Koordinator der katholischen Kirche in Deutschland zum Heiligen Jahr

"Wir brauchen viele offene Türen"

Am 8. Dezember eröffnet Papst Franziskus das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Der deutsche Beauftragte, der Würzburger Weihbischof Ulrich Boom, spricht im Interview über seine Erwartungen und die Offenheit der Kirche für Menschen, die scheitern.

Weihbischof Ulrich Boom / © Harald Oppitz (KNA)
Weihbischof Ulrich Boom / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Herr Weihbischof, warum braucht es eigens ein heiliges Jahr zum Thema Barmherzigkeit?

Boom (Würzburger Weihbischof und Koordinatior der Deutschen Bischofskonferenz für bundesweite Aktivitäten der katholischen Kirche in Deutschland zum Heiligen Jahr): Für Christen ist im Grunde jedes Jahr ein Jahr der Barmherzigkeit. Jetzt hängt es eng zusammen mit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) vor 50 Jahren: Wir teilen mit der Welt "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst". Dies sollen wir uns noch einmal in diesem "Exerzitienjahr" selbst im Herzen klar machen. Barmherzigkeit dürfen wir nicht vor uns hertragen. Wir können gar nicht so barmherzig sein, wie wir sein sollen oder manchmal auch wollen. Jeder sollte deshalb bei sich entdecken: Du bist ein Mensch mit Schuld, Versagen, Sünde, Scheitern. Und da begegnet mir der barmherzige Gott. Das ist die Kraft meines Lebens.

KNA: Ist Barmherzigkeit eine Art Gnadenakt gegenüber einem anderen Menschen?

Boom: Ein Gnadenakt wäre ja ein Erlass. Es ist aber Gnade. Oder aber: Was ist Gnade? Die Barmherzigkeit kommt auf mich zu. Im Lateinischen heißt Gnade "gratias". Und wir hören sofort "gratis". Gott begegnet mir nicht, weil ich gut wäre, weil ich das verdient hätte. Unverdient und unverschuldet, wie ich bin, begegnet mir Gott allein aus Gnade, mit seiner Barmherzigkeit, seiner Größe, seiner Güte, auch seiner Gerechtigkeit.

KNA: Wir sprechen viel vom barmherzigen Gott. Aber was ist mit dem strafenden?

Boom: Ich denke, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gehören zusammen. Bei Gerechtigkeit denken wir ganz schnell: Wenn ich ungerecht bin, muss ich mit Strafe rechnen. Insofern gibt es dann den strafenden Gott, weil er nicht nur barmherzig ist, sondern auch gerecht. Wir verstehen diesen gerechten Gott manchmal aber nicht: Warum greift er da nicht ein, wo es so viel Elend gibt? Wo wir Dinge in der Welt verschulden? Zum Beispiel: Die Flüchtlinge sind ja nicht einfach vom Himmel gefallen. Die brechen ja nicht einfach wegen Jux und Tollerei auf. Es ist in vielen Fällen tiefste Not. Diese Menschen wollen die eigene Existenz und die der Familie absichern. Wo bleibt da der gerechte Gott, wie viel Unrecht liegt bei uns?

KNA: Sie waren selbst lange als Seelsorger in Gemeinden: Wie soll ein Gemeindepfarrer handeln, wenn er barmherzig ist?

Boom: Er soll erst einmal das sein, was ihm bei der Firmung schon zugesprochen wurde: Er wurde gesalbt, um Christus ähnlich zu sein. Ähnlich, nicht gleich. Christus muss an ihm sichtbar werden, an dem Priester, an dem Bischof, ja an jedem Getauften und Gefirmten. Der Kirche werden von außen bisweilen Machtspiele vorgehalten. Papst Franziskus sagt: Die wahre Macht ist Dienst. Je mehr wir unser Dienstamt wahrnehmen, spürt der Mensch: Der hat ein Herz für mich, der schiebt mich nicht weg. Wir müssen Diener der Freude sein - das heißt ja nicht, dass ich in der Leitung auch Bereiche im Klartext anspreche.

KNA: Gerade in Bezug auf die heißen Eisen, etwa wiederverheiratete Geschiedene, wird viel über Barmherzigkeit geredet. Ist das auch das Thema ab dem 8. Dezember?

Boom: Ja, aber nicht das einzige. Es werden Themen sein, die vor der Tür stehen: Die Flüchtlinge oder die zunehmende Zahl armer Menschen, die unter den Tisch fallen, aus welchen Gründen auch immer. Oder jene, die einfach mit der Welt nicht fertig werden.

KNA: Und was ist mit den gescheiterten Ehen?

Boom: Gescheiterten müssen wir helfen, mit dem Scheitern umgehen zu können. Das ist nicht allein der Sakramentenempfang. Es geht ja nicht nur um das Scheitern der katholisch getrauten Ehepaare, sondern auch um das Scheitern in der Welt. Wie weit gibt es eine Kultur der Vergebung? Ich glaube, das wird eines der großen Themen sein in den nächsten Jahren: Wie weit wir vergeben und um Vergebung bitten können.

KNA: Heilige Jahre, das verbinden viele Menschen vor allem mit Rom. Was passiert in Deutschland?

Boom: Es soll in allen Ortskirchen eine heilige Pforte geben, manchmal sogar mehrere. Das verweist darauf: Die heilige Pforte liegt ganz nah bei den Gemeinden, bei dem einzelnen Menschen. Wir singen im Advent "Macht hoch die Tür". Da erwarte ich mir von unserer Kirche, dass viele offene Türen da sind. Und nicht nur die in die Kirche hinein, sondern auch umgekehrt: dass wir die Türen zur Welt aufmachen. Da sind wir wieder beim Konzilsjubiläum: Aus der Kirche geht es in die Welt hinein! Damit die Welt erfährt, dass Christus das Licht der Welt ist.

Das Interview führte Christian Wölfel


Quelle:
KNA