Projekt sucht sinnvolle Umnutzung für Kirchen

"Die große Welle von Kirchenschließungen steht noch bevor"

Eine schaurige Prognose: Langfristig wird fast jede dritte Kirche in NRW leer stehen. In den schlimmsten Fällen droht sogar der Abriss. Das Projekt "Zukunft-Kirchen-Räume" hilft Gemeinden, die Kirchen zu erhalten.

Buchhandlung in einem früheren Kloster / © Alexander Brüggemann (KNA)
Buchhandlung in einem früheren Kloster / © Alexander Brüggemann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das ist eine unglaubliche Zahl: 2000 Kirchen, die in Nordrhein-Westfalen langfristig leer stehen. Damit sind große Herausforderungen verbunden. Hat die Gesellschaft denn eigentlich schon realisiert, was da auf sie zukommt?

Tim Rieniets (Professor an der Leibniz Universität und Projektinitiator "Zukunft-Kirchen-Räume"): Ich glaube, das hat sie noch nicht voll realisiert. Das liegt zum einen daran, dass der erste Schock überwunden ist. Denn schon vor zehn, fünfzehn Jahren geisterten die ersten Kirchenschließungen durch die Zeitungen. Ich glaube, das war damals noch richtig schockierend, doch mittlerweile ist eine gewisse Gewöhnung eingetreten – obwohl die große Welle von Kirchenschließungen noch bevorsteht. Der Schock ist schon überwunden, aber eigentlich haben wir noch viel zu viel vor uns.

DOMRADIO.DE: Wenn man den Gedanken freien Lauf lässt, was kann denn alles aus den Kirchen werden?

Rieniets: Wünschenswert wäre natürlich, wenn Kirchen das bleiben, was sie immer waren: Entweder Orte des Gottesdienstes oder zumindest Orte, wo Gemeindeleben oder im besten Fall Gemeinschaft praktiziert werden kann, wo man zu sich kommen kann und vielleicht mal einen Ort hat, an dem man aus dem Alltagsleben treten kann. Aber das sind natürlich fromme Wünsche.

In vielen Fällen muss man sich nach Nutzungen umsehen, die vielleicht nur noch kirchennah oder vielleicht gar nicht mehr kirchlicher Art sind. Und wenn man diesen Schritt geht, gibt es unheimlich viele verschiedene Nutzungsmöglichkeiten. Und da haben wir etliche in Nordrhein-Westfalen recherchiert und zusammengetragen.

DOMRADIO.DE: Welche Beispiele gibt es denn schon für eine gelungene Umnutzung?

Rieniets: Da gibt es sehr viele. Das beginnt bei sehr prominenten Beispielen wie dem Anneliese Brost Musikforum in Bochum – das ist die ehemalige Sankt Marienkirche, die heute ein strahlendes Foyer für die neue Spielstätte der Bochumer Symphoniker ist. Es gibt aber auch viele kleine gelungene Projekte.

Ebenfalls in Bochum ist die evangelische Friedenskirche, die nun ein sehr gut funktionierendes Gemeinschaftsangebot anbietet. Es gibt Bereiche in Kultur, Sport, Freizeit und natürlich auch Wohnen und karitative Einrichtungen. Da sehen Sie, es gibt eine riesige Bandbreite.

DOMRADIO.DE: Sie haben schon gesagt, dass berücksichtigt werden sollte, dass diese Gebäude einmal Kirchen waren. Wo sind denn da die Grenzen der Umnutzung? Eine Tabledance-Bar kann ja nicht aus einer Kirche werden.

Rieniets: Ja, gut, wenn Sie ins Ausland schauen, zum Beispiel in die Niederlande, ist man da durchaus ein bisschen freizügiger. Und selbst bei uns findet man Beispiele, wo zumindest Gastronomie in Kirchen angesiedelt wird. Ich will mich da gar nicht mit einer eigenen Haltung fest positionieren. Sondern ich glaube, das ist wirklich ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess darüber, was wir denn tatsächlich zulassen können und zulassen wollen.

Im Moment gehen die Meinungen noch recht weit auseinander. Da werden kirchliche Vertreter sicherlich wesentlich vorsichtiger und konservativer sein als mögliche Immobilienentwickler, die so eine Kirche erwerben und da vielleicht ganz andere Ideen haben. Aber nochmal: Ich glaube, das ist ein Aushandlungsprozess, und ich würde mir wünschen, dass wir den noch intensiver führen.

DOMRADIO.DE: Heute startet das Projekt "Zukunft-Kirchen-Räume". Wie genau wird dieses Projekt arbeiten?

Rieniets: Es besteht eigentlich aus zwei Säulen. Das Eine ist eine Webseite, die insbesondere für diejenigen Menschen eingerichtet wurde, die sich in den Kirchengemeinden oder Bürgergemeinden für den Erhalt und die Umnutzung einer Kirche einsetzen wollen. Das sind in aller Regel Menschen, die erstens keine Baufachleute sind und die zweitens nur einmal in ihrem Leben mit der Umnutzung einer Kirche konfrontiert werden.

Das sind Menschen, die ganz viel Unterstützung brauchen und sich ganz viel Wissen aneignen müssen. Und für diese Leute haben wir die Website eingerichtet, wo man beispielhafte Projekte, Fachinformationen, Ansprechpartner und Kontakte finden kann, die die Menschen bei einem eigenen Projekt unterstützen können.

Und die zweite Säule ist ein Projektaufruf. Weil wir der Meinung sind, dass eine Webseite nur bis zu einem gewissen Grad dabei helfen kann, ein individuelles Umnutzungsprojekt zu unterstützen. Damit wir in dem Rahmen unserer Möglichkeiten auch individuelle Unterstützung anbieten können, haben wir diesen Aufruf ins Leben gerufen, für am Donnerstag offiziell die Bewerbungsfrist startet.

Dort können sich Kirchengemeinden und auch andere Initiativen aus ganz Nordrhein-Westfalen mit ihrer Kirche bewerben, und wenn sie dann ausgewählt sind, werden sie über mehrere Monate intensiv dabei begleitet, ein eigenes Zukunftskonzept für ihre Kirche zu erarbeiten.

Das Interview führte Julia Reck.


Restaurant in einer ehemaligen Kirche in Rom / © Cristian Gennari (KNA)
Restaurant in einer ehemaligen Kirche in Rom / © Cristian Gennari ( KNA )

Profanierte Kirche in der Altstadt von Konstanz / © Harald Oppitz (KNA)
Profanierte Kirche in der Altstadt von Konstanz / © Harald Oppitz ( KNA )

Von Neuapostolischer Kirche zum Wohnhaus / © Christoph Schmidt (dpa)
Von Neuapostolischer Kirche zum Wohnhaus / © Christoph Schmidt ( dpa )

Auch in Belgien stehen viel Kirchen leer. In einer ehemaligen Kirche in Mons empfängt jetzt ein Hotel seine Gäste. / © Harald Oppitz (KNA)
Auch in Belgien stehen viel Kirchen leer. In einer ehemaligen Kirche in Mons empfängt jetzt ein Hotel seine Gäste. / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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