Religionsführer wollen in Assisi der Gewalt im Namen Gottes entsagen

Beten in getrennten Räumen

Mit einem "Tag der Reflexion, des Dialogs und des Gebets für den Frieden und die Gerechtigkeit in der Welt" wollen die Teilnehmer des Friedengipfels in der mittelitalienischen Franziskus-Stadt ein gemeinsames Bekenntnis ablegen. Mit Nachdruck wollen sie jeder Instrumentalisierung der Religion und jeder Gewalt im Namen Gottes eine Absage erteilen.

 (DR)

Das Treffen findet auf den Tag genau 25 Jahre nach dem historischen Friedensgipfel statt, zu dem Johannes Paul II. am 27. Oktober 1986 die Führer von Kirchen und Religionen zum Gebet für den Frieden zusammenrief.

Die Resonanz auf die neue Initiative von Benedikt XVI. ist beeindruckend. Zahlenmäßig stellt das bevorstehende Treffen das damalige in den Schatten. Etwa doppelt so viele Kirchen- und Religionsvertreter haben zusagt. Rund 300 Delegierte aus 31 christlichen Kirchen und von zwölf Weltreligionen kommen zusammen. Zusätzlich hat der Papst diesmal auch eine Reihe von dialogoffenen Agnostikern eingeladen.

Der Teilnehmerkreis ist hochkarätig. Von Seiten der Orthodoxie kommt deren Ehrenvorsitzender Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel. Die meisten anderen Ostkirchen sind vertreten, auch das Moskauer Patriarchat. Von den Kirchen des Westens nehmen etwa Anglikanerprimas Rowan Williams, der Generalsekretär des Weltkirchenrats Olav Fykse Tveit sowie Bischof Munib Younan, der Präsident des Lutherischen Weltbunds, teil. Das Judentum ist durch Rabbiner David Rosen und Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni vertreten.

Keine Vermischung der Religionen
Größer als beim historischen Assisi Gipfel 1986 und dem Nachfolgetreffen von 2002 ist diesmal die Zahl der Muslime. Aber auch Buddhisten, Hindus (unter ihnen ein Enkel von Mahatma Ghandi), Konfuzianer, Taoisten, Schintoisten und Vertreter von Naturreligionen haben Delegierte zum Termin mit dem Papst nominiert. Allerdings fehlt diesmal der Dalai Lama.

Das Programm orientiert sich weitgehend am Gipfel von 1986 und dem Nachfolgetreffen von 2002. Deutlicher als in früheren Jahren möchte der Vatikan jedoch jeden Verdacht einer Vermischung der Religionen vermeiden. Es wird kein gemeinsames Gebet geben, und auch keine religiösen oder parareligiösen Gesten: Keine gemeinsame Friedenspfeife im Franziskanerkonvent, keinen Bittruf eines animistischen Fetischpriesters: gebetet wird in getrennten Räumen.

Der Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, betonte daher auch, Assisi "darf nicht als Akt des Synkretismus missverstanden werden". Und der Präsident des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, Kardinal Peter Turkson, meinte, der Akzent liege 2011 auf der Pilgerfahrt und nicht auf dem Gebet.

Schweigende Prozession
Vielmehr reiht sich die Einladung ein in das Eintreten des Papstes für Religionsfreiheit - ein Schwerpunkt seines bisherigen Pontifikates. Indem sie der Gewalt abschwören, verpflichten die 300 Repräsentanten von zwölf Religionen ihre Glaubensgemeinschaften, auch im Umgang mit Andersgläubigen auf jede Form der Gewalt im Namen der Religion zu verzichten, so die Logik des Friedensbekenntnisses von Assisi.

Nach dem einfachen Mittagessen im Konvent Santa Maria degli Angeli hat jeder Teilnehmer die Möglichkeit zur persönlichen Meditation. Die Friedensprozession durch die Straßen von Assisi erfolgt schweigend.

Dass es in den interreligiösen Beziehungen allerdings auch knirscht, demonstrierte eine Auseinandersetzung zwischen dem römischen Oberrabbiner Riccardo Di Segni und dem vatikanischen "Ökumene-Minister". Kardinal Koch hatte im Vorgriff auf Assisi in der Vatikanzeitung "Osservatore Romano" das Kreuz nicht nur als Grundlage für den Friedenswillen der Christen bezeichnet. Es sei zugleich der "entscheidende Weg" für Dialog zwischen Juden, Christen, Muslimen und Angehörige anderer Religionen.

Der römische Oberrabbiner stellte daraufhin - ebenfalls in der Vatikanzeitung - klar, dass Christen ihre religiösen Symbole anderen Religionsgemeinschaften nicht als Ersatz für deren eigene anbieten sollen. "Wenn sie ehrlich und respektvoll mit Juden Dialog führen möchten, dürfen sie Juden christliche Überzeugungen nicht als Test für den "entscheidenden Weg" vorschlagen."

Wenige Tage vor dem Assisi-Treffen appellierte der Jüdische Weltkongress an den Vatikan, sich von "antijüdischen Lehren" von katholischen Splittergruppen wie der Pius-Bruderschaft zu distanzieren. Die enormen Fortschritte des katholisch-jüdischen Dialogs dürften nicht durch "Hasspredigten" gefährdet werden, mahnte der stellvertretende Generalsekretär Marjan Stern, der zu den jüdischen Vertretern beim Weltfriedenstreffen gehört. Hintergrund sind Äußerungen des ultrakonservativen Traditionalistenbischofs Richard Williamson, der die Juden als Hauptverantwortliche für die Kreuzigung Jesu bezeichnet hatte.

Überraschende Einladung
Die Einladung zu einem neuen Assisi-Gipfel durch Benedikt XVI. kam für viele überraschend. Vor 25 Jahren schien der damalige Kurienkardinal Joseph Ratzinger der interreligiösen Initiative seines Vorgänger Johannes Paul II. zunächst skeptisch gegenüberzustehen. Er sah die Kritik von Seiten der Traditionalisten wie auch aus Teilen der katholischen Kirche, die eine unzulässige Religionsvermischung befürchteten. Auch diesmal kam aus Kreisen der Piusbrüder Kritik an dem Friedenstreffen.

Aber 25 Jahre später hat sich die Welt verändert. Der Ostblock hat aufgehört zu existieren. Die Terroranschläge am 11. September trafen auch religiöse Emotionen. Dann schürten der Irakkrieg, aber auch Vorgänge in Indien, in Westafrika und zuletzt der Arabische Frühling religiöse Kontroversen. Die Globalisierung, die Wirtschafts- und Finanzkrise haben neue Probleme geschaffen. Demokratische und soziale Strukturen erleben eine Krise. Die Probleme von Hunger, Armut und Flüchtlingsströmen bleiben ungelöst. Für Benedikt XVI. Grund genug, die Weltreligionen zu einem neuen Friedenstreffen einzuladen: gegen Fanatismus und Fundamentalismus, für eine engere Zusammenarbeit für gerechtere Lebensbedingungen.

Auch Atheisten vor Ort
Diesmal wird der Vatikan besonders sorgfältig auf eine Beachtung von Religionsgrenzen drängen. Denn ob die derzeit laufenden Einigungsbemühungen mit den traditionalistischen Piusbrüdern Erfolg haben, dürfte auch etwas vom Verlauf des Treffens in Assisi abhängen.

Der Vatikan hat auch fünf nichtglaubende Intellektuelle eingeladen. Dies teilte Kardinal Gianfranco Ravasi, Präsident des päpstlichen Kulturrates, mit. Eine Teilnehmerin ist demnach die französische Philosophin Julia Kristeva. Die aus Bulgarien stammende Intellektuelle hatte bereits im März in Paris an der Eröffnungsveranstaltung des "Vorhofs der Völker" teilgenommen, einer vatikanischen Initiative für den Dialog mit den Nichtglaubenden. Ravasi kündigte die Teilnahme weiterer vier Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kultur der Wissenschaft und der Philosophie an, "die keiner verfassten Religion angehören". Diese sollten stellvertretend für all jene stehen, die nichtgläubig seien, aber dennoch eine ethisch-humanistische Weltsicht verträten.