An der Zisterzienserabtei von Senanque blüht der Lavendel

"Die Seele muss das Licht suchen"

​"Licht und Schatten sind das Megafon dieser Architektur der Wahrheit", sagte einst der Star-Architekt Le Corbusier über die Zisterzienserabteien der Provence. Für kurze Zeit sind sie nun in der gebotenen Ruhe zu besuchen.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Lavendel im Garten der Benediktinerabtei Sankt Mauritius zu Tholey / © Julia Steinbrecht (KNA)
Lavendel im Garten der Benediktinerabtei Sankt Mauritius zu Tholey / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Den Bienen gefällt die Stille der Quarantäne-Zeit sicher. Wahrscheinlich auch den Mönchen. An der Zisterzienserabtei von Senanque bei Gordes im Herzen der Provence blüht nun wieder der Lavendel - und die Touristensaison beginnt, reichlich verspätet und reichlich eingeschränkt. In früheren Jahren mussten die derzeit sechs Ordensmänner einen Zaun um die Lavendelfelder ziehen, um zu verhindern, dass Tausende Instagram-Nachläufer mit ihren Selfie-Sticks alles platttrampeln.

In diesen Monaten ist es wieder mehr so, wie es die Zisterzienser von Senanque einst wollten: vor der Welt verborgen zu sein und sich dort, im tiefen Tal des Flüsschens Senancole, ganz Gott zu widmen. In den drei provenzalischen Schwesterabteien Le Thoronet (1146), Senanque (1148) und Silvacane (1144) können jährlich Hunderttausende Besucher den Geist des Zisterziensertums, den Geist des heiligen Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153), besonders gut nachempfinden.

"Nichts ließe sich hinzufügen"

Le Corbusier, einer der Unfehlbaren der Baukunst des 20. Jahrhunderts, hat Le Thoronet unzählige Male studiert. Sein Urteil: "Licht und Schatten sind das Megafon dieser Architektur der Wahrheit, der Stille und der Stärke. Nichts ließe sich hinzufügen." In unserer Epoche des rohen Betons, so der französische Avantgardist, "sollten wir eine so wunderbare Begegnung willkommen heißen, segnen und hochhalten, während wir unseren Weg fortsetzen".

Zisterzienser in Senanque / © Frederic Dupont (KNA)
Zisterzienser in Senanque / © Frederic Dupont ( KNA )

Die Zisterzienserklöster des 13. Jahrhunderts folgen einem einheitlichen, strengen Schema, das ganz den Erfordernissen des geistlichen Lebens untergeordnet ist. In der größten Blüte des Ordens (1130-1150), dem "bernhardinischen Zeitalter", wurden die kargen Holzbauten der Gründerjahre durch die den "Zisterzienserstil" prägenden grauen Steinkirchen ersetzt.

Übergreifendes Ziel: Funktionelle Schönheit

Zisterzienser und Trappisten

Die Zisterzienser gehören zu den strengsten Orden der katholischen Kirche. Benannt ist der benediktinische Reformorden nach dem 1098 gegründeten Kloster Citeaux bei Dijon. Die hierarchisch-feudale Gliederung unter ein Mutterkloster wie Cluny lehnten die Zisterzienser ab; jedes Kloster ist völlig selbstständig.

Die Betonung von Handarbeit, Bodenkultur, Rodung und Landwirtschaft gaben dem Orden nicht zuletzt eine große Bedeutung bei der deutschen Ostsiedlung. Ortsbezeichnungen wie "-roda" oder "-rod" (Volkenroda, Himmerod) deuten oft auf Zisterzienser-Gründungen hin.

Zisterzienser-Mönche: Die Trappisten sind aus ihnen hervorgegangen / ©  Katharina Ebel (KNA)
Zisterzienser-Mönche: Die Trappisten sind aus ihnen hervorgegangen / © Katharina Ebel ( KNA )

Dabei verbanden Bernhards Schüler und Anhänger seine Theologie mit den zeitgenössischen Strömungen der Bautechnik, etwa bei der Verwendung steinerner Gewölbe und in der Strenge romanischer Formen. Das übergreifende Ziel des großen Abts, der selbst kein wirkliches Interesse an der Baukunst hatte, war funktionelle Schönheit.

Bei aller technischen Modernität war die nüchterne Strenge des so genannten Zisterzienserstils dennoch ein Gegenentwurf, ja fast eine Anklage der Detailverliebtheit und des Gestaltungswillens der zeitgenössischen Architekten von Romanik und Gotik. Kirchen ohne pompösen Glockenturm und Wandgestaltung, ohne Triforium und Tribüne, farblose Fenster und Wände ohne Putz: "Keine Tugend ist für uns alle wichtiger als demütige Einfachheit", so das Credo des heiligen Bernhard.

Spirituelle Kraft bis heute spürbar

Diese Einfachheit sollte allerdings keineswegs mit Traurigkeit verwechselt werden. Die architektonische Reinheit und Harmonie der Klöster diente den Mönchen - den "lebendigen Steinen", wie es im 1. Petrusbrief heißt - bei ihrem täglichen Streben nach Gott. Die spirituelle Kraft der Zisterzienserarchitektur ist bis heute spürbar; sie beseelt sogar postmoderne Edel-Designer wie den Briten John Pawson. "Die Beschränkung", so Pawson, "verwandelt sich hier in Stärke." Und so kommt es nicht von ungefähr, dass eines seiner Hauptwerke, die todschicke Calvin-Klein-Boutique an der New Yorker Fifth Avenue, einer Zisterzienserkirche höchst ähnlich sieht.

Ornamente und Zierrat gibt es in "klassischen" Zisterzienserklöstern nicht. Für den heiligen Bernhard waren sie unvereinbar mit dem Armutsideal und irrlichternde Ablenkung von der mönchischen Kontemplation. Pilger könnten die kunstvollen Skulpturen und Fratzen vielleicht zum Staunen und Spenden anregen, aber nicht zum Beten, spottete Bernhard. Aber da Laien ohnehin keinen Zutritt zu Zisterzienserkirchen hatten, gab es für ihn keinerlei Anlass für solch "lächerliche Ungeheuerlichkeit". Als einzige bildliche Darstellung akzeptierte der glühende Marienverehrer in den Kirchen des Ordens eine Madonnenstatue.

"Was ist Gott?"

Einen weiteren Rat ihres geistigen Vaters setzten die Ordensarchitekten in gebaute Spiritualität um: "Was ist Gott? Er ist zugleich die Breite und die Länge, die Höhe und die Tiefe. Jede dieser vier heiligen Eigenschaften sei Gegenstand eurer Betrachtungen." Maß und Proportion als Schlüssel zur völligen Übereinstimmung mit der geordneten Harmonie der Schöpfung. Das ist - neben der im Mittelalter allgemeinen Verbreitung der Zahlenmystik - ein wichtiger Grund dafür, warum die Maße der Zisterzienserkirchen in der Regel den musikalischen Proportionen von Oktave (1:8), Quinte (1:5) und Quarte (1:4) folgten.

Auch das Licht und seine Führung galten den Zisterzienser-Baumeistern als wichtiges Element architektonischer Vollkommenheit; seine Klarheit und Reinheit war ihnen viel wichtiger als die mystischen Effekte, die zeitgenössische Kathedralkünstler wie in Chartres durch buntes Fensterglas erzeugten. In der Schönheit des klaren weißen Lichts offenbarte sich für sie die Schönheit der Schöpfung selbst, oder, mit Bernhard gesprochen: "Die Seele muss das Licht suchen, indem sie dem Licht folgt." Ein Vorgeschmack also auf das himmlische Licht. Himmlisches Licht, das bietet die Provence in dieser Jahreszeit in rauen Mengen. Und himmlische Stille - noch.

Quelle:
KNA