Das Papstschreiben und die Auswirkung auf die US-Kirche

Lagerbildung vorbeugen

Erste Kritik an dem jüngsten Papstschreiben "Gaudete et exsultate": US-Lebenschützer monieren die Formulierung, wonach das Leben der Armen und Verfolgten ebenso "heilig" sei wie das ungeborene Leben. Spaltet dies auch die US-Kirche?

Bischöfe wollen Polarisierung vermeiden / © Cristian Gennari/Siciliani (KNA)
Bischöfe wollen Polarisierung vermeiden / © Cristian Gennari/Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Warum kritisieren US-amerikanische Lebensschützer, dass Papst Franziskus das Leben der Armen und Verfolgten ebenso würdigt wie das ungeborene Leben?

Godehard Brüntrup (Jesuitenpater und USA-Experte): Zum einen muss man sagen, dass sich in der heutigen Zeit über die Sozialen Medien sehr schnell Dinge aufschaukeln, die sich bei genauerem Hinschauen auch wieder beruhigen. Aber andererseits geht durch die amerikanische Gesellschaft zurzeit ein tiefer Riss. Das liegt auch an Präsident Donald Trump.

Zwischen Demokraten und Republikanern ist die Situation unversöhnlicher als sie je zuvor war. Die Demokraten sind sehr für soziale Gerechtigkeit, aber sie haben eine ganz liberale Einstellung bezüglich der Abtreibung. Man kann das ihrer Ansicht nach eigentlich bis zum neunten Monat ohne Einschränkung tun. Die Republikaner auf der anderen Seite haben nicht gerade einen großen Erfolg, wenn es darum geht, soziale Gerechtigkeit im Land voranzubringen. Aber sie sind aus christlicher Sicht ganz stark in der Abtreibungsfrage. Der politische Konflikt zwischen diesen beiden Lagern wird nun auch in die Kirche hineingetragen.

DOMRADIO.DE: Es gibt aber auch katholische Stimmen, die das Verhalten der Abtreibungsgegner kritisieren. Jeder solle sich prüfen, ob hinter der Prioritätensetzung nicht selbstsüchtige Motive stecken, betont der Theologe und Moralethiker David Cloutier. Wie gespalten sind die Katholiken in den USA?

Brüntrup: Das wird ein bisschen von außen hereingetragen. Die Gesellschaft ist gespalten wie nie zuvor. Das wird auf die Kirche übertragen. Aber mit wenig Nachdenken kann man hier schon sehen, dass der Papst Recht hat. Man kann nicht Menschliches gegeneinander aufrechnen. Jedes Leben hat die gleiche Würde. Altes Leben, ungeborenes Leben, gefährdetes Leben. Es sterben aufgrund von Armut und Hunger genauso Menschen wie sie durch Abtreibung getötet werden. All das kann man nicht miteinander aufrechnen, weil menschliches Leben ohne jegliche Bedingung immer gleich viel wert ist.

DOMRADIO.DE: Die US-Bischofskonferenz versucht unterdessen, die erhitzten Gemüter zu beschwichtigen. Aber gibt es in dieser Frage nicht auch bei den Bischöfen Uneinigkeit?

Brüntrup: In der Akzentsetzung vielleicht, aber ich würde sagen, in der Tiefe nicht. Man möchte in Kürze in Georgetown an der Jesuitenuniversität ein Treffen anberaumen, in dem auch unter den Bischöfen die Frage der Lagerbildung in der katholischen Kirche zum Thema gemacht wird. Da geht es darum, dass sich die Kirche vielleicht aus der Polarisierung, die die gesamte Gesellschaft erfasst hat, nach Kräften herausnimmt und die Einheit bewahrt. Das ist eigentlich das Anliegen. Das finde ich vernünftig und man kann diesbezüglich nur viel Erfolg wünschen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ (privat)
Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ / ( privat )
Quelle:
DR
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