Indien feiert 70 Jahre Unabhängigkeit

Hindu-Nationalisten entsorgen Gandhis Ideale

In Indien vollzieht sich ein epochaler sozialer Umbruch. Kurios: Die Feiern zum 70. Jahrestag der Unabhängigkeit werden gerade von jenen Kräften ausgerichtet, die sich einst am Unabhängigkeitskampf nicht beteiligten.

Autor/in:
Michael Lenz
Indische Schülerinnen, verkleidet als Göttin Durga, proben einen Umzug für den Unabhängigkeitstag / © Kolkata- Monojit Kumar Saha (dpa)
Indische Schülerinnen, verkleidet als Göttin Durga, proben einen Umzug für den Unabhängigkeitstag / © Kolkata- Monojit Kumar Saha ( dpa )

Indien feiert 70 Jahre Unabhängigkeit - und steckt im größten gesellschaftlichen und politischen Umbruch seiner Geschichte seit 1947. In Neu Delhi und einer Reihe von Bundesstaaten sind jene Hindutva-Ideologen an der Macht, die vor 70 Jahren gegen die Unabhängigkeit waren.

Die Vision eines säkularen Indien der Unabhängigkeitshelden Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru war den Hindu-Nationalisten ein Gräuel. "Hindutva" bezeichnet das politische Konzept, aus Indien einen hinduistischen Gottesstaat zu machen. Die Lage der Christen und Muslime - und damit der religiösen Minderheiten Indiens – hat sich in den Monaten vor dem 70. Unabhängigkeitstag an diesem Dienstag noch einmal verschlechtert.

Christenverfolgung in Indien

Im Punjab wurde ein protestantischer Pastor von Hindu-Nationalisten erschossen, in einem Zug in Uttar Pradesh eine muslimische Familie brutal zusammengeschlagen. In Goa zerstörten Hindus religiöse Objekte in Kirchen und schändeten christliche Gräber. Muslime wurden von hinduistischen "Kuhrächern" gelyncht, weil sie Rindfleisch aßen.

In böser Erinnerung ist den Indern die Folge der Teilung des indischen Subkontinents vor 70 Jahren nach religiösen Kriterien. Auf Betreiben der Muslim-Liga von Mohammed Ali Jinnah wurde zeitgleich zur Unabhängigkeit Indiens Pakistan als Staat für die Muslime gegründet. Die Folge war ein Massenexodus von Hindus nach Indien und Muslimen nach Pakistan, der von unvorstellbaren Grausamkeiten begleitet war. Bis zu einer halben Million Menschen kamen ums Leben.

Erinnerungen an das Massaker in Gujarat

Bis heute wirkt auch das Trauma des Massakers in Gujarat 2002 nach, bei dem mehr als 1.000 Muslime ums Leben kamen. Chefminister von Gujarat war seinerzeit Narendra Modi, heute Premierminister Indiens. "Damals machten in Gujarat Slogans wie 'Muslime ab nach Pakistan' und 'Christen nach Kabrasthan' (Friedhof) die Runde", erinnert sich der Jesuit Cedric Prakash, Gründer eines Menschenrechtszentrums in Gujarat. Ähnliche Rhetorik ist heute von Mitgliedern der Regierung Modi zu hören.

Mit der Machtübernahme Modis und seiner hindu-nationalistischen BJP im Mai 2014 hat die Gewalt radikaler Hindus gegen Christen und Muslime sprunghaft zugenommen. Die Aggression gegen religiöse Minderheiten durch die Hindu-Nationalisten reicht von Zwangskonversionen über Zwangsehen christlicher und muslimischer Mädchen mit Hindus bis hin zu Mord und Totschlag durch die sogenannten Kuhrächer.

Hindutva-Ideologie

Modi arbeitet zielstrebig daran, ganz Indien unter die Hindutva-Ideologie zu stellen. Diesem Ziel ist er mit der jüngsten Ernennung von Ram Nath Kovind zum Staatspräsidenten und Venkaiah Naidu zum Vizepräsidenten, zwei strammen Mitgliedern der Hindutva-Bewegung, wieder ein Stück nähergekommen.

Modi habe Kovind mit Blick auf die Parlamentswahlen 2019 auf den Schild gehoben, sagt Sudha Pai, Mitglied des Indischen Rates für Sozialwissenschaften. "Kovinds Wahl bedeutet die Kombination von drei wichtigen Faktoren: Er ist ein Dalit aus Uttar Pradesh, dem für Wahlen wichtigsten Staat. Sie trägt zur Schwächung der Einigkeit der Opposition bei. Und es hilft der Strategie der Regierungspartei BJP, die Pro-Hindutva-Kräfte in den unteren sozialen Schichten ... zu stärken."

Vizepräsident Naidu ist zugleich Vorsitzender der Rajya Sabha; einer Art Bundesrat, in dem die hindu-nationalistische BJP noch nicht die Mehrheit hat. Prakash fürchtet: "Wenn die BJP die notwendige Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments hat, wird sie die Verfassung womöglich drastisch ändern" - und er fügt hinzu: "Möge dieser Tag niemals kommen." Die konkrete Angst der religiösen Minderheiten: Der Hinduismus wird Staatsreligion.

"Systematisch ausgehöhlt und entsorgt"

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Feiern zum 70. Jahrestag der Unabhängigkeit gerade von jenen Kräften ausgerichtet werden, die sich am Unabhängigkeitskampf der 1940er Jahre nicht beteiligten. "Die Hindu-Nationalisten waren für eine Fortsetzung der Kolonialherrschaft - weil sie nicht an ein Indien glaubten, in dem Pluralismus das höchste Gut sein sollte", sagt Prakash. Dafür gebe es "genügend historische Belege." Seine traurige Bilanz: "Die Ideale von Gandhi und Nehru werden langsam und systematisch ausgehöhlt und entsorgt."


Der indische Kadettenkorps probt für die Feierlichkeiten zum indischen Unabhängigkeitstag / © Bhopal - A Saeed Faruqui (dpa)
Der indische Kadettenkorps probt für die Feierlichkeiten zum indischen Unabhängigkeitstag / © Bhopal - A Saeed Faruqui ( dpa )

Das indische Gorkha-Regiment probt in Jabalpur für die Feierlichkeiten / © Uma Shankar Mishra (dpa)
Das indische Gorkha-Regiment probt in Jabalpur für die Feierlichkeiten / © Uma Shankar Mishra ( dpa )

Schulkinder in Neu Delhi bei der Generalprobe für den Unabhängigkeitstag / © ND- SHS (dpa)
Schulkinder in Neu Delhi bei der Generalprobe für den Unabhängigkeitstag / © ND- SHS ( dpa )
Quelle:
KNA
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