Blick auf den Dialog mit Muslimen in der Papst-Enzyklika

Könnte da jemand verstimmt sein?

In seiner Enzyklika bezieht sich Papst Franziskus regelmäßig auf den Großimam von Kairo. Damit nimmt der interreligiöse Dialog neue Dynamik auf. Aber könnte das nicht für Kritik in konservativen Kreisen von Muslimen und Katholiken sorgen?

Der Papst und Ahmed Mohammed al-Tayyeb, Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität (Archiv) / © Cristian Gennari (KNA)
Der Papst und Ahmed Mohammed al-Tayyeb, Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität (Archiv) / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: An fünf Stellen nimmt der Papst Bezug auf die Begegnung mit einem islamischen Würdenträger, dem Imam von Kairo. Wie außergewöhnlich ist das?

Prof. Dr. Thomas Lemmen (Leiter des Referats Interreligiöser Dialog im Erzbistum Köln): Es ist außergewöhnlich. Es kommt das erste Mal in einem päpstlichen Schreiben überhaupt vor, dass auf eine Begegnung mit einem hohen muslimischen Repräsentanten Bezug genommen wird.

DOMRADIO.DE: Der Papst hatte sich mit dem Großimam im vergangenen Jahr in Abu Dhabi getroffen. Warum geht für den Papst eine solche Strahlkraft von diesem Treffen aus?

Lemmen: Zunächst muss man einmal sagen, dass es nicht die erste Begegnung zwischen dem Papst und dem Großimam war. Die beiden bezeichnen sich gegenseitig als Freunde. Sie haben sich mehrmals getroffen: 2016 im Vatikan, 2017 in Kairo und dann 2019 in Abu Dhabi, wo sie gemeinsam eine Erklärung über die Geschwisterlichkeit aller Menschen verabschiedet haben. Das ist für den Papst wohl ein ganz entscheidendes Dokument, bei dem er ganz bewusst an die Begegnung des heiligen Franziskus mit dem Sultan in der Zeit der Kreuzzüge anknüpft. Das fand alles ungefähr zeitgleich in Erinnerung an dieses große Ereignis statt.

DOMRADIO.DE: Sie haben diese gemeinsame Erklärung gerade erwähnt, die dann in der Enzyklika immer wieder zum Tragen kommt. Was steht in der Erklärung außerdem noch drin?

Lemmen: Es ist ein Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen und für ein friedliches Zusammenleben. Das ist auch der Titel der Enzyklika. Ganz entscheidend ist, dass dieses Dokument sagt, dass Gläubige einander als Brüder und Schwestern begegnen müssen. Wir finden außerdem eine Anerkennung der Religionsfreiheit, der Bürgerrechte, der Menschenrechte, eine klare Distanzierung von Terror und Gewalt und einen Aufruf, sich keinesfalls für Gewalt im Namen der Religion missbrauchen zu lassen.

Das sind Gedanken, die der Großimam der Al-Azhar-Universität schon früher geäußert hat. Das sind aber auch Gedanken, die sich immer wieder in den Aussagen der Päpste finden, die im Grunde zurückgreifen auf das, was das Zweite Vatikanum in der Erklärung Nostra Aetate gesagt hat, dass nämlich Christen und Muslime gemeinsam eintreten müssen, das Angesicht der Welt zu verändern.

DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie die Konsequenz dieser mehrfachen Erwähnung? Könnte das in konservativen katholischen Kreisen für Verstimmungen sorgen?

Lemmen: Das könnte nicht nur in diesen Kreisen, sondern auch in konservativen muslimischen Kreisen für Verstimmung sorgen. Aber entscheidend ist, dass hier zwei hohe Repräsentanten beider Glaubensgemeinschaften, beider Religionen ungeachtet aller Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die es ja in Glaubensfragen gibt, sagen, dass es eine hohe Verantwortung beider Religionen gibt, für den Frieden und für eine bessere Welt einzutreten.

Das haben vor ungefähr 15 Jahren schon mal zahlreiche muslimische Repräsentanten geäußert. Sie haben gesagt, dass Christen und Muslime weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen. Wenn sich beide zusammen für Frieden und Verständigung einsetzen, dann ist das ein hohes Gewicht in dieser Welt. Das, denke ich, ist ein Ansinnen, dem sich eigentlich niemand entziehen kann, dem es um Frieden und Verständigung in dieser Welt geht, egal, wo er oder sie nun religiös oder theologisch steht.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Thomas Lemmen / © Harald Oppitz (KNA)
Thomas Lemmen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR