Der Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz wurde 91 Jahre alt

Theologie nah am Leben

Die Gräuel des II. Weltkrieges prägten ihn, mit seiner "Neuen Politischen Theologie" hatte der Münsteraner Theologieprofessor Johann Baptist Metz großen Einfluss auf die Befreiungstheologie und die theologische Entwicklung in Deutschland insgesamt.

Streitbar auch im Alter: Johann Baptist Metz (KNA)
Streitbar auch im Alter: Johann Baptist Metz / ( KNA )

Hinweis: Dieses Interview wurde geführt anlässlich des 90. Geburtstages von Johann Baptist Metz am 5. August 2018. Am 2. Dezember 2019 ist Metz verstorben.

DOMRADIO.DE: Zentral ist bei Metz die Frage nach dem Leid in der Welt, verbunden mit der Forderung, dass die Theologie nach dem Zivilisationsbruch des Holocausts nicht einfach so weiter machen könne wie bisher. Das brachte ihm viel Zustimmung, aber auch Widerspruch ein. Der Theologe und Journalist Henning Klingen erklärt, weshalb für Metz die "Compassion", die Mitleidenschaft Gottes für die Menschen so wichtig ist. Sie beschreiben Metz‘ Denken mit dem Stichwort "Theologie als Theodizee", also der Fragen nach dem Leid in der Welt. Wie meinen Sie das?

Dr. Henning Klingen, Journalist und Theologe: Johann Baptist Metz gehört zu den Denkern, die die so genannte anthropologische Wende in der Theologie ernst genommen und mit Leben gefüllt haben – und zwar mit ihrem Leben. Theologie ist da nichts Schwebendes, außerhalb des realen Lebens, sondern immer biografisch durchsetzt. Bei Metz war es tatsächlich ein Erlebnis während des Krieges, das ihn geprägt hat – er kam als junger Soldat zurück zu seiner Kompanie. Dort fand er – wie er sagt - "nur noch Tote, lauter Tote", überrollt von einem Jagdbomber- und Panzerangriff: "Ich konnte ihnen allen, mit denen ich noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene, tote Antlitz sehen. Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei." So hat er es einmal beschrieben. Diese Erfahrung hat Metz nicht etwa auf die Couch eines Psychiaters geführt, sondern in die Kirche. Dort war für ihn der Raum, diesen stummen Schrei zum Ausdruck zu bringen – und wie der Theologe Romano Guardini die Frage zu stellen: "Warum, Gott, gibt es zum Heil die fürchterlichen Umwege, das Leid der Unschuldigen?" – das meint Theologie als Theodizee – dass also bei Metz im Kern seiner Theologie diese schwelende, schmerzende Frage steckt, die ihn immer wieder antreibt. Die Frage, wie Gott das Leiden in der Welt zulassen kann, ist bei ihm nicht der Fels des Atheismus geworden, sondern der Motor des Theologie-Treibens.

DOMRADIO.DE: Kriegsgräuel haben auch andere Theologen seiner Generation erlebt – warum hat ihn die Theodizee-Fragen nicht mehr losgelassen?

Klingen: Metz stammte ja aus Auerbach in der Oberpfalz – er sagte einmal: "Man kommt von weit her, wenn man von dort herkommt." Er ist katholisch aufgewachsen, religiös behütet - diese religiöse Idylle wurde aber durch die Kriegserfahrungen massiv gestört und – was noch wichtiger ist – dadurch, dass man offenbar nach dem Krieg in der Theologie so weitermachte wie zuvor. Das fragte er auch seinen großen Lehrer, den Konzilstheologen Karl Rahner: "Warum sah man euch, eurer Theologie diese Geschichte nicht an?" Metz spürte, wie übrigens viele andere Intellektuelle auch – etwa Adorno oder Habermas - , dass man offenbar sehr rasch gesellschaftlich und auch in der Theologie nach den Millionen Toten und Auschwitz zur Tagesordnung übergehen wollte und diese Opfer vergessen wollte. Die "bürgerliche Religion" lautete das Schlagwort, gegen das er argumentierte – dagegen ist er zeitlebens angerannt – gegen das Vergessen und er hat stattdessen für die Erinnerung an die Opfer und Leidenden plädiert.

Theologie "von unten"

DOMRADIO.DE: Der Name Metz ist untrennbar verbunden mit dem Stichwort "Neue politische Theologie". Was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Klingen: Die "Neue Politische Theologie" meint eigentlich keine eigene Denkschule, das ist keine eigene These neben anderen – es gibt schlicht für Metz keine andere Option als nach den Erfahrungen der Nazi-Gräuel Theologie als Politische Theologie zu betreiben. Damit meint er eine Theologie, die sich einbringt, die einen Praxisbezug derart hat, dass sie sich von der Welt irritieren lässt und zugleich in die Welt hineinwirkt. "Zur Theologie der Welt" heißt entsprechend ein erstes, frühes Buch von Metz. Politisch ist diese Theologie nicht im engen Verständnis einer parlamentarischen Parteienpolitik zu verstehen – sondern in dem Sinne, dass Politik der Ort des Ringens um das gute Leben ist. "Neu" ist diese Neue Politische Theologie, weil es schon eine "alte" Politische Theologie gab: nämlich die von Carl Schmitt – das war ein Staatsrechtler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der zu einer Art Kronjurist Adolf Hitlers wurde und unter den Nationalsozialisten eine einflussreiche Größe war. Er legte das Fundament des NS-Selbstverständnisses, dass nämlich in einem gesellschaftlichen Ausnahmezustand klar zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und heroisch und gewaltvoll zu handeln sei. Das sind Aspekte seiner fatalen Politischen Theologie gegen die Metz sich dezidiert wendet und seine Theologie gewissermaßen "von unten", von den Leidenden her – und damit wohl biblisch – und ohne jedes Pathos und ohne Gewalteskalation begründet. 

Konflikte mit Joseph Ratzinger

DOMRADIO.DE: Er war Professor für Fundamentaltheologie in Münster und sollte eigentlich nach München wechseln – da hatte aber der damalige Erzbischof von München Freising etwas dagegen, nämlich Joseph Kardinal Ratzinger. Warum gab es Vorbehalte gegen den theologischen Ansatz von Metz?

Klingen: Metz‘ Theologie galt immer – wohl auch wegen ihrer Nähe zur Frankfurt Schule und ihrer Vertreter Adorno und Horkheimer – als "links". Tatsächlich hat Metz zentrale Impulse für die Befreiungstheologie in Lateinamerika geliefert – deren Vordenker waren zum Teil Metz‘ Schüler. Joseph Ratzinger hat sich mit dieser Theologie immer schwer getan – er hat die 68er-Zeit als junger Professor an der Uni Tübingen persönlich traumatisch erfahren, allerdings hat er auch theologische Vorbehalte gehabt: Will man durch den Praxis-Primat der Politischen Theologie nicht versuchen, das Reich Gottes auf Erden zu erzwingen? Besteht da nicht die Gefahr, die politische Ordnung – im Katholizismus immer ein wichtiges Strukturmerkmal – so zu korrumpieren, dass nachher das Chaos herrscht, Anarchie und letztlich Unmoral? Diese Vorbehalte hat Ratzinger auch als Präfekt der Glaubenskongregation immer wieder veranlasst, gegen die Befreiungstheologie vorzugehen. 1998 - zum 70. Geburtstag von Metz – sind dann beide in Ahaus im Münsterland zu einem denkwürdigen Symposion zusammengekommen. Ich war damals Student und habe die Tragweite dessen, was dort geschah, zunächst nicht gesehen. Erst jetzt, wenn ich die Texte von damals nochmal lese, wird mir klar, wie viel theologisches und persönliches Ressentiment die beiden Vordenker ihrer Generation verbindet – und wie viel Überwindung es sie gekostet haben muss, sich dort die Hand zu geben.

DOMRADIO.DE: Sie haben einiges über Johann Baptist Metz geschrieben. Spannend ist ja immer die Person hinter den Gedanken. Als was für einen Menschen würden Sie ihn beschreiben?

Klingen: Johann Baptist Metz ist im persönlichen Umgang ein sehr angenehmer und humorvoller Zeitgenosse mit vielen Interessen, die auch jenseits der Theologie liegen – Fußball etwa. Er ist sehr gesellig, versammelte bis zuletzt immer gerne viele Menschen, Freunde um sich, veranstaltete Feste für seinen Freundes- und Schülerkreis. Kurz: Er hing und hängt sehr am Diesseits und kostet es aus – er lebt seit Jahrzehnten in Münster, war dort zuletzt auch noch in der Seelsorge als Priester aktiv und führt ansonsten ein ganz normales, fast möchte man sagen "bürgerliches" Leben.

Keine eigene Schule ausgeprägt, aber viel zitiert – auch vom Papst

DOMRADIO.DE: Heute wird er 90 Jahre alt – was wird von seiner Theologie bleiben?

Klingen: Es ist das Glück und das Pech seiner Theologie zugleich, dass sie nie eine eigene Schule ausgebildet hat, nie Lehrstühle hervorgebracht hat: Ein Glück, insofern sie nicht an Institutionen klebte, sondern viele Menschen, die heute in ganz anderen Bereichen arbeiten, inspiriert hat. Ein Glück auch insofern, als dass viele ihrer Begriffe wie die Rede von der "compassion", der Mitleidenschaft Gottes, oder die Frage nach der Würde des Judentums oder die "Option für die Armen" und die Abkehr von einem geschichtsfernen Theologietreiben heute selbstverständlicher Bestandteil der moderner Theologie und auch kirchlicher Verkündigung sind. So finden sich viele dieser Aspekte in bischöflichen, ja kirchlichen Dokumenten. Auch Joseph Ratzinger hat als Papst Benedikt XVI. den  Begriff der "Mystik der geöffneten Augen" von Metz zitiert. Pech bedeutet das insofern, als dass diese ganzen Zitate von Metz nicht mehr direkt sichtbar sind – es scheint mir an der Zeit, diese Quellen neu zu erschließen. Viele Studierenden kennen etwa das Metz-Standardwerk "Glaube in Geschichte und Gesellschaft" gar nicht mehr. Darin wird wohl die Aufgabe für die Zukunft bestehen, Metz weiter zu lesen und sich auch von seiner Sprachmacht inspirieren zu lassen.

Das Interview führte Mathias Peter.


Dr. Henning Klingen, Journalist und Theologe (privat)
Dr. Henning Klingen, Journalist und Theologe / ( privat )
Quelle:
DR