Der "Messias" im Wandel der Zeiten

Jesus steht nicht alleine da

Wer oder was ist eigentlich ein Messias? Die einen sehen ihn in Lionel Messi, andere in Martin Schulz. Ob Fußball oder Politik, der Messias-Vergleich ist ein gutes Beispiel für Umdeutung eines aus der Bibel stammenden Begriffs.

Autor/in:
Michael Jacquemain
Jesus, der Messias (DR)
Jesus, der Messias / ( DR )

Das Wort "Messias" stammt aus dem Hebräischen und bedeutet auf Deutsch übersetzt exakt dasselbe wie der griechische Titel Christus: der Gesalbte. Im Verlauf der Jahrtausende immer wieder verändert hat sich aber das Verständnis des Begriffs: mal dominierte die reale, irdisch-politische Dimension, dann die religiös-spirituelle.

Messias als Retter

Unabhängig von der Perspektive verbindet sich der Traum vom Messias immer mit dem Wunsch nach einer besseren Zukunft. Der Messias ist der Retter, der die Verfolgten und Unterdrückten von ihrem Joch und aus ihrer Knechtschaft befreit. Es geht "um die Hoffnung auf eine neue Wirklichkeit", wie es das Themenheft des Magazins "Welt und um Umwelt der Bibel" formuliert.

Darin beschreibt die Leipziger Religionswissenschaftlerin Christiane Altmann das heutige Messias-Phänomen am Beispiel der Berichterstattung des Magazins "Spiegel" über den früheren amerikanischen Präsidenten Barack Obama: Er verkörpert demnach "den klassischen Auf- und Abstieg" eines Gesalbten.

Der erste Schwarze in diesem Amt begann 2008 als "Menschenfänger", der Hoffnungen schürte und um den sich die Massen scharten. 2010 war er bereits der "Machtlose Messias", 2012 der "Messias a.D.". Im Vorjahr, vor Obamas Abschiedsbesuch in Deutschland, ging es nur noch um den Mann, "der einmal der Messias war", zitiert Altmann das Hamburger Magazin.

Sie betont, dass die Sehnsucht nach Erlösung nicht nur in Judentum und Christentum, sondern auch in anderen religiös-kulturellen Zusammenhängen Karriere machte. Afro-Jamaikaner etwa sahen in den 1930er-Jahren im äthiopischen Kaiser Haile Selassie den "schwarzen Messias", auch in Japan und Korea beflügeln Hoffnung auf den Retter einzelne Religionsvorstellungen.

Freigesetzte Dynamik

Der Messias, sagt Altmann, "verkörpert revolutionäre Macht". Mit der Idee einer Umwälzung der herrschenden Strukturen wird indes die etablierte Elite bedroht. Doch selbst wenn es der gelingt, den Retter zu entzaubern, "bedeutet der Abstieg selten das Ende des Traums".

Hoffnungsträger können immer "erstaunliche Dynamiken freisetzen", wie die Religionswissenschaftlerin betont.

Im frühen Judentum wird der Messias-Begriff zunächst nur für Könige und Propheten benutzt - sie werden als Ausdruck einer besonderen Nähe zu Gott gesalbt. Ab dem ersten Jahrhundert vor Christus wird mit dem Wort dann eine von Gott gesandte Rettergestalt mit politischer und übernatürlicher Macht verbunden, die aus der Dynastie des Königs David stammt.

Das Christentum interpretiert das Wort um und beschreibt es neu: Nun gehören mit Leiden, Tod und Auferstehung die zentralen Ereignisse der Osterwoche zur Messias-Vorstellung. Christus wird zum Weltenrichter, der am Ende der Tage zurückkommt. Er wird zum Bekenntnis und zum Namensgeber einer Religion, die nicht mehr nur für Israeliten, sondern für alle offen ist. Im Neuen Testament wird der jüdische Begriff Messias fast vollständig durch das griechische Wort Christus ersetzt - schon um sich abzugrenzen.

Gegenwartskultur

Dass heutzutage der Begriff fast immer losgelöst von religiösen Bezügen benutzt wird, gilt es nach den Worten des Gießener Theologen Frank Thomas Brinkmann zur Kenntnis zu nehmen: "Die Gegenwartskultur ist mächtiger als die Deutungshoheit der Theologie." Durch Gebrauch unterziehen "die heutigen User" Begriffe einer Metamorphose. Dass deren Ergebnis nicht stimmig sein muss, zeigt für Brinkmann die Nutzung des Begriffs Sünde für den Verzehr einer Sahnetorte.

Allerdings verweist der Theologe im Blick auf den Messias-Begriff auf vorangegangene Umdeutungen. Der politische Messias konnte sich im Judentum um die 1.000 Jahre halten. Dann kamen endzeitliche Züge hinzu, die das Christentum schließlich neu begründet und erweitert.

Die halten seit knapp 2.000 Jahren. "Heute hat der Messias im Alltag keine kosmische Dimension mehr", sagt Brinkmann Einen Grund hierfür sieht er in einer "Zersetzung der religiösen Sprache".

Eins aber hat sich in drei Jahrtausenden nicht verändert: Der Messias-Begriff wurde nur von Männern für sich in Anspruch genommen oder auf sie übertragen. Keine Frau trat je mit einem solchen Anspruch auf - und bis heute wird keine Politikerin mit dem Wort verbunden. Das kann wohl nur ein Messias ändern.


Quelle:
KNA