Eine vorläufige Bilanz des Heiligen Jahres

Zwölf Monate Barmherzigkeit

Noch ist es nicht vorbei: das Heilige Jahr. Eine erste Bilanz kann man aber bereits ziehen - diese hängt jedoch vom Betrachter ab: Wer nur nach Rom schaut und in Zahlen denkt, ist enttäuscht. Wer auf die Weltkirche blickt und nach der Botschaft fragt, nicht.

Autor/in:
Thomas Jansen
Papst Franziskus öffnet die Heilige Pforte / © Ettore Ferrari (dpa)
Papst Franziskus öffnet die Heilige Pforte / © Ettore Ferrari ( dpa )

Ein Mammutprojekt von Papst Franziskus geht seinem Finale entgegen: das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Am 20. November schließt der Papst in einer feierlichen Zeremonie die Heilige Pforte des Petersdoms und beendet damit zwölf besondere Monate für die katholische Kirche. Zwei der spektakulärsten Ereignisse - die Begegnungen des Papstes mit Tausenden von Obdachlosen und Strafgefangenen im Vatikan - stehen zwar noch aus. Eine vorläufige Bilanz des Heiligen Jahres lässt sich aber bereits jetzt ziehen. Wie sie ausfällt, hängt stark vom Blickwinkel ab.

Kaum Menschenmassen in Rom

Nimmt man allein die Zahl der Rom-Pilger als Maßstab, dann fällt sie enttäuschend aus. Die Menschenmassen, über die Medien spekuliert und auf die Gastronomen gehofft hatten, sind offensichtlich ausgeblieben. Lange Schlangen gab es kaum je vor der Heiligen Pforte am Petersdom. Die meistbesuchte Veranstaltung war die Heiligsprechung von Mutter Teresa durch den Papst, zu der Anfang September 120.000 Menschen kamen.

Auf der offiziellen Internetseite des Heiligen Jahrs wird die Zahl der bisherigen Pilger (Stand Mitte Oktober) zwar auf rund 18,1 Millionen beziffert. Diese Angabe sagt allerdings wenig aus, weil hier alle Pilger berücksichtigt sind, die durch die Heilige Pforte des Petersdoms und jene der vier großen Päpstlichen Basiliken Roms sowie eines Marienheiligtums geschritten sind. Ein Pilger kann also mehrfach gezählt werden.

Heiliges Jahr auch in den Ortskirchen

Doch Franziskus hat von vorneherein deutlich gemacht, dass es ihm gar nicht darum geht, in diesem Jahr möglichst viele Pilger nach Rom zu locken. Nach seinem Willen sollte das Heilige Jahr ebenso in den Ortskirchen begangen werden, wo in den jeweiligen Bischofskirchen ebenfalls Heilige Pforten eingerichtet wurden. Der Papst wollte damit nach eigenen Worten ein "sichtbares Zeichen der Gemeinschaft der ganzen Kirche" setzen. Er selbst öffnete bereits vor dem offiziellen Beginn des Heiligen Jahrs in der Zentralafrikanischen Republik eine Heilige Pforte.

Weltweite Mobilisierung

Diese weltweite Mobilisierung der Gläubigen in den Ortskirchen lässt sich kaum beziffern. Sie dürfte aber weit jenseits aller Rom-Pilger-Rekorde liegen. Franziskus hat das Heilige Jahr damit von einer Rom-zentrierten zu einer weltkirchlichen Veranstaltung gemacht.

Barmherzigkeit allenthalben

Franziskus selbst bot das Heilige Jahr ein Forum, um das Kernanliegen seines Pontifikats in der katholischen Kirche fester zu verankern: die Barmherzigkeit. Das Heilige Jahr solle einer "spirituellen Umkehr" dienen, damit die Kirche "ihre Mission, Zeuge der Barmherzigkeit zu sein, noch überzeugender erfüllen kann", formulierte er das Ziel seiner Initiative. Es gab kaum einen Predigt oder Ansprache des Papstes im Heiligen Jahr, in der das Wort Barmherzigkeit fehlte.

Aus Sicht des obersten Heilig-Jahr-Organisators hat Franziskus sein Ziel erreicht. Die Barmherzigkeit sei in den vergangenen zwölf Monaten zurückgekehrt und "wieder das pulsierende Herz des Lebens der Kirche geworden", resümierte der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung, Erzbischof Rino Fisichella.

Ausflüge am Freitag der Barmherzigkeit

Franziskus nutzte das Heilige Jahr aber auch dazu, sich weitere Freiräume jenseits des Protokolls zu schaffen. Das zeigte sich vor allem in seine monatlichen Ausflüge, die unter dem Motto "Freitage der Barmherzigkeit" standen. Mal besuchte er Wachkoma-Patienten, mal eine Neugeborenen-Stationen, mal ein SOS-Kinderdorf in Rom. Stets kam er ohne offizielle Ankündigung mit wenigen Begleitern und konnte das sein, was er am liebsten ist: Seelsorger.

Im Laufe des Heiligen Jahres kam die katholische Kirche in ihrer ganzen Vielfalt nach Rom: Priester, Diakone, Freiwillige und Sozialarbeiter, Familien, marianische Bruderschaften und andere.

Diese Gruppen hatte auch Johannes Paul II. im Jahr 2000 empfangen. Neu ist hingegen, dass auch Obdachlose und Strafgefangene mit Franziskus das Heilige Jahr begehen. Dass gerade diese beiden Personengruppen den Abschluss des Heiligen Jahres bilden, ist bezeichnend für Franziskus.

Kalendarisch neigt sich das Heilige Jahr seinem Ende zu. Das Anliegen des Papstes dürfte damit jedoch noch nicht erfüllt sein. Franziskus wird sich neue Wege überlegen.


Quelle:
KNA