Theologe Sellmann hält mehr Christliches im Alltag für nötig

Der Glaube an der Käsetheke

Für manche Menschen ist Kirche eine Baustelle: abreißen, umbauen, aufbauen. Die Hände darf man dafür nicht in den Schoß legen,sondern man muss Christ im Alltag sein - auch an ungewöhnlichen Orten, ist ein Theologe überzeugt.

Autor/in:
Leticia Witte
Priesterweihe bedeutet Ehelosigkeit / © Harald Oppitz (KNA)
Priesterweihe bedeutet Ehelosigkeit / © Harald Oppitz ( KNA )

Priestermangel, schlaffe Predigten, wenig motivierte Gläubige: Trotz großen Engagements auf allen Seiten gibt es solche Erscheinungen. Für manche Menschen ist die Kirche eine Baustelle.

Erst kürzlich forderte der Pastoraltheologe Matthias Sellmann: "Setzen wir uns geistig den gelben Helm auf und begeben uns auf die Baustelle, die wir Kirche nennen." Das war auf einem Kongress des Zentrums für Angewandte Pastoralforschung (ZAP) in Bochum, dessen Direktor Sellmann ist. Titel der Tagung mit etwa 450 Teilnehmern: "Für eine Kirche, die Platz macht".

Kirche sei im Umbau begriffen - um im Bild zu bleiben - und müsse kreativ in die Zukunft gedacht werden, so der Theologe. Solche Fragen treiben nicht nur das ZAP um, sondern viele andere Gläubige auch. Wie werden die Kirchen wieder voll, wie lassen sich mehr Männer für den Beruf des Priesters gewinnen, welche Plätze können künftig Laien im kirchlichen Dienst einnehmen? Oder: Wie kann Kirche vor Ort präsent bleiben und sich dem allgegenwärtigen Pluralismus stellen?

Wenn es um das Thema Priestermangel geht, ist man schnell beim immer lauter werdenden Ruf nach einer Abschaffung des Pflichtzölibats.

Werbung für kirchliche Berufe

Sellmann schlägt etwas vor, das man aus der Wirtschaft kennt: entschlossene attraktive Werbung für kirchliche Berufe, wie es etwa auch Hausärzte oder das Handwerk für ihre Branchen machen. "Ob angeblich niemand mehr berufen sei, wissen wir erst, wenn wir auch im professionellen Bereich alles dafür getan haben, dass man über kirchliche Berufe informiert und von ihnen magnetisiert ist", sagt Sellmann. Seelsorger sei ein toller Beruf mit einem "großartigen Auftrag" - viel "Vertrauensvorschuss", anständige Bezahlung und freie Zeiteinteilung inklusive.

Aber: Die Herausforderung sei auch, "einfaches Christsein" nicht von einer Versorgung durch Hauptamtliche abhängig zu machen, so Sellmann. Soll heißen, "dass das Christsein von morgen sich nicht nur an guter Organisation der Kirche entscheidet, sondern auch daran, ob der Glaube den Weg in den Alltag findet". Ob er zur Lebensklugheit werde, "die sich an der Käsetheke oder beim Grillen bewährt".

Sellmann hat aber noch weitere Veränderungen im Sinn. "Die Kirche, auf die wir zugehen, wird eine sehr andere Gestalt haben als die, die wir kennen." Der Theologe sagt: "Ich gehe davon aus, dass wir andere Verwaltungsstrukturen, Führungsmodelle und Qualitätskriterien haben werden." Genauso wichtig sei aber "eine mentale Abkehr von Versorgungskategorien an der sogenannten Basis".

Kaum Entfaltungsraum für Neues

Er sei sicher, dass Nachfolge künftig anders verstanden werde. Nicht das Befolgen von Normen oder "das treue Weitermachen von pastoralen Gewohnheiten" werde im Vordergrund stehen - "so wertvoll dies auch sein mag". Es komme mitunter zu einer "Anspruchsspirale", die beide Seiten "strangulieren" könne: "Mancher Priester in den neuen großen pastoralen Räumen fühlt sich durch die überbordenden Ansprüche an ihn kreativ komplett blockiert." Und mancher engagierte Gläubige sehe keinen Entfaltungsraum für Neues. "Wir brauchen Gründerinnen und Gründer, meine ich: Nachfolge Jesu heißt heute, voranzugehen."

Ähnlich hatte sich jüngst auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, geäußert. Es werde darauf ankommen, "dass Laien selbstbewusst und eigenständig ihre Dinge in die Hand nehmen", sagte er im Deutschlandfunk. Und es erinnert an den Münsteraner Pfarrer Thomas Frings, dessen Schritt ins Kloster im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt hatte. Er wollte sich eine Auszeit nehmen, nachdem er unter anderem die Service-Erwartungen an seine Person als zu hoch empfunden hatte.

Auf Herausforderungen will das Bochumer ZAP nicht nur in seiner Forschung und Beratung, sondern auch formell mit drei neuen Professuren zu Innovation, Führung und Kommunikation reagieren.

Zuweilen hilft auch der Blick ins Ausland. "Man kann sehr viel durch internationale Begegnungen lernen", betont Sellmann. Ohnehin sei das Katholische immer länderübergreifend. Katholisch sein bedeute gerade heute, ein Weltbürger zu sein. 

Matthias Sellmann

Mattias Sellmann wurde 1966 in Neheim geboren und ging in Höxter zur Schule. 1985 machte er sein Abitur und leistete anschließend seinen Wehrdienst. Er studierte Katholische Theologie zunächst an der Universität in Paderborn, unterbrach sein Studium aber nach zwei Jahren für ein "Freiwilliges Soziales Jahr". Das verbrachte er in der Schwerst-Altenpflege im Caritas-Altenheim in Herten. 

Im Anschluss studierte er an der Universität in Bonn weiter und absolvierte dort 1994 sein Diplom in Theologie. Ein Jahr später machte er sein Examen in Sozialwissenschaften. 

Matthias Sellmann / © Julia Steinbrecht (KNA)
Matthias Sellmann / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA