Presse" (Samstag), das Thema ganz oben auf die Tagesordnung der Islamkonferenz der Bundesregierung am kommenden Donnerstag zu setzen. Er wünsche sich einen Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte gegen Radikale. "Die Koran-Aktion und die Drohungen gegen Journalisten müssen von der Islamkonferenz scharf verurteilt werden", so Bosbach. Das Signal an die radikalen Islamisten müsse

lauten: "Ihr habt in unserem Land keine Chance."



Niedersachsens Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU) kritisierte die Verteilung des Korans in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Samstagausgabe): "Es muss klar sein, dass sich jeder Mensch in Deutschland unabhängig von seiner Herkunft oder seines Glaubens an die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu halten hat", sagt die Muslima.



Das Beispiel Hannover

Am Fuße des Schillerdenkmals in der hannoverschen Innenstadt herrscht an diesem Samstag Gedränge. Kamerateams und Reporter stehen dicht vor einem Stand, an dem kostenlos Koran-Exemplare verteilt werden. Polizisten patrouillieren, zahlreiche ältere Zuschauer beobachten das Treiben aus einiger Entfernung. Immer wieder wagen sich Interessierte an den kleinen Stand vor, an dem Mitglieder einer als radikalislamisch-geltenden Gruppe von Salafisten das heilige Buch der Muslime verschenken. Die Bevölkerung in Deutschland solle sich selbst ein Bild vom Glauben der Muslime machen, sagen sie.



Unter den Schaulustigen ist Klaus P. (62). Er selbst will sich keinen Koran mitnehmen. "Ich vermute aber, dass einige das Ding lesen werden." Teilen könne er die Positionen der Islamisten nicht. Vor allem stört er sich am Frauenbild der vom Verfassungsschutz überwachten Gruppe. Sie propagierten eine Gesellschaft "wie im Mittelalter".



Werner Meyer gewinnt dagegen der Aktion der Salafisten Respekt ab. Der 70-Jährige ist jüdischen Glaubens und freut sich, wenn die großen Weltreligionen miteinander ins Gespräch kommen. Nur durch Dialog könne man einander respektieren. Gegen die Koranverteilung hat er nichts einzuwenden, sagt er: Er akzeptiere es auch, dass die Zeugen Jehovas oder Scientology offensiv für ihren Glauben werben.



Unterdessen gehen immer mehr Koran-Exemplare über den Tresen. Einer der Verteiler ist Dennis Radkamp. Er ist Konvertit und seit zwei Jahren praktizierender Muslim. Unablässig stapelt er die Bücher auf dem Tisch, gibt sie Interessierten in die Hand. Groß ins Gespräch kommt er mit ihnen nicht. Das wolle er auch nicht, sagt er: "Ich schwatze hier niemanden etwas auf."



Gegenaktionen

Rund 100 Meter entfernt stehen zwei weitere Stände: Seite an Seite informieren die islamkritische Partei "Die Hannoveraner" und die christliche Initiative "Bürger für Dialog und Wahrheit". Letztere verteilt Bibeln und Grundgesetze. Bewusst wolle man der Aktion der Salafisten etwas entgegen setzen, heißt es. Niemand ist hier bereit, seinen vollständigen Namen zu nennen. Zu groß sei die Angst vor Übergriffen oder vor Anfeindungen, sagt eine 45-jährige Frau.



Gleich 20 deutschsprachige Korane trägt Friedrich Neupert davon. Der 22-Jährige ist in der pietistisch-geprägten Landeskirchlichen Gemeinschaft aktiv. "Wir wollen den Koran in unserem Jugendkreis lesen", erläutert er. Insbesondere Stellen, in denen es um den Heiligen Krieg geht, wolle die Gruppe intensiv studieren. Das der Koran von einer besonders radikalen, islamistischen Gruppe verteilt wird, akzeptiert er: "Die Verteilung ist legitim, hier kann Deutschland auch Vorbild für islamisch-geprägte Länder sein."



Die Lage in der Innenstadt bleibt unterdessen friedlich und ruhig. Die Polizei rechnete in Hannover nicht mit Auseinandersetzungen. Ein Mann der rechtspopulistischen "Hannoveraner" läuft dicht am Stand der Koranverteiler entlang und drückt Passanten seine Flyer in die Hand. Die Salafisten lassen sich davon nicht beeindrucken.