Bischof Neymeyr sieht in Rabbiner-Erklärung Ermutigung zum Dialog

"Besonderes Verhältnis"

Für Christen ist das Verhältnis zum Judentum aus historischen und theologischen Gründen immer schon besonders. Dass dies auch umgekehrt gilt, stellt jetzt eine Erklärung orthodoxer Rabbiner fest, die Bischof Neymeyr ausdrücklich begrüßt.

Kippa und Kreuz / © Joern Neumann (epd)
Kippa und Kreuz / © Joern Neumann ( epd )

KNA: Gut 50 Jahre nach der Konzilserklärung "Nostra aetate" haben orthodoxe Rabbiner Papst Franziskus ihre Erklärung "Zwischen Jerusalem und Rom" überreicht. Welchen Stellenwert hat dieses Dokument?

Bischof Ulrich Neymeyr (Bischof von Erfurt und Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz): Die Erklärung ist eine jüdische Antwort auf die Konzilserklärung "Nostra aetate" und auf die großen Veränderungen im christlich-jüdischen Verhältnis, die die Konzilserklärung in den vergangenen 50 Jahren bewirkt hat. "Zwischen Jerusalem und Rom" wurde von den drei wichtigsten orthodoxen Rabbinervereinigungen, nämlich der Europäischen Rabbinerkonferenz, dem Rabbinical Council of America und dem Israelischen Oberrabbinat, unterzeichnet. Sie ist also eine offizielle Erklärung, ja sogar die erste offizielle Erklärung rabbinischer Organisationen zu den jüdisch-christlichen Beziehungen.

Inhaltlich gibt sie den jüdisch-orthodoxen Konsens über das Verhältnis zum Christentum und insbesondere auch zur katholischen Kirche wieder.

KNA: Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Aussage des Dokumentes?

Neymeyr: Das Dokument enthält eine Reihe wichtiger und bemerkenswerter Aussagen. Wenn ich eine herausgreifen soll, dann möchte auf die Aussage hinweisen, dass "den Christen ein besonderer Status gebührt, da sie den Schöpfer des Himmels und der Erde anbeten, der das Volk Israel aus ägyptischer Knechtschaft befreite und dessen Vorsehung der gesamten Schöpfung gilt". Deshalb sehen die Rabbiner die Christen "als unsere Partner, enge Verbündete und Brüder bei unserer gemeinsamen Suche nach einer besseren Welt, in der Friede, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit herrschen mögen". Ich verstehe diese Aussagen so, dass auch aus jüdischer Sicht das christlich-jüdische Verhältnis ein besonderes ist und zwar aus theologischen Gründen. Das ist bemerkenswert und verdient, weiter bedacht zu werden.

KNA: Inwiefern unterscheidet sich die Erklärung von anderen jüdischen Stellungnahmen, etwa dem im Jahr 2000 von amerikanischen jüdischen Intellektuellen vorgelegten Dokument "Dabru Emet (Sagt die Wahrheit): Eine jüdische Erklärung des Christentums und der Christen"?

Neymeyr: "Dabru emet" wurde von einer Gruppe von amerikanischen Rabbinern verfasst, die im christlich-jüdischen Dialog engagiert waren. Die Unterzeichner waren mehrheitlich liberale und konservative Rabbiner. Im Unterschied dazu ist "Zwischen Jerusalem und Rom" zum einen eine offizielle Erklärung rabbinischer Organisationen und zum anderen eine orthodoxe Erklärung. Übrigens haben 2015 fast 70 orthodoxe Rabbiner, die seit vielen Jahren im Dialog mit Christen stehen, ebenfalls eine Erklärung "Den Willen unseres Vaters im Himmel tun" veröffentlicht, die stärker theologisch akzentuiert ist. Auch wenn diese Erklärung eher eine Minderheitenposition wiedergibt, verdient sie doch Beachtung.

KNA: Welche Auswirkungen hat der Text für die christlich-jüdischen Dialoge in Deutschland?

Neymeyr: Die Erklärung "Zwischen Jerusalem und Rom" ist eine Ermutigung, den Dialog auch zukünftig engagiert fortzuführen. In Deutschland führen die katholische und die evangelische Kirche seit vielen Jahren regelmäßige Gespräche sowohl mit der Orthodoxen Rabbinerkonferenz als auch mit der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, in der die liberalen und konservativen Rabbiner organisiert sind. In diesen Gesprächen werden wir demnächst sicher die Erklärung und ihre Bedeutung für die Weiterentwicklung unserer Beziehungen erörtern.

KNA: Der Text betont neben manchen Gemeinsamkeiten auch die "unversöhnlichen theologischen Unterschiede" zwischen Juden und Christen. Was ist damit gemeint?

Neymeyr: Der wesentliche Unterschied besteht in der theologischen Bewertung der Person Jesu von Nazaret. Die Bedeutung, die Jesus als der Christus für uns Christen hat und die in der Christologie und in der Trinitätslehre ausformuliert wurde, wird von jüdischer Seite nicht geteilt. Diese Differenz kann im Dialog nur anerkannt, nicht aber aufgehoben werden. Schon der Apostel Paulus wusste, dass diese Differenz erst am Ende der Tage aufgehoben wird - und zwar durch Gott.

KNA: Kann die Erklärung auch Vorbild sein für andere Verständigungsdokumente, etwa mit dem Islam?

Neymeyr: "Zwischen Jerusalem und Rom" ist, wie gesagt, eine jüdische Antwort auf die Konzilserklärung "Nostra aetate". Ob es eine islamische Antwort auf das dritte Kapitel der Konzilserklärung, die das Verhältnis der Kirche zu den Muslimen thematisiert, geben soll und wie diese gegebenenfalls zu formulieren ist, können nur die islamischen Autoritäten beantworten.

Das Interview führte Norbert Zonker.


Bischof Ulrich Neymeyr im Portrait / © Jacob Schröter (KNA)
Bischof Ulrich Neymeyr im Portrait / © Jacob Schröter ( KNA )
Quelle:
KNA