Ein Priester räumt sein Pfarrhaus für Flüchtlinge

"Einfach nur friedlich leben"

"Nordkorea Afrikas", so wird Eritrea auch genannt. Im katholischen Pfarrhaus von Haldensleben wohnen jetzt neun Eritreer, die vor dem menschenverachtenden System flohen. Der Pfarrer zog in eine WG.

 Priester und Flüchtlinge in Haldensleben (KNA)
Priester und Flüchtlinge in Haldensleben / ( KNA )

Rosen blühen vor grauen Mauern. Drei junge Männer lockern auf dem angrenzenden Beet die Erde auf. Möhren, Tomaten und Radieschen sollen hier im nächsten Jahr geerntet werden. Die Sonne knallt vom blauen Himmel, es ist heiß.

"Heiß? Gerade richtig", sagt Zewde Weldegebrial und lacht. Der 28-jährige Eritreer mag es warm. Seit vier Wochen wohnt er zusammen mit acht weiteren afrikanischen Flüchtlingen im katholischen Pfarrhaus in Haldensleben in Sachsen-Anhalt, neben der Kirche, mitten im Ort.

"Um die Armen kümmern"

Pfarrer Winfried Runge hat im Pfarrgarten den angebauten Liebstöckel geerntet - für "die selbst gekochte Kartoffelsuppe", sagt er nicht ohne Stolz. Der 47-Jährige ist ein Mann, der gern selbst zupackt, sei es in der Küche oder im Garten. Einer, der es mit Franziskus hält - Franziskus, dem Papst. Und deshalb ist er aus dem 150-Quadratmeter-Pfarrhaus plus Garten ausgezogen. Jetzt wohnt er in Althaldensleben, einem anderen Teil der Stadt - in einer Wohngemeinschaft mit seinem Diakon und dessen Frau.

"Ich wollte in Gemeinschaft leben, und ich wollte mich um die Armen kümmern", erklärt Runge. So wie Papst Franziskus es immer wieder predigt. Nach einem Aufruf des Magdeburger Bischofs Gerhard Feige an die Kirchengemeinden, sich für Flüchtlinge zu engagieren, bot der Geistliche dem Landkreis Börde sein Pfarrhaus als Bleibe für Flüchtlinge an. Statt einer engen und unpersönlichen Sammelunterkunft für hunderte Menschen ein Haus mit Zweibettzimmern, Gemeinschaftraum, Küche und Garten für neun Männer im Alter zwischen 19 und 40 Jahren.

Ein Glücksfall, findet Zewde. Er ist froh, in "einer sicheren, friedlichen Umgebung" zu sein. Sein Heimatland Eritrea verließ er, weil man dort "wie ein Sklave" leben muss. "Und wer möchte im 21. Jahrhundert schon wie ein Sklave leben?", fragt er bitter. Niemand will das. Deshalb ist Zewde geflohen, hat sich auf den weiten und lebensgefährlichen Weg übers Meer gemacht. Vor neun Monaten landete er in Italien, nach mehrtägiger Seereise.

Flucht vor einem menschenverachtenden System

Die meisten Flüchtlinge, die in unsicheren Kähnen übers Mittelmeer kommen, stammen aus Eritrea, dem "Nordkorea Afrikas", wie es auch genannt wird. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind es täglich 2.000 bis 3.000 Menschen, die Eritrea verlassen. Sie fliehen nicht vor Hunger und Krieg, sondern vor einem "menschenverachtenden System", sagt Zewde. Pressefreiheit, Meinungsfreiheit - das alles gibt es in Eritrea nicht. Zewde wollte wie viele andere dem Militärdienst entgehen, der ein Jahrzehnt dauern kann und den Männern die Zukunft nimmt - sie können keinen Beruf ergreifen, keine Familie gründen. "Ich konnte dort mein Leben nicht leben", versichert Zewde, der gern Gynäkologe werden möchte.

Auch Religionsfreiheit ist in Eritrea nur ein Traum: Zewdes Pfarrhaus-Mitbewohner, der katholische Theologiestudent Simon Okbamichael, wurde verhaftet, weil er Kinder und Jugendliche um sich sammelte, "um ihnen von Jesus zu erzählen". Als er wieder freikam, stand für ihn fest, dass er Eritrea verlassen musste, wenn er frei sein wollte.

Ein sicheres Leben

"Einfach friedlich leben", das ist es, was die beiden jungen Männer sich in Haldensleben erhoffen. Die Chancen auf Anerkennung ihres Asylbegehrens in Deutschland ist nach Einschätzung von Flüchtlingsexperten grundsätzlich sehr gut. Auch wenn es nicht allen Einwohnern in Haldensleben gefallen dürfte, wenn sie bleiben dürfen.

Flüchtlingsproteste, wie jüngst im sächsischen Meißen und Freital, gibt es bisher zwar nicht, erzählt Pfarrer Runge. Begeistert sei man von den neuen Pfarrhausbewohnern aber auch nicht. Es gibt "Gerede", das ihm zugetragen wurde - "warum die Schwarzen denn nicht arbeiten", zum Beispiel. Dass man nicht arbeiten darf, so lange das Asylverfahren läuft, wissen viele nicht.

Arbeiten - und zwar in Deutschland: Das ist ein bescheidener Wunsch. Für Zewde und Simon ist er trotzdem immer noch ein Traum.

Nina Schmedding


Quelle:
KNA