Amos Oz erhält kirchlichen Dialogpreis für seinen Roman "Judas"

Plädoyer für einen neuen Blickwinkel

In allen dreißig Sprachen, in die sein Roman "Judas" übersetzt worden ist, steht der Name "Judas" als Synonym für Verräter, sagt Amos Oz. Ein Gespräch über historische Desaster, Fanatismus und neue Blickwinkel.

Amos Oz / © Stephanie Pilick (dpa)
Amos Oz / © Stephanie Pilick ( dpa )

Am Sonntag ist der 78-jährige israelische Schriftsteller mit dem "Mount Zion Award" 2017 des Instituts für Jüdisch-Christliche Forschung der Universität Luzern und der Dormitio-Abtei in Jerusalem ausgezeichnet worden - für "Judas" und dessen Beitrag zum jüdisch-christlichen Dialog.

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Oz, in Ihrer Dankesrede sagten Sie, Sie hassen die Geschichte des Judas. Trotzdem trägt Ihr jüngstes Werk eben diesen Titel...

Amos Oz (Israelischer Schriftsteller): Ich wollte ein schreckliches historisches Desaster korrigieren. Diese Geschichte ist mehr als eine Geschichte, sie ist blutgetränkt für viele Generationen. Sie basiert nicht nur auf einem hässlichen, rassistischem Stereotyp des Juden. Ich glaube, sie hat dieses Stereotyp des Juden sogar kreiert. Ich wollte also sozusagen die Kamera in einen anderen Blickwinkel stellen.

KNA: Schmuel Asch, einer der Protagonisten in Ihrem Roman, sieht in Judas nicht den Verräter, sondern den möglicherweise treuesten Anhänger Jesu. Wieviel von Ihnen steckt in Schmuel Asch?

Oz: Ich gehe mit Schmuel Asch einig, dass Jesus ein großer Jude war und ein Menschensohn, wie Jesus selbst viele Male sagt.

KNA: Über Ihre Stadt Jerusalem sagen Sie, sie brauche keine Erlösung, sondern Lösungen. Warum im Plural?

Oz: Wir brauchen mehr als eine Lösung für Jerusalem. Wir brauchen eine Lösung für die umstrittenen heiligen Stätten, aber wir brauchen auch eine Lösung für nationalistischen Fanatismus, für Chauvinismus, wir brauchen eine Lösung für die extreme Armut, auf jüdischer und arabischer Seite, und wir brauchen eine Lösung für Extremismus und Fanatismus jedweder Art. Und ich könnte die Liste fortsetzen...

KNA: Bringt die Lektüre des Judas den Leser einen Schritt näher an Lösungen?

Oz: Das wäre eine Erwartung an einen Propheten, nicht an einen Geschichtenerzähler, wie ich einer bin. Im Geschäft der Prophezeiungen gibt es zu viel Wettbewerb hier in Jerusalem. Aber der Roman endet mit einer Frage. Der Protagonist Schmuel Asch geht in die Wüste und stellt sich Fragen - viele Fragen: Was zu tun ist, wohin er gehen soll, wie er helfen kann. Das ist ein guter Ausgangspunkt. Fanatiker haben keine Fragen, sie haben nur Antworten. Der Fanatiker ist ein laufendes Ausrufezeichen. Mein Protagonist Schmuel ist am Ende des Buches kein Ausrufezeichen mehr, sondern ein Fragezeichen.

KNA: Und welche Fragen trägt Amos Oz mit sich?

Oz: Ich könnte den Rest des Abends mit Fragen füllen. Aber eine Hauptfrage für mich lautet: Wie anderen kein Leid zufügen - auf persönlicher, politischer, sozialer und jeder anderen Ebene. Ich frage nicht, wie ich heilen, erlösen oder revolutionieren kann, sondern ich frage sehr bescheiden. Es ist eine Frage, keine Antwort.

KNA: Sie sind für Ihre Arbeit mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt worden. Welche Bedeutung hat der "Mount Zion Award" für Sie?

Oz: Der Zionsberg ist einer der Schwerpunkte meines Romans und meines Lebens. Dieser Preis, der von einer katholischen, benediktinischen Kirche und einer christlich-jüdischen Vereinigung kommt, ist sehr bedeutend für mich. David war hier, Jesus war hier auf dem Zion, vielleicht an dem Ort, an dem wir jetzt sitzen. Hier geht es nicht um einen bedeutenden Preis in einem fernen Land: Dies ist meine Stadt, mein Ort!

Das Interview führte Andrea Krogmann.


Quelle:
KNA