Journalist und Schriftsteller Ralph Giordano

Ein Davongekommener

Die Nazis wollten ihn und seine Familie vernichten. Doch zeitlebens galt seine Liebe Deutschland. Am Mittwoch ist der jüdische Schriftsteller und Journalist im Alter von 91 Jahren in Köln gestorben.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

"Ich kann nicht leben, ohne zu schreiben", vertraute Ralph Giordano seinem 2010 erschienenen Tagebuch an. Aber er konnte auch nicht leben, ohne die Stimme zu erheben, wenn aus seiner Sicht Unrecht geschah oder der demokratische Verfassungsstaat bedroht war - durch die staatliche Gleichgültigkeit gegenüber dem "Nationalsozialistischen Untergrund" oder durch militante Muslime.

Political Correctness war seine Sache nicht: Den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden erhielt er 2003 mit der Begründung, er sei ein "Mahner gegen Rechtsradikalismus und gegen das Verdrängen und das Vergessen des Holocaust" sowie ein "mutiger Streiter für Zivilcourage und Mitmenschlichkeit".

Erfahrungen als Jude im Hitler-Deutschland

Giordano verteidigte Thilo Sarrazin, weil der das "enorme Integrationsdefizit der muslimischen Minderheit in Deutschland" zu Recht thematisiere. Dies führe "zu heillosen, haarsträubenden Zuständen in Parallelgesellschaften". Immer wieder wetterte er gegen den Bau der Kölner Zentralmoschee, sprach sich für ein Minarettverbot aus. Zuletzt allerdings relativierte er seine Kritik: "Ich halte den Bau immer noch für deplatziert und überdimensioniert. Aber ich könnte mir Schlimmeres vorstellen", sagte er im vergangenen Jahr. Für ihn entscheidend sei aber vielmehr die Frage, was in der Moschee künftig geschehe und wer dahinter stecke. In der Auseinandersetzung mit dem Islam habe er sich während der vergangenen Jahren allzu leicht davontragen lassen, bekannte Giordano selbstkritisch. "Ich will nicht, dass mein Lebenswerk reduziert wird auf diesen Konflikt."

Geprägt ist das Werk Giordanos von seinen Erfahrungen als Jude im Hitler-Deutschland. Am 20. März 1923 in Hamburg geboren, lebte er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in ständiger Furcht. Mehrmals verhörten und misshandelten Gestapo-Beamte den Sohn einer jüdischen Musikerin und eines italienisch-stämmigen Vaters. 1940 musste er als 17-Jähriger die Schule verlassen. "Nur noch wie ein Menschenbündel lag ich da, allein unter Mitleidlosen. Sie sprachen über ihre Tomatenzucht auf der Fensterbank, während ich nur noch dachte, dass ich besser nie geboren wäre", beschrieb er seine Situation.

Giordano blieb in Deutschland

Im Keller eines ausgebombten Hauses versteckten sich seine Eltern mit ihren drei Söhnen drei Jahre lang bis zur Befreiung durch britische Soldaten am 4. Mai 1945. "Wären sie eine Woche später gekommen, wären wir verhungert", sagt er. Die Erlebnisse im unterirdischen Versteck verarbeitete Giordano zu seinem größten literarischen Erfolg: "Die Bertinis", einer stark autobiografisch geprägten Familiensaga, die 1982 erschien.

Deutschland zu verlassen, sobald dies möglich wäre - das war sein Ziel. Doch dass die Deutschen nach dem Ende des Nationalsozialismus diese Zeit "kollektiv verdrängten", ließ ihn anders entscheiden. Er begann eine journalistische Tätigkeit bei der "Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung". 1946 trat er in die Kommunistische Partei ein. "Ich dachte, die Feinde meiner Feinde seien meine Freunde", begründete er den später bereuten Schritt. "Aber dann erkannte ich die Lüge, die Diskrepanz zwischen Wahrheit und Propaganda des Kommunismus." 1957 verließ er die Partei und rechnete in dem Buch: "Die Partei hat immer recht" mit dem Stalinismus ab.

Ein streitbarer Geist

Bei der Ost-West-Redaktion des Norddeutschen Rundfunk (NDR) begann Giordano seine Laufbahn als Fernsehreporter. 1964 wechselte er zum WDR in Köln und machte dort schnell Karriere. Zwei Mal bekam er den Grimme-Preis verliehen. Bekannte WDR-Redakteure wie Gerd Ruge stärkten dem immer Kritischen den Rücken, ermöglichten Filme über den Völkermord der Türken an den Armeniern oder die Vergehen der Deutschen während ihrer Kolonialherrschaft. Erfolgreiche Bücher wie "Die zweite Schuld oder Von der Last ein Deutscher zu sein" kamen hinzu. Giordano blieb ein streitbarer Geist: Noch im Oktober beteiligte er sich an einer Kampagne für das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende.

 


Quelle:
KNA