Pro Asyl fordert Reformen beim Familiennachzug

"Grundrechte gelten nicht nur für Deutsche"

Teils dauert es Jahre, bis minderjährige Geflüchtete ihre Familien nach Deutschland holen können. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl fordert deshalb eine Reform des Familiennachzugs, der von "Bürokratie und Gleichgültigkeit" geprägt ist.

Flüchtlingsrat in Berlin demonstriert mit Schild in den Händen / © Sophia Kembowski (dpa)
Flüchtlingsrat in Berlin demonstriert mit Schild in den Händen / © Sophia Kembowski ( dpa )

DOMRADIO.DE: Pro Asyl sagt, die Bundesregierung mache Geflüchteten das Leben schwer, indem sie den Familiennachzug erschwert oder ganz verhindert. Wie ist denn da die gängige Praxis?

Günter Burkhardt (Geschäftsführer Pro Asyl): Bevor jemand die Familie nachholen darf, muss jemand anerkannt sein. Als Flüchtling, als schutzberechtigt. Ein Riesenproblem ist im Moment, dass es überhaupt keine Termine bei deutschen Botschaften gibt und dass man den Antrag nicht digital stellen kann. Das klingt jetzt technisch, hat aber eine enorme Brisanz. Ein Journalist aus Afghanistan lebt hier. Er hat für eine deutsche Rundfunkanstalt gearbeitet, ist geflohen, wurde bedroht, ist anerkannt.

Jetzt wartet seine Familie seit fast zwei Jahren, nur um einen Termin zu beantragen. Nicht in Kabul, wo er herkommt, sondern in Neu-Delhi in Indien oder Islamabad in Pakistan. Mittlerweile rücken die Taliban vor. Und unseren Behörden im Auswärtigen Amt fällt nichts anderes ein, als zu sagen, sie sollen mal warten und warten und warten, bis es irgendwann einen Termin für eine Antragsstellung in Indien gebe. So als ob dort keine Pandemie wäre. So als ob die Taliban nicht vorrücken würden. Das sind einfach die Bürokratie und die Gleichgültigkeit, die mich fassungslos machen.

DOMRADIO.DE: Mal abgesehen von dem Journalisten: Was hat das für Folgen, wenn jemand hier monate- und jahrelang vergeblich darauf wartet, dass Frau und Kinder nachziehen dürfen?

Burkhardt: Es zerstört die Familien, es macht die Menschen kaputt. Sie sitzen hier, warten, sind psychisch am Ende. Wir haben zum Glück erreicht, dass die Eltern eines jungen Syrers einreisen durften mit seinen Geschwistern. Der war zehn, als er 2015 mit seinem Onkel hier herfloh. Man kann ja nicht einfach so hierher kommen.

Dann haben die Deutschen für Kriegsflüchtlinge das Recht auf Familiennachzug ausgesetzt, verzögert. Dann waren es nur 1.000 pro Monat, die kommen dürfen. Und dann hat man am Schluss gesagt: Naja, jetzt entscheide dich mal, kommt der Vater oder kommt die Mutter? Die dürfen zwar alle beide kommen, nicht aber seine Geschwister. Und welche Eltern lassen die anderen Kinder alleinin der Türkei zurück? Damit ist das eine Endlosschleife, wo der arme Junge jetzt sechs Jahre gewartet hat, bis er und Vater, Mutter, Geschwister wieder zusammen sind. Das ist ein Produkt der schwarz-roten Regierung. Das ist ein Produkt von unbarmherzigen Gesetzen, die ein Grundrecht verletzen, das nicht nur für Deutsche gilt.

DOMRADIO.DE: Ende September wird gewählt. Was sind denn Ihre Forderungen an die neue Regierung? Wie sollte ein menschlicher Familiennachzug geregelt sein?

Burkhardt: Wir müssen Grundrechte ernst nehmen. Das Recht, als Familie zusammenzuleben, ist kein deutsches Recht, es ist ein Grundrecht. Und wenn die Union jetzt in ihrem Wahlprogramm formuliert, dass sie die Partei ist, die für Familien eintritt, dann muss sie endlich das tun, was sie verspricht. Sie sagt nämlich wörtlich: Familienfreundlichkeit ist Markenzeichen einer jeden unionsgeführten Bundesregierung. Das bezieht sich nicht auf die Geflüchteten, aber ein Grundrecht auf Familie, das gilt nicht nur für Deutsche. Diese Grundrechte in Deutschland gelten für alle Menschen, die dauerhaft hier leben und da appelieren wir an die Union, ihre Politik zu ändern, ihre Haltung zu überdenken. Und wir wollen, dass Grundrechte in Deutschland eingelöst werden und gelten. Da ist eine Menge zu tun.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl / © Christoph Schmidt (dpa)
Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl / © Christoph Schmidt ( dpa )
Quelle:
DR