Warum der Einsatz der "Sea-Watch 4" auch ein politisches Zeichen ist

"Unser Schiff soll Druck machen"

Das Rettungschiff "Sea-Watch 4" ist nun unterwegs. Der Einsatz wäre aber nicht nötig, wenn die EU-Staaten eine gemeinsame Linie bei der Flüchtlingspolitik fänden, kritisiert der Grünen-Politiker Sven Giegold, der das Schiff mit initiiert hat. 

Die "Sea-Watch 4" / © Chris Grodotzki/MSF (dpa)
Die "Sea-Watch 4" / © Chris Grodotzki/MSF ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die "Sea-Watch 4" ist nun ausgelaufen. Was geht da in Ihnen vor?

Sven Giegold MdEP (Bündnis 90/Die Grünen): Das war ein Moment, der mich ganz tief berührt hat, als ich den Reisesegen von unseren Bischöfen gesehen habe. Es war wirklich Rekordgeschwindigkeit für die Kirche, innerhalb eines guten Jahres dieses Schiff auf Basis einer Laieninitiative in Marsch zu setzen. Ich hoffe, dass es jetzt Leben retten wird. Und noch wichtiger, dass es dazu beiträgt, dass die Ursachen für diese Schiffsüberfahrten endlich durch eine faire Flüchtlings- und Migrationspolitik in Europa beseitigt werden.

DOMRADIO.DE: "Sea-Watch 4" ist damit im Moment das einzige zivile Rettungsschiff im Mittelmeer. Warum?

Giegold: Leider liegen die anderen Rettungsschiffe derzeit an der Kette. Unter häufig fadenscheinigen Begründungen werden die Schiffe nicht fahren gelassen. Das bedeutet auch, dass faktisch in wichtigen Bereichen keine Seenotrettung derzeit stattfindet. Damit sind die Risiken für die Flüchtlinge ungleich höher, wenn sie das Mittelmeer überqueren.

Gerade jetzt sind wieder sehr viele Boote unterwegs, was auch zeigt, dass es keineswegs so ist, dass die Flüchtlinge dann losfahren, wenn Rettungsboote da sind. Sondern die Menschen sind in so verzweifelter Situation, dass sie losfahren, auch wenn es eben keine Rettungsschiffe auf dem Wasser gibt.

DOMRADIO.DE: Warum mischt sich die Kirche denn in das Seenotrettungsgeschäft ein?

Giegold: Es handelt sich hier keineswegs um ein Geschäft, sondern es sind Menschen in Not, die auf dem Mittelmeer, an unseren Außengrenzen, zu Tausenden zu Tode gekommen sind, weil es für Menschen auf der Flucht praktisch keinen sicheren Weg gibt, hierher zu kommen. Das ist kein Geschäft, sondern einfach das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Deshalb ist diese Rettung so notwendig.

Das ist eigentlich eine staatliche Aufgabe. Aber der Staat hat sich zurückgezogen. Es gab ja die große EU-Mission "Sophia". Derzeit gibt es keine richtige Seenotrettung. Auf diesen Missstand weisen wir mit unserem Schiff hin, das ja eine große ökumenische Initiative von 580 Organisationen ist, christlichen, aber auch Unternehmen und anderen Nichtregierungsorganisationen. Dieses Schiff ist von unserer Kirche initiiert, aber breit getragen.

DOMRADIO.DE: Hat denn da jeder mit an einem Strang gezogen und gesagt: Das ist wunderbar, wir tragen das alle mit?

Giegold: Das Bündnis wurde ja nur von denen auf die Beine gestellt, die das wollen. Das größte Gründungsmitglied ist die EKD (Evangelische Kirche in Deutschland, Anm. d. Red.). Und in der EKD gab es natürlich Diskussionen. Auf dem Kirchentag gab es bei unserer Resolution einige Enthaltungen, aber hunderte von Zustimmungen. Ähnlich war es in der Synode. Dort gab es Diskussionen, und am Ende haben sich vier Personen enthalten. Das zeigt ja schon die große Entschiedenheit.

Jetzt wissen wir natürlich, dass es Menschen gibt, die keine entsprechende Flüchtlingspolitik wollen, sondern der Meinung sind, die Grenzen sollten zu sein. Es seien sowieso schon zu viele Ausländer da. Das wissen wir. Und es gibt auch Kirchenmitglieder, die so denken. Aber unter den engagierten Christinnen und Christen, die auch große Teile der Flüchtlingsarbeit in Deutschland tragen, gibt es sehr viel Unterstützung für dieses Projekt.

DOMRADIO.DE: Nun gibt es das Gegenargument, dass Aktionen wie "United4Rescue" mit der "Sea-Watch 4" die Menschen nur ermutigen, nach Europa zu kommen. Ist das Argument aus der Luft gegriffen?

Giegold: Wie gesagt, das stimmt einfach nicht. Die Menschen sind in verzweifelter Situation. Sie werden derzeit zum Teil nach Libyen zurückgeschickt. In Libyen ist die Unterbringung von Flüchtlingen häufig einfach folterartig und gefängnisartig. Das hat mit irgendeiner Sicherheit nichts zu tun. Die Leute werden sich auf den Weg machen, wann immer sie können und tun es auch. Auch wenn keine Rettungshelfer unterwegs sind.

Und das zeigt eben, dass es hier keine direkte Beziehung gibt und schon gar nicht, wie immer wieder verschwörungstheoretisch behauptet wird, dass es Absprachen zwischen den Rettungsbooten und den Schleppern gäbe. Das stimmt schlicht nicht. Vielmehr sind die Rettungsboote da, weil Menschen so verzweifelt sind, sich auf diese gefährliche Fahrt zu begeben.

DOMRADIO.DE: Nun sitzen Sie als Grünen-Abgeordneter auch im Europaparlament. Gibt es denn da aktuell eine Aussicht auf eine Einigung, dass man ein gemeinsames Vorgehen in diesem Thema findet?

Giegold: Eigentlich ist das eine politische Aufgabe. Dieses Schiff und dass die moralische Kraft der Kirche mobilisiert werden muss, ist auch ein Stück Verzweiflung darüber, dass wir es politisch derzeit nicht geschafft haben. Im Europaparlament gibt es eine breite Mehrheit für eine faire und solidarische Flüchtlings- und Migrationspolitik in Europa, die von der Linkspartei über die christdemokratischen Parteien, die Sozialdemokratie, die Liberalen bis zu uns Grünen reicht. Dafür haben wir eine breite Mehrheit. Die Mitgliedsländer schaffen es nur nicht, eine gemeinsame Position zu formulieren.

Herr Seehofer hat zwar immer wieder gesagt, er wird versuchen, eine Mehrheit im Rat für eine eigene Position zu finden, damit wir dann über ein neues Gesetz verhandeln können, aber er hat es nicht geschafft. Das ist der Grund, warum unsere Probleme nicht gelöst sind. Unser Schiff soll Druck machen, um zu zeigen: Wir erwarten eine politische Lösung. Und wenn die nicht möglich ist, müssen sich Länder wie Deutschland und andere, die an einer fairen Flüchtling- und Migrationspolitik Interesse haben, zusammentun und eine Lösung finden. Aber das Sterben ist unerträglich.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Sven Giegold / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Sven Giegold / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR
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