Vor 20 Jahren wurde "Fides et ratio" veröffentlicht

Eine denkwürdige Papst-Enzyklika nicht nur für Philosophen

Glaube und Vernunft: Manchmal scheinen sie sich zu widersprechen. Wie beides dennoch zusammenpassen kann, darüber machte sich vor 20 Jahren auch Papst Johannes Paul II. tiefe Gedanken.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Papst Johannes Paul II. unterschreibt eine Enzyklika im Vatikan / © KNA-Bild (KNA)
Papst Johannes Paul II. unterschreibt eine Enzyklika im Vatikan / © KNA-Bild ( KNA )

"Glaube und Vernunft sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt." Mit diesem fast poetischen Satz begann Papst Johannes Paul II. (1978-2005) seine Enzyklika "Fides et ratio". Als das am 14. September 1998 unterzeichnete Werk erschien, unmittelbar vor dem 20. Amtsjubiläum des polnischen Papstes, waren die Erwartungen hoch.

Ein philosophisches Alterswerk erwarteten manche von dem schwer parkinsonkranken Pontifex. Andere spekulierten auf eine Art Generalabrechnung mit den Denkströmungen Asiens oder des "New Age". Doch als der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, die Enzyklika der internationalen Presse präsentierte, kam die Stunde der Ernüchterung.

Abrechnung mit dem Nihilismus und dem Relativismus

Statt Kampfansagen an Esoterik oder Buddhismus enthielt sie vor allem eine Abrechnung mit dem Nihilismus und dem Relativismus der westlichen Philosophie. Der Papst warf modernen und postmodernen Denkern vor, sie seien so kritisch und selbstkritisch geworden, dass sie sich nicht mal mehr trauten, überhaupt noch von der Wahrheit zu sprechen - und erst recht nicht von der Möglichkeit, Wahrheit zu erkennen.

Dieser radikalen Skepsis setzte er die alte, von der Antike bis zum Mittelalter reichende Grundannahme entgegen, dass es eine letzte Wahrheit gebe - und dass der Mensch auf den unterschiedlichen Wegen des Glaubens und der Vernunft zu ihrer Erkenntnis gelangen könne. Die zeitgenössischen Denker rief er auf, sich wieder auf die Möglichkeit solchen Denkens einzulassen.

Gegen Trennung von Vernunft und Glaube

Eindringlich erinnerte der Papst an die Folgen der neuzeitlichen radikalen Trennung von Vernunft und Glauben. Er sah darin Gefahren für beide: "Nachdem die Vernunft ohne den Beitrag der Offenbarung geblieben war, hat sie Seitenwege eingeschlagen, die die Gefahr mit sich bringen, dass sie ihr letztes Ziel aus dem Blick verliert. Der Glaube, dem die Vernunft fehlt, hat Empfindung und Erfahrung betont und steht damit in Gefahr, kein universales Angebot mehr zu sein. Es ist illusorisch zu meinen, angesichts einer schwachen Vernunft besitze der Glaube größere Überzeugungskraft; im Gegenteil, er gerät in die ernsthafte Gefahr, auf Mythos bzw. Aberglauben verkürzt zu werden."

Der Appell des Papstes, der eindringlich eine Neubelebung des verschütteten Dialogs von Philosophie und Theologie forderte, hatte 1998 noch keinen durchschlagenden Erfolg. Ein Kommentator der "Zeit" schrieb damals kritisch: "Aus dieser Enzyklika spricht viel Heimweh nach der heilen Welt des Mittelalters, nach einer Zeit, als Frömmigkeit und Scharfsinn noch Hand in Hand arbeiteten."

Verhaltenes Echo

Und auch in den philosophischen Fakultäten und Zeitschriften blieb das Echo verhalten. Die Zeit war offenbar noch nicht reif. Es sollte noch sechs Jahre dauern, bis ein Dialog des Philosophen Jürgen Habermas mit Kardinal Ratzinger in München international Aufsehen erregte und eine neue Epoche für eben diesen Dialog einläutete.

Nachdem Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, hat er das Thema "Glaube und Vernunft" und die Wende vom Relativismus zum Wahrheitsbegriff zu einem Dauerthema seiner Amtszeit gemacht. Das Thema, das die Enzyklika im Herbst 1998 frühzeitig aufgebracht hatte, ist mittlerweile wieder salonfähig geworden - man denke nur an das Buch "Gott denken" des ehemals atheistischen Berliner Philosophen Holm Tetens von 2015.

Dass die Enzyklika "Fides et ratio" in ihrer Zeit zunächst nur bescheidenen Erfolg hatte, liegt aber auch an der Autorenschaft. Wahrscheinlich hätte der Inhalt schon 1998 mehr Aufsehen erregt, wenn nicht Johannes Paul II., sondern Ratzinger den Text unterzeichnet hätte - etwa als Dokument der Glaubenskongregation.

Papst galt nicht als intellektuelle Leitfigur

Der damalige Papst wurde als Charismatiker und Mystiker mit großen politischen Visionen bewundert; eine intellektuelle Leitfigur sahen in ihm nur wenige. Anders Ratzinger, den auch Atheisten damals schon als scharfsinnigen Denker respektierten. Wie groß Ratzingers Anteil an dem Text ist, bleibt im Vatikan ein gut gehütetes Geheimnis.

In Rom witzelten bei Bekanntwerden des Titels "Fides et ratio" einige Prälaten, man hätte den Text besser "Fisichella et Ratzinger" nennen sollen, denn die beiden Kärdinäle seien die Hauptautoren gewesen. Vermutlich haben auch noch der Lubliner Erzbischof Jozef Zycinski und natürlich der Papst selbst Hand angelegt. Daher ist der Text an manchen Stellen nicht so prägnant formuliert, wie es bei einem einzelnen Autor der Fall gewesen wäre.

Dennoch erscheint "Fides et ratio" - immerhin die einzige Philosophie-Enzyklika des 20. Jahrhunderts - aus der Rückschau als Meilenstein in der Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem Denken der Moderne.


Quelle:
KNA