Warum wir vor dem Wetter fast eine religiöse Ehrfurcht haben

Der große Gleichmacher

Zum Wetter hat jeder eine Meinung, jeder ist irgendwie betroffen – egal, ob die Sonne brennt oder Regen herunterpladdert. Das Gefühl, dieser Himmelsmacht ausgeliefert zu sein, verbindet Menschen ungemein.

Autor/in:
Andreas Öhler
 Ein Thermometer zeigt im Schatten knapp 33 Grad an / © Patrick Seeger (dpa)
Ein Thermometer zeigt im Schatten knapp 33 Grad an / © Patrick Seeger ( dpa )

"Jeder schimpft gegen das Wetter, aber keiner tut etwas dagegen." - In diesem launigen Satz von Mark Twain steckt bereits die ganze Ohnmacht, die unser Verhältnis zum Wetter bestimmt. Unsere Beziehung zum Wetter ähnelt - anthropologisch gesprochen - der zur Religion: In beiden Fällen glauben wir, dass über uns eine Schicksalsmacht waltet, der wir hilflos ausgeliefert sind. Immerhin kann man mit Gott einen Bund schließen, mit dem Wetter nicht. Andererseits gibt es keine Regenschirme gegen Racheengel. Man kann nur hoffen.

Segen soll vor Missernten schützen

Zwar bieten wir nicht mehr wie unsere Vorfahren einem Wettergott Opfer dar, sieht man einmal von den Regentänzen ab, die bei einigen Naturvölkern noch praktiziert werden. Aber im Erntedankfest haben sich Spurenelemente dieser archaischen Opferkultur erhalten. In der Danksagung erbitten wir auch den Segen, der uns vor zukünftigen Missernten bewahren soll.

Kein Zufall, dass sich das Wetter im Himmel zusammenbraut, der auch die Sphäre des Göttlichen ist. Was dort oben über unseren Köpfen hinweg entschieden wird, so haben wir es seit grauer Vorzeit verinnerlicht, müssen wir hinnehmen. Dass es uns aber wenigstens alle gleich trifft, wenn es hagelt, stürmt oder schneit oder wenn die Sonne uns wärmt, tröstet. In dieser Hinsicht macht uns das Wetter zu einer verschworenen Gemeinschaft, über sämtliche sozialen Unterschiede hinweg. Wir rücken zusammen wie die Herdentiere bei Unwetter.

Super für den Smalltalk

Auf keinem anderen Gebiet herrscht so viel Übereinkunft, was gut ist und was schlecht. Die Verständigung gelingt über alle Schichten weg, weil es uns wieder zu Naturwesen werden lässt, die die Folgen mehr oder weniger gemeinsam ausbaden müssen. Es gibt kaum ein geeigneteres Thema für Smalltalk.

Das Wetter ist also ähnlich dem Tod: ein großer Gleichmacher. Beide sind unabwendbar. Und gegen diese Form metaphysischer Gewalt hilft nur die Anrufung helfender Mächte. Und in beiden Fällen verlegen wir uns auf das Hoffen darauf, dass das Schlimmste abzuwenden sei.

Was wollen wir eigentlich?

Doch was ist schönes Wetter eigentlich? Blauer Himmel und Dauersonne mögen für Menschen aus kälteren Breiten erst einmal paradiesisch anmuten - für die Bewohner, die sich von den Früchten des Bodens ernähren müssen, kann die Trockenheit ihre Existenz zerstören. Und man muss nicht weit reisen, um die eigene Widersprüchlichkeit zu entdecken: Sie zeigt sich alltäglich. Wir hoffen sehnsüchtig auf Regen für unseren Garten, sind aber frustriert, wenn er uns dann den Aufenthalt im Biergarten und auf der Liegewiese vereitelt. Wir wollen Eislaufen im Winter und mokieren uns über glatte Straßen - wenn uns das Wetter nicht stets zu Diensten ist, benehmen wir uns wie lamentierende Kinder.

Aber wenn es uns das Wetter schon nicht recht machen kann, hoffen wir es wenigstens zu ergründen. Meteorologen genießen hierzulande einen höheren Stellenwert als Propheten, obwohl sich beide Berufsprofile ähneln. Die Wetterforscherin Julia Curio bekennt: "Trotz Regenradarmessung und Satellitenbeobachtung bleibt die Wettervorhersage weitgehend Spekulation." Und sie fügt hinzu: "In keiner anderen Branche trifft das Sprichwort so zu, dass der Bote für die Botschaft bestraft wird, wenn sie nicht den Erwartungen entspricht."

Wetter gottgewollt?

Wenigstens setzt sich allmählich weltweit das Bewusstsein durch, dass Klimawandel und Erderwärmung menschengemacht und nicht gottgewollt sind. Dass das Wetter nicht über uns kommt, sondern durch uns dramatisch beeinflusst wird, durch unsere Energiepolitik, unsere Urwaldrodungen, Gewässerverschmutzungen.

Als sich kürzlich die Bundesregierung auf der Zugspitze traf zu einer koalitionären Entspannungsübung, kamen die Gipfelstürmer über ein paar halbherzige klimapolitische Schritte nicht hinaus. Vor ihnen schmolz der Gletscher. So sind wir Menschen: Wir sehen im Wetter eine Bedrohung; ist die Katastrophe da, blenden wir sie aus und machen Selfies vor blauem Himmelhintergrund. Bis zum nächsten Taifun in Deutschland ...


Der Ursprung des Erntedankfests reicht bis in die vorchristliche Zeit zurück (epd)
Der Ursprung des Erntedankfests reicht bis in die vorchristliche Zeit zurück / ( epd )

Bewässerung eines Feldes / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Bewässerung eines Feldes / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Rentner / © Boris Roessler (dpa)
Rentner / © Boris Roessler ( dpa )

Ein Spatz erfrischt sich am Münsterbrunnen mit Wasser / © Patrick Seeger (dpa)
Ein Spatz erfrischt sich am Münsterbrunnen mit Wasser / © Patrick Seeger ( dpa )
Quelle:
KNA