Marko Ventzke blickt zurück auf eine besondere Pilgerreise

In Ruhe nach Santiago de Compostela

Ohne Karte und Handy, nur mit einer Kamera ist Marko Ventzke im Heiligen Compostelanischen Jahr den Camino Francés gepilgert. Im Podcast "Himmelklar" blickt der evangelische Christ auf seine Pilgerreise mit Video-Tagebuch zurück.

Marko Ventzke (privat)

Himmelklar: Was hat die Pandemie bei Ihnen verändert?

Marko Ventzke (Pilger): Wie für viele hat sich natürlich einiges verändert. Freunde, die man sonst regelmäßig gesehen hat, hat man weniger gesehen. Man konnte weniger raus in den Urlaub, viel Abenteuer ist ausgeblieben. Da kam in mir dieser Reise-Wahnsinn und dann dachte ich, ich muss irgendwas machen – und ich habe mich dann für den Camino entschieden.

Himmelklar: Das heißt, aus der Pandemiesituation heraus haben Sie sich dafür entschieden, alleine nach Santiago de Compostela aufzubrechen?

Ventzke: Ja, ich fühlte mich so eingesperrt in den letzten Monaten und ich dachte, ich müsste einfach mal raus. Dann habe ich mal mit meinem Arbeitgeber gesprochen. Ich sagte, ich brauche ein paar Wochen Urlaub. Erst war er nicht begeistert, ich habe ihm aber erzählt, was ich vorhabe, und er hat es dann auch unterstützt, sodass ich insgesamt sieben Wochen frei hatte.

Das war sehr, sehr gut für mich, weil auf dem Camino Francés tatsächlich Covid kein großes Thema war. Man konnte sich frei bewegen. In den Herbergen war es manchmal so, dass die Küchen gesperrt waren oder dass man seine Rucksäcke nicht im Schlafraum lassen durfte, aber ich konnte tatsächlich den Covid-19 sehr gut vergessen.

Himmelklar: Die Herbergen waren aber ja auch teilweise zu. Sie haben für Ihre Übernachtungen welche gefunden, in denen es dann ein Bett für die Nacht für Sie gab. Worin bestanden die Schwierigkeiten? Musste man irgendwie vorweisen, dass man geimpft ist oder sich testen?

Ventzke: Nein, das tatsächlich nur bei der Einreise. Da wurde ich überprüft, ob ich gesund bin. Da hat man Fieber gemessen und wollte mein Attest sehen, dass ich negativ bin. Und danach auf der Reise war es völlig problemlos. In den Herbergen wurde manchmal Fieber gemessen, aber in den meisten Fällen ist man herzlich begrüßt worden und man war einfach da.

Man merkte natürlich, es waren viel weniger offen. Man musste manchmal suchen, bis man eine offene gefunden hat und die wurde dann auch oft nur zur Hälfte belegt. Aber es war kein Problem. Ich konnte gut überall übernachten.

Himmelklar: Klingt also ziemlich entspannt. Es wurde gleichzeitig aber ja davon abgeraten, überhaupt zu reisen. Für Sie war es natürlich die Chance, kilometerweit allein auf diesem wunderschönen Weg unterwegs zu sein und ohne überfüllte Herbergen, wenn sowieso nur die Hälfte belegt wurde. Was war das für eine Erfahrung für Sie?

Ventzke: Also gerade die ersten Tage, an denen ich losgepilgert bin, da war ich wirklich ganz alleine. Tagsüber bin ich mal Strecken von 20 bis 25 Kilometern gelaufen – und ich habe tatsächlich niemanden gesehen. Auch in den ersten Ortschaften, die man durchläuft, sieht man kaum Leute. Das war toll. Das ist, was ich wollte. Ich wollte für mich sein. Es war einfach fantastisch für mich, diese Ruhe zu genießen.

Himmelklar: Und das, wenn man normalerweise auf so einem Abschnitt 300 bis 400 Pilger pro Tag findet ...

Ventzke: Das haben mir natürlich die Herbergsväter und -mütter erzählt, wie glücklich ich sein darf, dass ich jetzt laufe. Teilweise laufen auf diesen Strecken 400-500 Menschen am Tag bei denen rum. Herberge suchen, ein bisschen Ruhe suchen – und die hatte ich einfach. Es war einfach fantastisch.

Himmelklar: Sie haben das jetzt nicht erlebt, aber ansonsten ist es so voll. Ist das ein Trend geworden, ein Hype oder ist dieser Reiz begründet – was würden Sie sagen?

Ventzke: Ja, also der Weg ist unheimlich beliebt. Der Camino Francés ist ja der beliebteste von allen und man merkt auch, dass viele Leute in den Startlöchern stehen und los wollen. Ich glaube, im nächsten Jahr werden die Leute wieder alle da sein. Darauf hoffen natürlich auch alle vor Ort.

Himmelklar: Warum? Was ist das Besondere an diesem Weg? Man könnte jeden anderen gehen bzw. es gibt ja auch Abschnitte, die durch Deutschland gehen.

Ventzke: Das stimmt. Das Besondere ist wahrscheinlich einfach die Infrastruktur, dass es toll organisiert ist. Die Geschichte dieses Weges ist sehr bekannt und man sieht manchmal ja auch etwas im Fernsehen, und plötzlich sieht man diese Orte live wieder. Ich glaube einfach, dass unheimlich viel gemacht worden ist, damit dieser Weg bekannt ist und dadurch auch seinen Reiz hat, dass man das selbst mal erfahren darf – und erlaufen darf natürlich.

Himmelklar: Das heißt, Sie würden es auch jedem, der das vorhat, empfehlen, den Pilgerweg zu gehen, oder vielleicht auch selber noch mal machen?

Ventzke: Das kann man auf jeden Fall jedem empfehlen. Es ist wirklich unfassbar schön. Das Besondere für mich auf dem Jakobsweg waren nachher die Menschen, die ich dort getroffen habe. Das kann man sich nicht so vorstellen, aber die Momente mit den Menschen, ich habe ja die Kamera immer dabei gehabt, aber viele Momente waren einfach viel zu schön, um sie zu filmen, um diesen Moment zu unterbrechen – oder er war so schnell wieder vorbei.

Ich kann es nur jedem empfehlen wegen der Begegnungen. Wildfremde Menschen haben mir auf die Schultern geklopft und haben gesagt "Buen Camino" ("Guten (Jakobs)Weg", d. Red.) und haben sich gefreut, dass ich das mache. Sie haben mir Getränke geschenkt. Ein Bäcker in seinem Bäckerwagen hat neben mir angehalten und hat mir ein Brot geschenkt.

Menschen, die riefen "Pellegrino, Pellegrino" ("Pilger", d. Red.) – und dann sollte ich hinkommen. Da habe ich dann mit 15 Leuten gegrillt, die ich nie vorher gesehen habe. Die haben mit mir ihr Brot und ihren Salat geteilt. Ich habe da über eine Stunde gesessen, einfach so. Die waren so unfassbar herzlich zu mir. Es war verrückt. Also, diese Momente auf diesem Pilgerweg sind einmalig.

Himmelklar: Wenn Sie es noch mal machen, pilgern Sie dann wieder alleine oder nächstes Mal mit Ihrer Familie?

Ventzke: Das nächste Mal habe ich mich für den Camino Portugues entschieden im nächsten Jahr. Der ist ein bisschen kürzer. Und da gehe ich auf jeden Fall mit der Familie.

Himmelklar: Kam Corona denn im Zwischenmenschlichen zur Sprache, als Sie die Menschen getroffen haben, oder auch nicht?

Ventzke: Nein, das war total schön. Wenn man abends in den Herbergen war, haben wir oft gemeinsam gekocht, wir haben abends zusammen gesessen oder – es gibt ja solche Pilgermenüs in den Herbergen. Da haben wir alle abends zusammengesessen. Es wurde Gitarre gespielt. Abends, wenn wir zusammengesessen haben, war es wirklich kein Thema.

Nur wenn man in die Städte reingekommen ist, dann hat man eine Maske aufgesetzt. Darauf hat die Polizei in Spanien auch geachtet. Das bekommt man also schon mit. Aber sobald man aus den Orten raus war, war die Maske im Wald oder so kein Thema. Man war eh alleine!

Himmelklar: Sie haben von Ihrer Kamera gesprochen. Und es gibt einen Grund, warum Sie nur eine Kamera mit dabei hatten bzw. wir jetzt tolle Bilder von Ihrem Weg an den 25 Tagen sehen können. (YouTube-Link Teil 1: www.youtube.com/watch?v=JQZlGctl3V8)

Ventzke: Ich wollte wirklich für mich sein und wollte keine störenden Anrufe, keine Informationen von zu Hause, die mich nicht interessieren. Gerade Facebook, WhatsApp und so, da wird man ja doch mit Sachen vollgemüllt, die man eigentlich gar nicht sehen möchte. Deswegen wollte ich es nicht.

Ich hatte tatsächlich nur diese Kamera mit. Und das war wirklich schön. So konnte meine Familie sehen, was ich mache, wie es mir am Tag geht. Und dann haben wir gelegentlich an Telefonzellen telefoniert, so wie man es früher auch gemacht hat.

Himmelklar: Das Material haben Sie ja direkt von unterwegs rüber nach Deutschland geschickt, damit alle dieses Tagebuch im Videoformat sehen können. Wie haben Sie das gemeistert?

Ventzke: Mit mobilen Daten kann man solche Bilderqualität nicht übertragen. Die Qualität, wenn man sich die Videos anschaut, ist sehr hoch. Die Videos haben eine sehr hohe Auflösung. Ich habe Glück gehabt, dass ich es in den Herbergen manchmal über Nacht durchlaufen lassen konnte.

In den größeren Städten war es meistens eh kein Problem. Und dann habe ich eine liebe Freundin, die Christina Grey, die daraus diese Videos gemacht hat für die Familie. Ich hatte überhaupt keine richtige Arbeit damit, außer vor Ort zu filmen ...

Himmelklar: ... und hochzuladen.

Ventzke: Genau, ja.

Himmelklar: Es lohnt sich wirklich, das anzugucken. Man kann auf YouTube die ganze Reise verfolgen, Tag für Tag. Es ist ja vor allem eine Besonderheit, jetzt gerade zu pilgern, nicht nur wegen der Corona-Pandemie, sondern wir befinden uns im Heiligen Jahr. Am 25. Juli ist der Festtag vom Heiligen Jakobus. Und wenn der auch noch auf einen Sonntag fällt – das ist im Jahr 2021 so – dann wird in dem Pilgerort groß gefeiert. Auf das Heilige Compostelanische Jahr wurde mit einigen Renovierungen und Vorbereitungen hingearbeitet. Normalerweise gibt es dann auch Konzerte, Kulturveranstaltungen, Führungen, Ausstellungen … Und als Pilger geht man durch die Heilige Pforte. Sind Sie durchgegangen?

Ventzke: Ja, ich bin da durch, auf jeden Fall. Das ist ja auch ein Grund, warum man da hinläuft, man freut sich auf diesen Moment. Und man merkt auch tatsächlich: Das Heilige Jahr ist da wirklich allgegenwärtig. Man merkt es überall: Riesengroße Plakate hängen überall, jeder freut sich drauf. Ich glaube, soweit ich weiß, ist es ja sogar verlängert worden. Und hoffen wir, dass es nächstes Jahr noch mehr feiern können, weil dieses Jahr viele Festlichkeiten natürlich ausfallen werden.

Himmelklar: Ja, richtig, Papst Franziskus hat es verlängert bis 2022 wegen der Corona-Pandemie, damit die Leute es noch nutzen können. Dann wird es mit dem 31. Dezember geschlossen. Das Besondere für katholische Christen ist in dem Heiligen Jahr, die Möglichkeit zu haben, einen vollkommenen Ablass zeitlicher Sündenstrafen zu bekommen. Da gibt es so ein paar Voraussetzungen: Man besucht die Kathedrale von Santiago de Compostela, wie Sie es gemacht haben. Dann feiert man da einen Gottesdienst und betet besondere vom Papst für den Monat vorgesehene Gebete. Man bekommt die Kommunion, also nimmt an einer Eucharistiefeier in der Kathedrale teil und empfängt das Sakrament der Beichte. Was ist für Sie denn das, was Sie mitgenommen haben? Wo kam dieser Funke Spiritualität auf Ihrer Pilgerreise durch?

Ventzke: Den hat man tatsächlich gefühlt, fast jeden Tag. Man hat viele Begegnungen, da merkt man einfach, dass man nicht alleine ist, dass Gott da ist. Das merkt man ganz oft. Natürlich die Pilgergottesdienste, da wird man mitgenommen. Das fand ich auch immer so schön. Es spielt keine Rolle, wer man ist, woher man kommt, was man beruflich macht. Alle sind gleich. Man sitzt abends zusammen.

Ich habe auch viele Priester getroffen, die einen freundlich empfangen haben, sich Zeit genommen haben, trotz der Sprachbarrieren, die da so sind. Mein Spanisch ist nicht so perfekt. Das war für mich das Besondere. Und natürlich überall in den Herbergen: Die freuen sich auch auf dieses besondere Jahr.

Himmelklar: Haben Sie den Wunsch schon länger gehabt oder ist er tatsächlich aus der Pandemie entstanden?

Ventzke: Eigentlich ist es schon viele Jahre der Wunsch, aber das Besondere war für mich tatsächlich, dass ich, glaube ich, für mich gesagt habe: Ich muss dieses Jahr los, da es so ruhig ist. Für mich war es wirklich diese Ruhe. Ich habe ja sonst auch immer den Gedanken gehabt: Wie voll ist es auf dem Camino Francés? Macht es denn noch Spaß, wenn man jeden Morgen loslaufen muss, damit man rechtzeitig ankommt?

Und die Ruhe war für mich einfach das Besondere dieses Jahr. Meine Kinder sind jetzt 10 und 13, ich dachte, das wäre ein guter Zeitpunkt, loszurennen.

Himmelklar: Was nehmen Sie denn daraus mit wieder zurück in den Berufsalltag?

Ventzke: Da bin ich auch mal gespannt! Ab Montag kann ich Ihnen das genau sagen. Ich hoffe für mich, so ein bisschen mehr Ruhe zu finden, dass die Arbeit nicht das Wichtigste ist. Und vor allem, dass man mit ganz wenig auskommen kann und viel glücklicher sein kann als mit so vielen Dingen, die man hat, die einen im Nachhinein manchmal auch belasten.

Ich hatte wenige Klamotten, man musste sie dann zwar öfter einmal waschen, aber es hat gereicht. Man braucht gar nicht so viel. Das nehme ich auf jeden Fall mit, dass ich normalerweise viel zu viele Sachen besitze.

Himmelklar: Was ist Ihre Hoffnung – vorher schon oder aus der Erfahrung der Pilgerreise heraus? Woran halten Sie sich fest?

Ventzke: Natürlich an diesen Momenten, dass ich die beibehalte. Die tollen Menschen, die ich kennengelernt habe, mit denen man auch im Nachhinein noch Kontakt hat.

Ich hoffe das natürlich auch für meine Familie, wenn ich mit denen nächstes Jahr laufe, dass sie genauso schöne Momente haben und eine so schöne Zeit, dass man das auf jeden Fall auch wiederholen kann.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Himmelklar (DR)
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