Theologe Söding zur Darstellung von Homosexualität in der Bibel

"Auch das Lehramt hat was zu lernen"

Kritische Aussagen über die Bewertung von Homosexualität in der Bibel haben dem Jesuitenpater Ansgar Wucherpfennig die Kritik des Vatikan eingebracht. Doch um welche Bibelstellen geht es konkret? Eine Analyse des Theologen Thomas Söding.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Was ist denn überhaupt in der Bibel über Homosexualität zu finden?

Professor Thomas Söding (Theologe an der Ruhr-Universität Bochum): Sehr wenig. Das Wenige, das in der Bibel über Homosexualität zu finden ist - mehr im Alten als im Neuen Testament - ist auch sehr knapp und kurz. Es ist durchaus umstritten, es ist abschätzig, es ist weit entfernt von der Debattenkultur, die wir im einundzwanzigsten Jahrhundert hoffentlich führen.

DOMRADIO.DE: Gibt es einen Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament, was die Bewertung von Homosexualität angeht? 

Söding: Das Neue Testament ist da 100-prozentig vom Alten Testament abhängig. Im Alten Testament gibt es negative Bewertungen von Homosexualität. Im Neuen Testament wird das Thema gar nicht diskutiert. Das überrascht ein bisschen, weil das Neue Testament ja aufbricht in die Welt der Griechen und der Römer. Und man weiß aus der antiken Kulturgeschichte, dass dort Homosexualität - übrigens auch Päderastie usw. - anders, nämlich offener, bewertet worden sind als im jüdischen Kontext. Aber der Apostel Paulus, der sozusagen die schärfsten und eigentlich auch die einzigen Aussagen im Neuen Testament gemacht hat, hat einen sehr stark gesamtbiblischen, alttestamentlichen Hintergrund.

DOMRADIO.DE: Im Interview vor zwei Jahren sagte Pater Wucherpfennig, dass missverständlich formulierte Stellen in der Bibel der Grund für die ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen seien. Als Beispiel nannte er den Römerbrief des Apostels Paulus. Was schreibt Paulus denn?

Söding: Paulus hat ein bestimmtes Thema, das er verdeutlichen will: Dort, wo die Orientierung an Gott verrutscht ist, verkehren sich auch die menschlichen Verhältnisse. Da verkehrt sich die Einsicht dessen, was gut und böse, richtig und falsch ist. Das macht Paulus in verschiedenen Stichworten fest, die in sogenannten Lasterkatalogen aufgelistet werden. Das sind antike Stereotype, die weitergegeben werden. Und einer von vielen ist dann eben auch das, was - jedenfalls nach herrschender Meinung - meistens mit Homosexualität verbunden ist. Das muss man jetzt unbedingt auf die kulturellen und sozialen Bedingungen dieser Zeit beziehen. Das hat nichts mit einer Christopher-Street-Day-Atmosphäre von heute zu tun. Sondern das sind in vielen Fällen eben tatsächlich auch Gewaltverhältnisse gewesen, weil etwa Sklaven sexuell ausgebeutet worden sind - Sklavinnen übrigens auch.

Es findet nicht eigentlich eine Auseinandersetzung mit diesem Thema statt, wie wir es heute unter psychologischen Bedingungen erwarten würden, sondern es ist sozusagen die Weitergabe einer bestimmten Stereotypie. Und das Problem ist, wenn aus solchen antiken Selbstverständlichkeiten nun auf einmal hoch normative Aussagen in der Lehre der katholischen Kirche gemacht werden. Dann passiert etwas, was problematisch ist und was in der gegenwärtigen Debatte hinter die Differenzierung zurückzufallen droht, die Gott sei Dank in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch im katholischen Lehramt eingezogen ist. Denn das katholische Lehramt ist gar nicht so undifferenziert, wie es sich vielfach selbst darstellt, etwa jetzt in der Skandalisierung von Positionen von Ansgar Wucherpfennig.

DOMRADIO.DE: Wie muss man heute grundsätzlich biblische Aussagen bewerten, die der Lebensweise von heute etwas sperrig daherkommen?

Söding: Erstens: Nicht nur Bibel lesen. Die Bibel selber sagt ja auch immer, dass man die Augen für die Zeichen der Zeit öffnen kann. Die Bibel muss man differenziert betrachten. Es wäre ja wohl das Letzte, wenn wir als katholische Theologen nun auf einmal biblizistisch argumentieren würden.

Freilich macht die Bibel unter den historischen Bedingungen ihrer Zeit auch auf etwas aufmerksam, bei dem ich jetzt im Moment den Eindruck habe, dass es vielleicht etwas weg zu rutschen droht. Dass es nämlich tatsächlich unterschiedliche Formen von menschlicher Sexualität gibt, die dann auf unterschiedliche Weise mit der Kultur des Lebens zu tun haben.

Ich sage mal: "Ehe für alle" wäre für Paulus sehr schwer vorstellbar gewesen. Aber der Apostel Paulus - dieser intellektuelle Typ - wäre der Letzte gewesen, der sich einem Diskurs mit der Psychologie und der Soziologie über die Entwicklung menschlicher Sexualität entzogen hätte. Da dürfen wir durchaus mit der Bibel weit über die Bibel selbst hinausgehen. Das würde ich auch von der katholischen Kirche erwarten. Das ist längst überfällig.

DOMRADIO.DE: Was glauben Sie wie es in diesem Spezialfall weitergeht?

Söding: Ich hoffe, dass man auf die Logik der Vernunft setzt. Ansgar Wucherpfennig ist einfach kein Außenseiter oder ein Radikalinski. Sondern er ist ein hoch anerkannter Kollege, der auf eine sehr differenzierte Art und Weise mit diesem Thema umgeht. Und er vertritt 90 Prozent der Meinung der katholischen Neutestamentlerinnen und Neutestamentler.

Das ist eines der typischen Beispiele, wo theologische Forschung in ein Spannungsverhältnis zu einer herrschenden Lehre tritt. Da hoffe ich doch sehr, dass jetzt gesehen wird, dass auch das Lehramt mal was zu lernen hat - nicht zuletzt auch nach dem Dokument der Internationalen Theologischen Kommission über die Rolle der Theologie im Lehrgebäude der Katholischen Kirche. Darauf setze ich. Das muss so sein.

Und ich denke und hoffe auch, dass wir auf Dauer eine konstruktive Lösung hinbekommen. Wir können ja nicht auf der einen Seite in der gegenwärtigen Situation darüber sprechen, dass wir über das Thema Sexualität offen in der katholischen Kirche neu denken müssen und dann ist das erste, was groß durch die Presse geht, die Verweigerung des Nihil obstat für Ansgar Wucherpfennig.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Prof. Dr. Thomas Söding / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Dr. Thomas Söding / © Harald Oppitz ( KNA )
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DR