Mira Ungewitter über ihr Leben als "Pastorin mit dem Surfbrett"

"Jede Reise ist auch eine Reise mit Gott"

Mira Ungewitter ist Pastorin, surft gerne und ist mit ihrem Bus in der Weltgeschichte unterwegs. Im Interview erzählt sie, wie sie den Plan, Eventmanagerin zu werden, verwarf und warum eine Kanzel aus Getränkekisten nichts Spektakuläres für sie ist.

Mira Ungewitter: Unterwegs mit Bus und Surfbrett (Valère Schramm Fotografie und Grafik)

DOMRADIO.DE: Was sind ihre liebsten Reiseziele?

Mira Ungewitter (Pastorin der "projekt: gemeinde" in Wien und Autorin): Meine liebsten Reiseziele in Europa sind definitiv Frankreich, Spanien und Portugal - lässt sich auch immer alles ganz gut miteinander kombinieren. Es gibt einen Strand, den ich am Mittelmeer favorisiere, der einfach wunderschön ist und ganz viel mit Kindheitserinnerungen zu tun hat: Almadrava in der Nähe von Roses - und ich liebe außerdem Saint-Girons-Plage. Einmal im Jahr versuche ich, in die Pinienwälder zu kommen und da einfach surfen zu gehen, Zeit zu verbringen und absolut zu entschleunigen.

DOMRADIO.DE: Gerade sind Sie aus Kroatien zurückgekommen und waren auch mit dem Bus unterwegs. War das auch eine Reise mit Gott?

Ungewitter: Das war definitiv eine Reise mit Gott, das war definitiv auch eine Reise mit meiner Gemeinde. Das war so eine Art Gemeinde-Freizeit. Wir waren mit einem Team von elf Leuten da und haben, im wahrsten Sinne des Wortes, viel über Gott und die Welt gesprochen. Ich habe spontan noch einen Kollegen über Instagram kennengelernt. Die haben wir gestern dann noch mit nach München genommen und da war das natürlich auch Thema. Und ich würde grundsätzlich sagen: Jede Reise ist auch eine Reise mit Gott.

DOMRADIO.DE: Es gibt Menschen, die sich fragen, wie das zusammenpasst. Da kommt eine junge, feierlustige Frau, die surft. Die fährt allein mit einem Bus durch die Gegend und die ist Pastorin. Warum passt das für viele Menschen nicht auf den ersten Blick?

Ungewitter: Das müsste man wahrscheinlich die vielen Menschen fragen. Aber es ist natürlich eine Reaktion, die ich immer wieder bekomme. Ich würde sagen, da sind auch 2000 Jahre Kirchengeschichte nicht ganz unschuldig dran, die dann doch eher männerlastig sind und vielleicht auch ein gewisses Bild transportieren, wo jetzt Frauen im Allgemeinen bisher nicht das Bild von Kirche geprägt haben. Ich bin natürlich nicht die Einzige, die da so etwas aus der Rolle fällt.

DOMRADIO.DE: Warum passt es bei Ihnen dann doch besonders gut zusammen?

Ungewitter: Vielleicht, weil der Ursprung des Christentums, so wie ich es verstehe, auch eher revolutionär war und auch etwas war, was eigentlich gar nicht in die Zeit gepasst hat. Und da würde ich wiederum sagen: Da mache ich vielleicht gar nicht so einen schlechten Job, wenn ich da an eine Bewegung anknüpfe, die auch immer auf der Reise war. Eine Bewegung, die unkonventionell war. Wenn man in die Bibel schaut, dann war Jesus auch mit jungen Frauen unterwegs. Auch er war um die dreißig. Ich finde, damit kann man sich ganz gut identifizieren. Vielleicht wäre er ja auch VW-Bus gefahren, wenn er heute unterwegs wäre.

DOMRADIO.DE: Haben die Reisen, die Road Trips, mit dem Bus Einfluss auf Ihre Beziehung zu Gott?

Ungewitter: Ja, ich würde schon sagen, dass das Reisen mit dem Bus, auf der Strecke zu sein, auf dem Weg zu sein und durch unterschiedliche Landschaften zu rollen, für mich etwas Meditatives haben. Da kann ich meinen Gedanken freien Lauf lassen.

DOMRADIO.DE: Warum haben Sie denn Theologie studiert, warum sind Sie Pastorin geworden? Hätten Ihre Eltern, Ihre Freunde und Sie selbst das gedacht vor zehn Jahren?

Ungewitter: Ich glaube nicht. Pastorin stand ganz lange auf gar keinen Fall für mich auf dem Schirm. Ich wollte ursprünglich Eventmanagement machen. Ich war einfach eine unfassbar schlechte Schülerin. Meine Eltern wollten daher, dass ich unbedingt eine Ausbildung mache. Und Eventmanagement war dann das, was ich mir noch vorstellen konnte.

Ich hatte trotzdem aber immer einen großen Hang zu theologischen Themen, zu biblischen Themen. Das kam einfach aus meinem Glauben heraus. Und da hat es dann im Rahmen meiner Mitarbeit in der Kirche eine Begegnung gegeben, wo ich von jetzt auf gleich beschlossen habe: Jetzt studiere ich Theologie. Damit hat erstmal keiner gerechnet. Meine Eltern haben nicht damit gerechnet, meine Freunde haben nicht damit gerechnet. Ich habe mich selber überrascht, würde davon aber keinen Tag bereuen. Ich glaube, Theologie zu studieren, war die beste Entscheidung meines Lebens und das kann ich jedem nur empfehlen.

DOMRADIO.DE: Sie pilgern sozusagen nicht zu Fuß, sondern mit einem VW-Bus. Wenn man das überhaupt vergleichen kann?

Ungewitter: Nein. Ich glaube, das würde ich nicht mit Pilgern vergleichen. Eine wirkliche Pilgerreise ist noch mal was anderes. Wenn ich jetzt das ganze Leben als Pilgerreise sehe, dann vielleicht schon. Aber das würde ich jetzt nicht nur auf den Bus beziehen, sondern ganz grundsätzlich betrachten. Mit dem Bus mache ich, wie jeder normale Mensch auch, einfach Urlaub - ohne dass ich das heilig aufladen muss. Da kann man einfach mal wirklich entspannen.

DOMRADIO.DE: Bei Festivals haben Sie schon mal ihre Kanzel aus Getränkekisten selber gebaut. Machen Sie das immer noch? Wie haben Sie gemerkt, dass ihre Predigten gut ankommen bei den anderen?

Ungewitter: Das mit den Kisten ist, glaube ich, so ein bisschen zu einer Art Kult-Status geworden. Das war eigentlich nur improvisiert. Ich brauchte irgendwas, worauf ich mein Skript ablegen konnte und dann haben wir irgendwann die Kisten dafür genommen.

Ich habe letztes Jahr mal auf dem Teenager-Festival BUJU - das ist das große Teenager-Festival der Baptisten in Deutschland, findet alle zwei Jahre statt - gepredigt. Rund tausend Teenager waren da. Das war ganz lustig, da meinte einer vorher: "Ach Mira, mach dir keine Sorgen. Dir hört eh keiner zu". Anhand der Reaktionen der Teenies, die gut mitgegangen sind, die gelacht und zwischendurch applaudiert haben, habe ich aber mitbekommen, dass es ihnen dann doch ganz gut gefallen hat, was ich damals erzählt habe. Vielleicht auch, weil ich auf das Thema eingegangen bin, dass man nicht immer eine gute Schülerin sein muss.

DOMRADIO.DE: Sie gehen in Ihrem Job auf. Warum ist es für Sie der beste Job, den Sie wählen konnten?

Ungewitter: Es ist für mich der beste Job aus der dreijährigen Erfahrung heraus. Ich kann in einer enormen gestalterischen Freiheit leben. Ich hab seit drei Jahren keinen Alltag - alle Tage sind anders. Ich habe unfassbar viele unterschiedliche Menschen kennengelernt und das ist einfach was, das ich nicht missen möchte.

Die Diversität, in der ich leben darf, ist gigantisch. Die Gefühlslagen wechseln auch - von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Das kann an einem Tag passieren. Dann kann ein Asyl-Fall ganz furchtbar ausgehen und dann zehn Minuten später eine Familie ein Baby bekommen, die ewig auf ein Baby gewartet haben. Es passieren so viele Dinge, an denen man Anteil nehmen kann. Das möchte ich möchte ich nicht missen - es ist einfach ein traumhafter Beruf.

DOMRADIO.DE: Sie rütteln an alten Klischees und rufen mit ihrem Buch "Roadtrip mit Gott" dazu auf, nicht jedes Vorurteil über Pastoren einfach zu glauben. Warum gibt es diese Vorurteile überhaupt?

Ungewitter: Das wäre wahrscheinlich auch wieder die Frage der Erfahrung und der langen Kirchengeschichte, die vielleicht nicht immer mit außergewöhnlichen Leuten gesegnet war. Da ist, glaube ich, einfach ein altes Bild hängen geblieben.

DOMRADIO.DE: Menschen, die sich intensiv mit dem Glauben beschäftigen, erleben ja auch alle Zeiten von Zweifel. Wann oder wie sind Sie an solche Grenzen gekommen?

Ungewitter: An solche Grenzen kommt man immer wieder - auch als Pastorin. Ich hatte mal eine Phase, in der ich das erste Mal mit amerikanischen Christen konfrontiert worden bin, die eine ganz andere Art davon hatten, von ihrem Glauben zu sprechen, und die sehr extreme Ansichten hatten. Da war ich noch ganz jung und da war ich das erste Mal in einer Krise. Ich hatte immer das Gefühl, mein Glaube sei nicht gut genug oder nicht stark genug.

DOMRADIO.DE: Warum überwiegt denn das Gefühl und Vertrauen auf ein Leben mit Gott, was gehört zu einem Leben mit Gott unbedingt dazu?

Ungewitter: Ich würde immer sagen, dass ein Leben mit Gott oder ein Leben in einer Spiritualität auch immer ein Prozess ist. Ich bin kein großer Fan von Dogmen. Ich finde, Glauben wird geprägt durch eine Form von Gebet, von Austausch, von Denken vor Gott. Auch Musik und eine gewisse Offenheit sind wichtig. Aber ich könnte jetzt kein Dogma aussprechen, wo ich jetzt sage: Das musst du auf jeden Fall machen, das gehört zu einem guten christlichen Leben dazu. Von so was bin ich sehr weit entfernt.

DOMRADIO.DE: Für wen ist das Buch "Roadtrip mit Gott", das Sie geschrieben haben, gedacht? An wen haben Sie beim Schreiben gedacht: Wer soll es lesen?

Ungewitter: Genauso wenig, wie ich mich in eine Schublade packen lassen wollen würde, möchte ich das den Leserinnen und Lesern zumuten. Ich hoffe, dass das Buch einfach auch von Leuten gefunden wird, dass es Leuten begegnet. Ich kann schon behaupten, dass ich da ganz viel Persönliches reingesteckt habe. Es ist einfach eine Einladung an Jung und Alt, wie man so schön sagt, auch einer Pastorin mal über die Schulter zu schauen.

DOMRADIO.DE: Inwieweit hat Sie denn Ihre Kindheit und auch die Schulzeit auf einem katholischen Mädchengymnasium geprägt?

Ungewitter: Kindheit und Schulzeit prägt natürlich immer. Meine Kindheit war gerade im Bezug auf den Glauben geprägt durch meine Familie, durch meine Eltern. Mütterlicherseits hatte ich eine christliche Prägung. Mein Vater war bis vor einem Jahr ein Agnostiker. Heute ist er frommer als wir alle zusammen. Das hat mich selbstverständlich geprägt, immer auch mit unterschiedlichen Lebensmodellen konfrontiert zu sein. Meine Eltern haben mich bewusst auf eine katholische Schule geschickt, zumal die Ursulinenschule immer einen sehr guten Ruf hatte, aber eben auch andere Dinge kennenzulernen, andere Formen des Glaubens zu leben.

DOMRADIO.DE: Und Sie waren auch schon mal als Messdienerin im Dom, oder?

Ungewitter: Genau. Da durfte ich sogar in der Schulmesse Messdienerin im Dom sein. Ich habe das dann damals nicht zuletzt auch gemacht, weil man bei den Proben mit viel Glück auch eine Mathestunde versäumen konnte. Aber das war schon ein sehr besonderer, schöner und erhabener Moment.

DOMRADIO.DE: Welche Botschaft ist Ihnen wichtig? Was möchten Sie gern den Lesern ihres Buches "Roadtrip mit Gott" mitgeben?

Ungewitter: Für mich als Pastorin, als Christin und so, wie ich Gott und den Glauben empfinde, spielen Freiheit und Abenteuer eine riesige Rolle. Wie ich immer zu sagen pflege: Gott ist kein Spießer. Es macht Riesenspaß und Freude mit Gott oder mit der Vorstellung und dem Vertrauen, dass da auch etwas noch Größeres ist, durch das Leben zu gehen. Und da würde ich einfach einladen, mal in das Buch zu schauen, ob man dem was abgewinnen kann. Und wenn nicht, war es vielleicht eine schöne Begegnung.

DOMRADIO.DE: Wohin wird der nächste Roadtrip gehen?

Ungewitter: Ich freue mich sehr. Es geht nächste Woche nach Frankreich an die Atlantikküste. Ich werde mich ein bisschen treiben lassen. Es wird definitiv einen längeren Halt in Saint-Girons-Plage geben. Und dann geht es auch noch einmal quer durch Frankreich ans Mittelmeer an einen meiner Lieblingsstrände aus meiner Kindheit.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Information: Das Buch "Roadtrip mit Gott" von Mira Ungewitter ist im Herder Verlag erschienen und kostet 20 Euro.


Quelle:
DR