Pater Nikodemus über das interreligiöse Treffen in Berlin

"Wir müssen wach werden"

Bundesaußenminister Gabriel hat Juden, Christen und Muslime eingeladen. Auch Benediktinerpater Nikodemus Schnabel war bei der Konferenz "Friedensverantwortung der Religionen" dabei.

 Ausgaben des Koran, der Thora und der Bibel nebeneinander / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Ausgaben des Koran, der Thora und der Bibel nebeneinander / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

domradio.de: In Berlin haben Juden, Christen und Muslime zusammen gesessen. Da stellt man sich leicht vor, dass alle bestimmt schöne Worte gefunden und schön herumgeredet haben. Ist mehr rausgekommen als fromme Willensbekundung?

Benediktinerpater Nikodemus Schnabel (Domitio-Abtei Jerusalem): Ja, absolut. Ich war wirklich positiv überrascht, weil die Teilnehmer gut und interessant ausgesucht wurden. Es waren nicht die üblichen Verdächtigen, die irgendwelchen Institutionen vorstehen und diese dann präsentieren, sondern es waren Leute, die quer und interessant denken.

Zum Beispiel: Bahai aus Aserbaidschan, Jesiden aus dem Irak, verschiedenste Strömungen des Christentums, des Judentums und des Islams. Zudem waren auch Religionsvertreter aus Indonesien und aus Nord- und Westafrika vor Ort. Eine sehr spannende und beeindruckende Erfahrung. Am besten habe ich mich mit einem Imam aus Nigeria und einem Scheich aus Bahrain verstanden, was ich vorher auch nie gedacht hätte. Ich habe unglaublich viel dazu gelernt.

domradio.de: Das klingt exotisch. Alle zusammen sollten, so wollte es Sigmar Gabriel, auf das Friedenspotential der Religionen gucken. Was ist an dieser Stelle herausgekommen? Haben Religionen wirklich so ein Potential? 

P. Schnabel: Es war sogar noch viel intensiver und sehr konkret. Es gab fünf Arbeitsgruppen. Ich war in der dritten, die sich mit Religion und Medien auseinandergesetzt hat. Hier wurde sehr deutlich, dass es zwei Umgangsformen damit gibt. Zum einen gibt es den falschen Umgang damit, dass wir als Religionsführer quasi aus dem Fenster gucken und sagen: "Wen können wir beschimpfen und anklagen, dass alles so schlimm ist". Hier heißt es dann immer so schön: "Die Medien sind Schuld". Allerdings kann man fragen, wer denn eigentlich "die Medien" sind, genauso, wie es nicht "die Religion" gibt.

Umgekehrt guckt ein guter Religionsfrüher in den Spiegel und schaut, was er falsch gemacht hat. Denn wenn ein Muslim den Medien immer nur Islamophobie anprangert, ein Jude immer nur von Antisemitismus spricht und ein Christ immer nur über Christenverfolgung reden will, dann sind wir selbstreferentiell und versinken im Selbstmitleid. Die spannende Frage ist ja wirklich: verteidigen wir immer nur unseren Glauben gegen diese böse Welt, oder verteidigen wir wirklich Gläubige und Menschen?

Da hat zum Beispiel einer gesagt: "Wann erheben wir Muslime denn mal die Stimme für die Ahmadiyyas oder Bahais, also für die Minderheiten? Wann sind wir Christen auch die, die wirklich Zeichen setzen, welche das Friedenspotential der Religionen verdeutlichen?" Ein oft genanntes Beispiel war der Besuch vom Papst und dem ökumenischen Patriarchen auf Lesbos. Bei der Flüchtlingsfrage haben die Medien auch berichtet.

Dieses Zeichen hat mehr gesprochen als tausend Worte. Ich fand es also sehr spannend, dass man von diesem klassischen "die Anderen sind schuld" wegkam. Es wurde Selbstkritik geübt und gefragt, wo wir als religiöse Führer schuld sind und wo wir auch dazu lernen können. Das fand ich einfach unglaublich erfrischend und konstruktiv.

domradio.de: Haben Sie auch ganz konkrete Anregungen für sich selber mitgenommen, was Sie als Katholik in Jerusalem und im Heiligen Land, wo Konflikte auf der Tagesordnung stehen, umsetzen können?

P. Schnabel: Es waren zwei Lernerfahrungen. Einerseits habe ich mich selbst dabei ertappt, dass ich auch Vorurteile, beispielsweise gegen die traditionellen Muslime aus Westafrika, hatte. Aber genau diese Vertreter waren die interessantesten und humorvollsten Gesprächspartner. Da habe ich dann gemerkt, dass auch ich nicht frei von Schubladendenken bin. Darüber hinaus habe ich gelernt, dass man in Zukunft noch stärker gemeinsam auftreten muss.

Das beste Beispiel sind dafür leider die Extremisten, wie zum Beispiel Boko Haram und der IS. Niemand ist besser vernetzt und sie zeigen eigentlich, wie man die Argumente austauscht oder sich die Bälle gegenseitig zuspielt. Im Vergleich dazu sind wir wirklich sehr schwach aufgestellt. Deswegen sollte man schauen, dass die religiösen Führer stärker in Kontakt bleiben, um auch ein positives Gegenbeispiel aufzubauen. Dadurch würde ein klares Zeichen gegen genau diejenigen gesetzt wird, die Religion missbrauchen. Es schwimmen jedoch viele noch zu sehr in ihrem eigenen Teich. Es muss anerkannt werden, dass wir in einem globalen Dorf leben. Wie die Welt zusammen gerückt ist, durfte ich in Berlin auch spüren.

domradio.de: In dieser Welt ist es aber so, dass ganz viele Menschen das Gegenteil von Religion als friedensstiftend sehen. Sie glauben, dass Religionen für Gewalt, Terror und Fanatismus stehen. Und sehen sich immer wieder bestätigt - zum Beispiel durch Terroristen des Islamischen Staates oder auch das Attentat in Manchester. Haben Sie darüber auch gesprochen?

P. Schnabel: Absolut, das war hier das Hauptthema. Dass man gerade das Feld nicht, ich nenne das immer gerne den "Hooligans der Religion", überlässt. Den vernarrten Extremisten, die alle Religionen in ihren Reihen haben. Das sind die Leute, die die Gabe haben, schlagwortartig in 30 Sekunden die Welt zu erklären, die alle gleich arbeiten, die eben gerade verunsicherten jungen Menschen billige und schnelle Antworten geben, klare Feindbilder aufbauen, in Schwarz-Weiß denken und die Welt einteilen. Genau das ist der Punkt und das war schon immer das Hauptthema. Sie sind viel lautstärker und präsenter. Jeder Terroranschlag wird sofort berichtet. Und wieso werden die guten Sachen nicht berichtet? Weil wir oft einfach zu langweilig sind. Mit irgendwelchen Friedenserklärungen, die interessieren keinen.

Da war auch ein Beispiel: Wie können wir - ähnlich wie die Terroristen - massive Gegenzeichen setzen? Da kommen wir auf ein Beispiel, was der Großmufti von Sarajevo gebracht hat. Der erzählte, dass in Bosnien Orthodoxe, Katholiken und Muslime gemeinsam Orte besucht haben, wo Menschen von religiösen Fanatikern umgebracht wurden. So haben sie ein Gegenzeichen gesetzt.

Wir müssen nochmal stärker Gegenzeichen setzen, um nicht den Extremisten das Feld zu überlassen, die Religionen in den Schmutz ziehen. Das ist aber eine Frage der Selbstkritik. Wo müssen wir noch stärker Gegenzeichen setzen und nicht immer nur beklagen, dass alles so schlimm ist? Wir müssen wach werden und uns besser aufstellen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

 

Pater Nikodemus Schnabel / © Stefanie Järkel (dpa)
Pater Nikodemus Schnabel / © Stefanie Järkel ( dpa )
Quelle:
DR