Theologin über das Gottesbild des Menschen

Zwischen gut und böse

"Und führe uns nicht in Versuchung", so heißt es im Vaterunser. Gott führe nicht in Versuchung, entgegnet Papst Franziskus und regt eine Textänderung an. Doch welches Bild haben wir eigentlich von Gott? Will er nur Gutes tun?

Auf der Suche nach Gott / © Paul Haring (KNA)
Auf der Suche nach Gott / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wir reden darüber, dass sich der Papst am Gottesbild im Vaterunser stört, weil er sagt, Gott führe nicht in Versuchung. Sie betonen, dass wir eigentlich ein anderes Gottesbild haben als die Menschen zu biblischen Zeiten. Worin liegt denn der Unterschied?

Johanna Rahner (Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Tübingen): Es gibt bestimmte Selbstverständlichkeiten, die heute nicht mehr so offensichtlich sind. Das kann man an der Versuchungsbitte sehr deutlich machen durch die Idee, dass Gott die ganze Geschichte, das ganze Leben des Menschen, ja die ganze Welt durchdringt und fast schon manipulativ in seiner Hand hält.

Das ist eine Vorstellung, die uns Menschen, die wir eigentlich in einem geschlossenen, naturwissenschaftlichen Weltbild groß geworden sind, heute nicht mehr so selbstverständlich ist, wie damals. Also dass Gott hinter allem stecken soll, ist eine Frage, die heutige Menschen zumindest befremdet, wenn es um die Frage nach dem Bösen in der Welt geht. Aber das ist etwas, was die Theologie, glaube ich, schon über Jahrhunderte hinweg verfolgt hat, nämlich dieses Hadern mit Gott, das Anfragen angesichts der konkreten, existenziellen Lebensfragen und Lebensnöte.

DOMRADIO.DE: Im Religionsunterricht in der Grundschule wurde vermittelt, dass Gott gut ist und nur Gutes will. Das heißt, es ist keine Frage, die man nur mit "Ja" oder "Nein" beantworten kann, oder?

Rahner: Das kann man schon mit "Ja" oder "Nein" beantworten. Es ist ganz richtig, was da in der Grundschule vermittelt wurde. Das ist die Grundüberzeugung eines christlichen Gottesbildes, das davon ausgeht, dass Gott den Menschen wohlwollend zugewandt ist und dass vom ihm Gutes kommt. Gleichzeitig beinhaltet die ganz normale reale Lebenserfahrung eines jeden Menschen, dass das Leben scheitern kann, dass wir Böses erfahren und dass es Leid in der Welt gibt.

Von Anfang an treibt uns die Theodizee-Frage, also die Frage nach der Güte Gottes, nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des konkret erfahrenen Leides, um. Das ist eine kritische Anfrage an unser eigenes Selbstverständnis, aber auch an unser Gottesbild. Dahinter steckt die Frage, wo eigentlich Gott ist. Die berühmte Frage Hiobs angesichts des konkret erfahrenen Leidens: "Wo ist er? Warum greift er nicht ein? Warum gibt es Leid in der Welt?"

Das ist, glaube ich, nicht erst seit der Religionskritik, sondern schon seit biblischem Zeitalter die zentrale Frage des Menschen, wie er mit Gott und seinem Glauben an Gott leben kann, angesichts der konkreten Fragen des Leidens, aber auch der Nicht-Erfahrbarkeit Gottes in der Welt. Diese Fragen bleiben.

DOMRADIO.DE: Hiob ist ein gutes Stichwort. Der Kölner Pfarrer Franz Meurer erinnerte in einem Interview bei uns daran, dass es ja zum Beispiel in der Bibel Hiob gibt, der unter Gott leidet. Gibt es nicht auch dunkle Seiten an Gott, die man nicht ignorieren darf?

Rahner: Es ist spannend, wie die Geschichte in der Bibel erzählt wird. Wir haben die berühmte Rahmenerzählung, in der man zu erklären versucht, warum Hiob eigentlich so sehr vom Leiden verfolgt wird und alles Mögliche an extremen menschlichen Situationen erfahren muss. Das ist das Spiel im Himmel, was auch Goethe in seinem "Faust" aufnimmt, wo es eben den Teufelspakt gibt. Aber das ist schon der Erklärungsversuch von Menschen dafür, wie es eigentlich passieren kann, dass einer - und dafür steht Hiob exemplarisch als Mensch -, der auf Gott vertraut und nie etwas Falsches getan hat, doch solche existentiellen Nöte in der Welt erfahren muss. Er hadert mit Gott bis in die Abgründe hinein. Er beschimpft ihn. Er leugnet ihn aber nicht. Das ist die Pointe. Er hofft, dass er eine Antwort bekommen kann. Dann kommt eine Gruppe biblischer Schriftsteller hin und sagt, dies gehe ihnen ein bisschen zu weit. Könne man so mit Gott umgehen? Dann versuchen sie das Ganze durch die Rahmenerzählung zu entschärfen.

Wenn man aber die Kernerzählung betrachtet, dann kommen die sogenannten Freunde Hiobs, die die Ursache des Leidens bei ihm suchen und fragen: "Hast du nicht doch etwas Falsches getan? Liegt es nicht doch an dir und deinem Verhalten?" Doch er antwortet: "Nein. Gott ist schuld. Und ich will eine Antwort." Das ist, glaube ich, die entscheidende Frage, dass die Bibel diese dunkle Erfahrungsseiten, das Vermissen Gottes, das existentiell an den Rand getrieben werden, von der Nichtexistenz Gottes  als der letzten Frage es Glaubens ausgehen zu können, auch zu stellen wagt.

Das ist sehr schön mit der Versuchungsbitte überein zu bringen. Und zwar nicht damit, dass Gott Böses tut, sondern dass er uns in Situationen bringen kann, bei denen wir am Ende dastehen und die Frage stellen, ob es ihn wirklich gibt. Warum ist das so? Weil er eben nicht derjenige ist, der sich demonstrativ zeigt, der ein Wunder nach dem anderen vollbringt und in die Weltgeschichte eingreift und alles dem Menschen aus der Hand nimmt und sagt, der Mensch könne es sowieso nicht, er könne es viel besser und dann manipulativ den Menschen als Marionette an seinen Schnüren zieht. So ist Gott eben nicht. Die Rückseite dieses "So ist Gott nicht" sind dann solche Situationen, die uns an den Rand der absoluten Verzweiflung führen und an die Frage der Existenz Gottes.

DOMRADIO.DE: Kann man es zusammenfassen in ein Motto: "Gott will zwar Gutes, lässt aber auch Böses zu"?

Rahner: Das ist die große Frage. Woher kommt das Böse? Wir haben keine Antwort dafür. Die Bibel sagt uns nur, man könne Gott die Frage stellen. Er ist frei und hat uns als freie Menschen geschaffen. Aber am Ende ist er uns eine Antwort auf diese Frage schuldig. Da hat Hiob vollkommen Recht. Man darf also die Frage nach dem Bösen stellen. Gott bleibt aber eine Antwort schuldig.

DOMRADIO.DE: Sollte denn Ihrer Meinung nach die Formulierung im Vaterunser geändert werden oder bleiben wie sie ist?

Rahner: Wenn man in einer Katechese, wie wir sie betrieben haben, ständig eine Erklärung hinterherschieben muss, damit ein Satz richtig verstanden wird, dann kann man zumindest kritisch die Frage stellen, ob es nicht eine angemessenere deutsche Übersetzung gibt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR
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