Ein Kommentar zur wachsenden Fremdenfeindlichkeit

Die Grenze ist erreicht!

Brennende Flüchtlingsheime in Deutschland, Parolen auf den Straßen gegen die Aufnahme Schutzsuchender - für domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen ist jetzt eine Grenze überschritten. Ein Kommentar zur Flüchtlingsdebatte.

Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige (DR)
Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige ( DR )

So, jetzt ist Schluss mit lustig. Irgendwann ist die Grenze erreicht. Was zu viel ist, ist zu viel und der Punkt ist jetzt bei mir erreicht: Ich kann und möchte Euch ach so besorgte Retter des christlichen Abendlandes einfach nicht mehr hören. Ihr, die Ihr entlang der Balkanroute mitten in Europa einfach wieder die Grenzen hochzieht. Ihr "Wir-schaffen-das-nicht-Obergrenzenforderer" und Ihr "Wir-können-doch-nicht-alle-Flüchtlinge-der-Welt-aufnehmen-Grenzschützer". Von mir aus könnt Ihr gerne eure Kleingärten mit NATO-Draht sichern und Eure Gartenzwerge schützen, aber ich bin heil froh, dass meine Kinder ohne Grenzen in Europa aufgewachsen sind. Ich bin stolz auf das Volk, das friedlich die Todesmauer hinter sich ließ, die jahrzehntelang mitten durch Deutschland führte und die meine Kinder nur noch im Museum besichtigen können. Mir geht es dabei nicht um die Bequemlichkeit beim Reisen oder den Euro als einheitliches Zahlungsmittel: Ich bin leidenschaftlich gerne Ost-Westfale, sehr gerne auch Deutscher – aber am liebsten und aus voller Überzeugung Europäer – und erst recht stolz, als Christ einer Weltgemeinschaft anzugehören, die keine Grenzen mehr kennt.

Wo kommen wir denn hin, wenn wir in einer globalen Weltgemeinschaft im vereinten Europa jetzt wieder in die Kleinstaaterei zurückfallen? Wenn wir Kriegsflüchtlinge wie Sondermüll behandeln, der in Griechenland, der Türkei oder sonst wo entsorgt wird, aber bitte auf gar keinen Fall vor unserer Haustüre? Ja – natürlich soll Europa die Außengrenzen kontrollieren. Aber um welchen Grenzschutz geht es aktuell? Ich habe Angst vor Krieg und Terror, aber doch nicht vor einer Mutter mit ihrem Kind, die mit einem Schlauchboot Schutz vor den Bomben sucht, die Tag und Nacht ihre Heimat zerstören. Auch nicht vor einem Afrikaner, der endlich den Bürgerkrieg und den Terror hinter sich lassen will. Ich brauche in meinem Europa keine Zäune, Mauern, Gummiknüppel und Tränengas, wenn Notleidende hier bei uns Schutz suchen. Es macht mir auch keine Sorgen, wenn wir Europäer mit unseren Wohlstandsbäuchen den Hungerleidern endlich ein paar Pfunde abgeben.

Sorgen macht mir da schon eher Ihr, die Ihr Flüchtlingsheime anzündet und Polizisten wüst beschimpft, beleidigt und mit Steinen bewerft. Auch Ihr Pegida-Mitläufer bereitet mir Kummer. Nein, Ihr Lieben, Ihr seid nicht das Volk. Euch gehört nicht der Dom in Erfurt und auch nicht in Köln, denn in unseren Kirchen wohnt ein barmherziger Gott. Es ist gut, dass die kirchlichen Verantwortlichen Euch das Licht abgeschaltet haben und so ein deutliches Zeichen gegen Eure rechten und rassistischen Parolen gesetzt haben. Es ist auch gut, dass engagierte Christen auf dem Katholikentag gegen Hass und Gewalt und Fremdenfeindlichkeit ein Zeichen setzen wollen und der "Alternative für Deutschland" die rote Karte gezeigt haben. Im kleinen Kreis aber ist man gerade als Christ immer wieder dazu aufgerufen, selbst mit den völlig irregeleiteten und fast schon verlorenen Schafen im Gespräch zu bleiben. Auch wenn es schwer fällt. Selbst wenn diese mit ihren dumpfen und menschenverachtenden Parolen jegliche Grenzen des menschlichen Miteinanders immer wieder neu überschreiten. Es sei denn, man ist ein Genie und heißt Albert Einstein. Denn dieser hatte schon vor 100 Jahren nicht nur bei den Gravitationswellen recht, als er sagte: "Wer schweigt, stimmt nicht immer zu. Er hat nur manchmal keine Lust mit Idioten zu diskutieren."

Ihr

Ingo Brüggenjürgen

Chefredakteur domradio.de


Quelle:
DR