Theologe zur nachlassenden Bedeutung christlicher Feiertage

"Pfingsten zu multikulturellem Fest machen"

Für jeden zweiten Deutschen zählt laut einer Umfrage an religiösen Feiertagen eher die arbeitsfreie Zeit und nicht die christliche Bedeutung. Zu Pfingsten wartet der Theologe Dr. Michael Ebertz deshalb mit einem Vorschlag auf.

Pfingsten als multikulturelles Fest? / © Stephanie Pilick (dpa)
Pfingsten als multikulturelles Fest? / © Stephanie Pilick ( dpa )

domradio.de: Um zunächst einmal die Umfrage grob zusammenzufassen: An Feiertagen wie Pfingsten freuen sich viele, dass sie frei haben - die christliche Bedeutung solcher Tage ist aber egal. Ist diese Gleichgültigkeit ein Symptom von Kirche in der Krise?

Dr. Michael Ebertz (Theologe, Religionssoziologe und Buchautor): Es ist ein vielfältiges Symptom. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland ist konfessionslos. Was sollen die mit christlichen Festen anfangen? Die freuen sich halt, dass sie frei haben. In den Kirchen haben wir eine ganze Menge Leute, die gegenüber dem Christentum und der Einrichtung Kirche sehr distanziert sind. Die sind gar nicht mehr wirklich gläubig, sie sind aber noch aus irgendwelchen Gründen in der Kirche, weil sie vielleicht die Oma oder die Eltern durch einen Kirchenaustritt nicht verprellen wollen oder weil sie die sozialen Leistungen der Kirche unterstützen und fördern wollen. Von daher sind für mich diese 50 Prozent eigentlich keine Überraschung. Es bestätigt im Grunde die konfessionelle Zusammensetzung unserer Bevölkerung.

domradio.de: Sie setzen sich schon seit langem mit der Geschichte des Christentums und Krisen in der Kirche auseinander. Für Sie sind diese neuen Umfrageergebnisse also keine neue Entwicklung?

Ebertz: Nein. Das bestätigt eine Entwicklung, die wir schon lange haben. Es kommt natürlich hinzu, dass wir bei den kirchlichen Hochfesten noch unterscheiden müssen. Es gibt Hochfeste, da brummt regelrecht der Gottesdienst. Man hat die Kirchen voll und weiß gar nicht, wohin mit den Leuten. Das sehen wir an Weihnachten und teilweise auch an Ostern so - mehr jedenfalls als an Pfingsten. Das hat auch noch ganz andere Gründe. Weihnachten gilt für viele Menschen in Deutschland als das "Geburtstagsfest" der Familie. Einmal im Jahr feiert man gemeinsam und freut sich, dass man geboren ist. Da passt die Botschaft von der Heiligen Familie, dass Gott Mensch geworden ist, sehr gut. An Ostern beschenken sich Menschen untereinander mit zwar vielleicht nicht christlichen Geschenken, aber es wird eine Geschenkekultur unterstützt. Pfingsten hat keine Geschenketradition. Pfingsten fehlt gewissermaßen die soziale Trägerschaft der Familie. Pfingsten ist ein rein kirchliches Fest und deshalb können viele Leute damit nichts anfangen und fokussieren sich auf Ostern und Weihnachten.

domradio.de: Am Sonntag und Montag feiern Christen in aller Welt das Pfingstfest. Oder eben nicht. Wie ist es möglich, die Bedeutung solcher Tage wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen?

Ebertz: Aus soziologischer Sicht würde ich sagen, dieses Fest braucht so etwas wie eine soziale Trägerschaft. Weihnachten hat die soziale Trägerschaft Familie, Ostern zum Teil auch. Diese Unterstruktur, dieser gesellschaftliche Unterbau fehlt Pfingsten. Ich könnte mir vorstellen, in einer immer pluraler werdenden Gesellschaft, wo auch Katholiken und Protestanten in Deutschland aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen und wir einen Migranten-Anteil von 20 Prozent in der Bevölkerung haben, dass man diesen Tag zu einem multireligiösen oder multikulturellen Tag macht. Denn an Pfingsten haben die Jünger des verstorbenen Jesus plötzlich gemerkt, die anderen verstehen uns, obwohl sie aus verschiedenen Kulturen und Sprachen kommen. Das könnte doch in einer pluralen Gesellschaft einen neuen Sinn stiften und damit auch eine neue soziale Trägerschaft für Pfingsten begründen. Das wäre jedenfalls mein Rat, denn diese Trägerschaft wäre außerordentlich modern und zeitgemäß.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Dr. Michael Ebertz / © kirchenzeitung.at
Dr. Michael Ebertz / © kirchenzeitung.at
Quelle:
DR