Jüdische "Summer School" verbindet religiösen Hintergrund mit Aktivismus

Brücken schlagen

Was bedeutet soziales Engagement für Juden? In einer internationalen Summer School der Universität Potsdam haben sich junge Erwachsene drei Wochen lang mit dieser Frage auseinandergesetzt - und kontrovers diskutiert.

Autor/in:
Christoph Koitka
Mann mit Kippa / © Boris Roessler (dpa)
Mann mit Kippa / © Boris Roessler ( dpa )

"Es war vor einigen Jahren in Jerusalem", erzählt Nigel Savage. Interessierte Blicke der 15 jungen Erwachsenen, die dem Umweltaktivisten zuhören. "Am Abend lief etwa zehn Schritte vor mir eine junge Frau. Ich habe dann die Straßenseite gewechselt, denn ich dachte: Diese Frau weiß nicht, dass ich kein Vergewaltiger bin. Sie hört nur die Schritte hinter sich." Savage, der seit 17 Jahren eine von ihm gegründete Non-Profit-Organisation leitet, die jüdisches Engagement für Umweltthemen fördert, macht eine Kunstpause. "Und das ist für mich ein Beispiel, wie man gut führt." Seine Maxime: "Think well about the whole". Dieser Satz bedeutet sowohl "Denk gut über das Ganze" als auch "Denke gut über das Ganze nach".

Nachgedacht haben auch die Zuhörer in den vergangenen drei Wochen ziemlich viel: über Judentum und soziales Engagement. Dazu kamen sie eigens aus den USA, Mexiko, Argentinien und Israel nach Berlin. Als Teilnehmer der "Jewish Activism Summer School" (JASS) der Universität Potsdam haben sie im Seminarraum in Berlin-Kreuzberg Theorien gewälzt und mit über einem Dutzend Dozenten diskutiert. "Wir wollen junge Leute in ihrem Engagement ermutigen und unterstützen", sagt der Initiator des Projektes, Jonathan Schorsch. Dem Professor für jüdische Religions- und Geistesgeschichte ist wichtig, dass das Judentum dabei nicht Hindernis, sondern Hilfe sein kann: "Es ist wichtig, sich als derjenige engagieren zu können, der man ist."

Was bedeutet die jüdische Identität für soziales Engagement?

Harper, einer der Teilnehmer, legt nach Savages Jerusalem-Schilderungen seine Stirn in Falten und ist nicht überzeugt von dessen Vorstellungen von Führungsstil: "Das sehe ich anders. Das ist mir zu sehr auf dem persönlichen Level." Der junge Mann ist selbst schon professionelle Aktivist und Kampagnenleiter und setzt offenbar auf einen zupackenderen Führungsstil. Sein Tatendrang ist spürbar. Im vergangenen Jahr lernte er Schorsch auf einer alternativen jüdischen Veranstaltung in Berlin kennen. Der Professor lud ihn prompt zur Summer School ein. Dozent Savage lächelt und kontert: "Führungsqualität beginnt bei jeder Entscheidung, die man für sich selbst trifft."

Savages Umwelt-Organisation heißt "Hazon". Der hebräische Name bedeutet übersetzt "Vision". Auch für die Teilnehmer der Summer School wünscht sich Savage eigene Visionen. Ido aus New York hat seine schon gefunden. Der 29-jährige will den Dialog zwischen Gemeinschaften, die bislang wenig verbindet, in Gang bringen. Im Herbst will er nach Taiwan reisen und Brücken zwischen jüdischen und chinesischen Communities schlagen. Seit etwa drei Jahren setzt sich Ido intensiv mit seiner Identität als Jude auseinander: "Was bedeutet es, im 21. Jahrhundert jüdisch zu sein?"

Anleitungen in der Thora

Als jüdischer Aktivist fühlt sich Ido auch nach der Summer School nicht - "eher als Aktivist, der auch Jude ist". Trotzdem hat er in den Workshops Denkansätze in den alten Texten der Mischna, der mündlich überlieferten Thora, gefunden. "Mach dir einen Lehrer, erwirb dir einen Freund", heißt es dort etwa. "In der westlichen Erziehung muss der 'Leader' Rechenschaft über seine Qualifikationen ablegen", erklärt Savage die Passage. Im Judentum dagegen sei es Aufgabe der Gemeinschaft, den Anführer zu ermächtigen. "Auch Gefolgschaft ist Führen", sagt Savage daher.

An der Spitze kommt der Wissensdurst der Nachwuchses gut an. Der Direktor der School of Jewish Theology, Walter Homolka, ist stolz: "Eine tolle Initiative", lobt er. "Diese jungen Leute wollen hautnah spüren, dass ihr Engagement etwas in unserer Welt ändern kann, ermuntert von den Lehren des Judentums." Auch Initiator Schorsch freut sich über die Ergebnisse aus drei Wochen intensiver Arbeit und über einem Jahr Vorbereitung. "Die Teilnehmer waren noch so jung, und trotzdem schon so engagiert und kreativ", sagt er. "Das ist alles, was ich mir erhofft hatte."


Quelle:
KNA