Bibelforscher zur Neuübersetzung des Vaterunsers

"Gott wird nicht als Monster gezeichnet"

Das Vaterunser gehört zum Herzstück des Christentums. Doch jetzt gibt es eine Debatte um die richtige Übersetzung. Stein des Anstoßes ist der Vers: "Und führe uns nicht in Versuchung." Wird Gott hier missverstanden?

Grabkreuz mit Vaterunser-Aufschrift / © Barbara Mayrhofer (KNA)
Grabkreuz mit Vaterunser-Aufschrift / © Barbara Mayrhofer ( KNA )

domradio.de: Über 50 Jahre lang wurde "Und führe uns nicht in Versuchung" gebetet. Warum soll das jetzt auf einmal in die Irre führen?

Prof. Dr. Thomas Söding (Bibelforscher, Ruhr Universität Bochum): Das führt nicht in die Irre, das zeigt nur, dass das Gebet nicht herunterleiert werden darf, sondern dass man sich mit ihm auseinandersetzen muss. Die Übersetzung ist älter als nur 50 Jahre und es ist die richtige Übersetzung des griechischen Wortlauts, der für uns die älteste Traditionsgestalt ist – das heißt, wenn man daran etwas ändern will, muss man im Grunde an der gesamten Jesus-Tradition des Neuen Testaments etwas ändern.

domradio.de: Auf Altgriechisch liest sich das genau so?

Söding: Die Übersetzung ist sehr genau im Deutschen. Man kann leichte Varianten überlegen, aber "Führe uns nicht in Versuchung" ist präzise. Es ist auch der lateinischen Bibelübersetzung entsprechend, die an dieser Stelle ebenfalls sehr genau ist. Das heißt, sie ist provokativ, sie ist herausfordernd und genau deswegen reden wir darüber.

domradio.de: Franziskus verweist auf einen Beschluss der französischen Bischöfe, die offizielle Übersetzung zu ändern. In französischen Gottesdiensten heißt es seit dem ersten Adventssonntag frei übersetzt: "Lass uns nicht in Versuchung geraten." Was halten Sie von der Übersetzung?

Söding: Das ist meines Erachtens keine Übersetzung, sondern eine Paraphrase. Man muss dazu sagen, dass es in den französischen Kirchen früher hieß: "Unterwerfe uns nicht der Versuchung" – und das wäre in der Tat ein brutales Gottesbild. Das war nötig, es zu verändern. Aber meines Erachtens hat man da des Guten zu viel getan und das Gottesbild ein wenig weichgezeichnet.

Die Sache ist ja sehr ernst. Wenn ich an Gott eine Bitte richte, so wie Jesus mich zu beten gelehrt hat, dann versuche ich Gott nicht zu etwas zu bewegen, was er nicht von sich her auch täte. So wie Jesus das in Gethsemane gebetet hat: Nicht mein Wille geschehe, sondern deiner. Das ist die Grundhaltung des Gebets. Das heißt, wenn gebetet wird "Führe uns nicht in Versuchung", ist nicht Gott als Monster gezeichnet, sondern es wird zum Ausdruck gebracht: Würdest du mich in Versuchung führen, ich würde nicht bestehen. Aber danke, dass du es nicht tust und das bringe ich dir gegenüber zum Ausdruck.

domradio.de: Franziskus geht es um das Bild von Gott als Vater. Ein Vater führt nicht in Versuchung – der Satan verführt die Menschen, meint er. 

Söding: Genau deswegen lautet die Vaterunser-Bitte so. Wenn ich bitte, versuche ich mich in den Willen Gottes einzuhören. Ich bekenne, ich selber bin schwach. Aber ich vertraue mich Gott an, dass er mich von der Versuchung bewahrt. Deswegen ist diese Bitte kein Ausdruck von Angst, sondern ein Ausdruck von Vertrauen.

domradio.de: Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer warnt hingegen vor einer "Verfälschung der Worte Jesu" und will keine Änderung. Wer hat nun Recht: der Bischof oder der Papst?

Söding: Ich denke, dass Franziskus klarstellen will, "Gott ist kein Satan". Das ist selbstverständlich. Wer so das Vaterunser gebetet hätte, wäre von vornherein auf dem Holzweg. Aber wer sich etwas intensiver mit der Spiritualität und der Ethik des Vaterunsers auseinandersetzt, erkennt, dass das nicht der Fall ist und dass es nicht einfach banal ist. Sondern man setzt sich dem Willen Gottes aus und sagt: Ich vertraue dir, du bist derjenige, der mich rettet. Ich kann mich nicht retten.

domradio.de: Sie empfehlen, dass wir bei der alten Version bleiben?

Söding: Ich empfehle dringend, dass wir bei der alten Version bleiben. Es ist die einzige Version, die auch im deutschen Sprachraum bekannt ist. Sie ist kein katholisches Sondergut – in der evangelischen und orthodoxen Kirche wird genauso gebetet. Es gibt also auch eine ökumenische Übereinstimmung und die sollte man nicht stören. Und vor allem deswegen nicht, weil die wörtliche Übersetzung immer noch die beste ist.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Prof. Dr. Thomas Söding / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Dr. Thomas Söding / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR