Australien will Beichtgeheimnis bei Missbrauch kippen

Kinderschutz, Kirchenrecht und Kommissionen

Können Priester dazu verpflichtet werden das Beichtgeheimnis zu brechen, um Missbrauchsfälle aufzuklären? Diese Frage treibt derzeit Gesellschaft und Kirche in Australien um, denn hier kollidieren Kirchenrecht und politischer Wille.

Beichtstuhl in einer Kirche / © Barbara Mayrhofer (dpa)
Beichtstuhl in einer Kirche / © Barbara Mayrhofer ( dpa )

DOMRADIO.DE: Mehrere australische Bundesstaaten wollen katholische Priester per Gesetz dazu verpflichten, Fälle sexueller Übergriffe zu melden, die ihnen in einer Beichtsituation mitgeteilt wurden. Es ist kein Zufall, dass der Streit in Australien um das Beichtgeheimnis ausgerechnet in dieser Zeit entbrannt ist, sondern eine Folge des dortigen Missbrauchsskandals. Was genau war denn der Auslöser?

Anian Christoph Wimmer (Deutschland-Korrespondent der Catholic News Agency): Eine massive Welle von Missbräuchen hat das Land dermaßen erschüttert, dass die damalige Premierministerin Julia Gillard im Jahr 2013 eine "Royal Commission" eingerichtet hat. Das ist eine Kommission mit höchstrichterlichen Möglichkeiten. Die hat vier Jahre lang untersucht, wie in allen staatlichen, gesellschaftlichen und  kirchlichen Institutionen, in Sportvereinen oder beim Militär sexueller Missbrauch möglich war und stattgefunden hat. Die Kommission hat zigtausende Anrufe behandelt und tausende Zeugenaussagen gehört. Sie hat am Schluss einen ganzen Katalog von Maßnahmen vorgeschlagen.

Eine davon ist, dass das sakramentale Siegel des Beichtgeheimnisses bei Missbrauch gebrochen werden muss, wie übrigens auch das Schweigeprivileg der Ärzte oder anderer Berufsgruppen. Auch die können sich nicht mehr darauf berufen und dürfen nicht mehr schweigen. Sie müssen - und so ist die Empfehlung, die jetzt umgesetzt werden soll - Missbrauchsfälle der Polizei melden.

DOMRADIO.DE: Wo ist das Beichtgeheimnis genau in Gefahr? Sie sagen gerade nicht nur bei Klerikern solle die Schweigepflicht fallen. Und von welchen Bundesstaaten reden wir ganz genau, oder betrifft es das ganze Land?

Wimmer: Letztlich werden wahrscheinlich alle Bundesstaaten betroffen sein. Verhandelt wird gerade, ob und wie im Oktober vor allem die Bundesstaaten Südaustralien und Tasmanien, letztlich aber auch die Hauptstadtzone rund um Canberra und später auch Neusüdwales, wo auch Sydney liegt, diese Empfehlung umsetzen.

Es finden aber bereits in all diesen Staaten Gespräche mit der katholischen Kirche statt. Es wird auch auf die Argumentation der Kirche sehr stark gehört. Die sagt, dass der Schutz des Kindes und der Schutz des Beichtgeheimnisses Hand in Hand gehen. Man helfe niemandem, wenn man das Siegel breche. In Wirklichkeit - und das sagt übrigens auch ein Psychiater aus seiner praktischen Erfahrung, den die Kirche jetzt zitiert - geht ein Pädophiler, ein Kinderschänder nicht zu einem Priester zur Beichte und verübt dann seine üblen Taten nicht mehr. So findet das nicht statt.

Tatsächlich ist der Schutz eines Kindes und ist der Schutz der Gesellschaft vor solchen Tätern erst möglich, wenn diese Menschen, falls sie es je tun, überhaupt ein Gespräch suchen. Und da spielt die Kirche möglicherweise eine produktive Rolle, ähnlich wie Mediziner oder andere Einrichtungen.

DOMRADIO.DE: Haben die Argumente der Bischöfe in Australien denn ausreichendes Gewicht?

Wimmer: Das ist nicht mehr so der Fall, wie es vielleicht noch vor zehn, 20, 30 Jahren war. Schuld daran ist die Kirche selbst, denn sie hat diesen Missbrauch zugelassen, der zum Teil massiv vor allem in den Einrichtungen stattgefunden hat, in denen Kinder und Schutzbedürftige in den Händen von Vertretern der Kirche - meistens von Ordenspriestern und Ordensgeistlichen - waren und dort missbraucht wurden.

Es gibt zigtausende solcher Fälle. Sie haben die Gesellschaft nicht nur grundsätzlich erschüttert, sondern auch und gerade die Glaubwürdigkeit in der Kirche.

DOMRADIO.DE: Erbosten Eltern ist das sicher schwer zu vermitteln, dass die Kirche sagt, man stelle das Beichtgeheimnis über den Schutz der Kinder, oder?

Wimmer: Ganz genau. Die Argumentation kann zum Beispiel der Opferverband nicht nachvollziehen. Er sagt, das sei eine wichtige Maßnahme.

Umgekehrt sagen Priester, sie seien bereit ins Gefängnis zu gehen und würden das Siegel nicht brechen. Denn Priester, die das Beichtgeheimnis brechen, werden automatisch exkommuniziert. Das ist Kirchenrecht.

DOMRADIO.DE: Das klingt ausweglos. Sehen Sie denn noch einen alternativen Weg, der für beide Seiten gangbar wäre?

Wimmer: Ich gehe im Moment noch davon aus, dass sich Staat und Kirche in Einzelfällen in Tasmanien, Südaustralien und der ACT, dem australischen Hauptstadtterritorium, einigen werden müssen, ob und wie es wirklich sinnvoll ist, dass die Formulierung explizit - wie die Empfehlung der Royal Commission war - das Sakrament der Beichte erwähnt.

Auf dem Prüfstand steht, ob Priester grundsätzlich verpflichtet werden können - und dann eine Art Gewissensentscheidung treffen müssen -, ob das Gespräch, in dem möglicherweise etwas über Missbrauch mitgeteilt wurde, ein Beichtgespräch war und dem Siegel des Sakramentes obliegt oder einfach nur ein Gespräch war, wonach es dann die ganz normale "Pflicht" eines jeden Bürgers in Australien ist, das sofort den Behörden zu melden.

DOMRADIO.DE: Hat der Vatikan nicht auch Angst, dass es in Australien zum Präzedenzfall kommen könnte?

Wimmer: Wenn der Vatikan nicht Angst hat, dann sollte er sie schleunigst bekommen. Meine Beobachtung ist, dass diese Dinge, die dort gesellschaftlich aufgearbeitet werden, nicht selten auch dann nach Europa, nach Amerika und in andere westliche Regionen überschwappen können.

Ich denke, die Problematik wird sich uns - und das ist vielleicht gar nicht schlecht - in naher Zukunft auch stellen.

Das Interview führte Jann-Jakob Loos.


Anian Christoph Wimmer (privat)
Anian Christoph Wimmer / ( privat )

Priester im Beichtstuhl / © Harald Oppitz (KNA)
Priester im Beichtstuhl / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR