EKD-Migrationsexperte setzt auf deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Das Sterben im Mittelmeer stoppen und Krisenregionen helfen

Menschen aus Seenot retten und Flüchtlinge in der EU verteilen: Der EKD-Migrationsexperte Manfred Rekowski hofft, dass die Bundesregierung ihre EU-Ratspräsidentschaft nutzt, um Bewegung in die europäische Flüchtlingspolitik zu bringen.

Flüchtlinge auf Lesbos / © Filip Singer (dpa)
Flüchtlinge auf Lesbos / © Filip Singer ( dpa )

epd: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zum Auftakt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Europas Verantwortung in der Welt als ein zentrales Thema genannt. Was erwarten Sie mit Blick auf die Migrations- und Flüchtlingspolitik vom deutschen EU-Ratsvorsitz?

Manfred Rekowski (Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland / EKD): Ich habe als Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) immer wieder darauf hingewiesen, dass das Thema Flucht ein Weltproblem ist.

Deshalb ist ein abgestimmtes europäisches Handeln notwendig. Dass die deutsche Ratspräsidentschaft hier Bewegung erzeugen will, die humanitäre Lösungen erleichtert und ermöglicht, ist ein sehr positives Vorzeichen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hat sich zuversichtlich gezeigt, dass Fortschritte erzielt werden können. Am Ende wird man natürlich auf die Ergebnisse schauen müssen.

epd: Eine Kernfrage ist die Verteilung von Flüchtlingen - daran wollen sich noch immer nicht alle EU-Staaten beteiligen.

Rekowski: Es scheint in der Tat sehr schwer zu sein, in diesem Punkt Fortschritte zu erreichen. Angesichts der dramatischen Situation im Mittelmeer und in Griechenland muss aber Bewegung in dieses Thema kommen. Jedes Bemühen, humanitäre Lösungen zu ermöglichen und das Sterben im Mittelmeer zu verhindern, verdient unsere Unterstützung.

epd: Das Sterben im Mittelmeer zu verhindern heißt auch Bootsflüchtlinge zu retten. Das passiert immer seltener: Vor einigen Tagen haben die italienischen Behörden das deutsche Rettungsschiff "Sea-Watch 3" festgesetzt, angeblich wegen technischer und operativer Mängel.

Rekowski: Die Frage der Seenotrettung beschäftigt mich seit Jahren intensiv. In Malta habe ich 2018 persönlich erlebt, wie Rettungsschiffe an ihrer Mission gehindert werden. Auch dieser jüngste Fall wirkt auf mich so, als sollte die humanitäre Aktion der Rettung von Menschen behindert werden. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass der Umgang mit den Geretteten ungeklärt ist: Wo werden sie untergebracht, wie werden sie in Europa verteilt? Hier stecken wir aktuell weiter in einer Sackgasse. Trotzdem: Ich halte es für erforderlich, dass zur Rettung von Menschen in Seenot alles Menschenmögliche geschieht.

epd: Die evangelische Kirche will sich daran mit dem zivilen Rettungsschiff "Sea-Watch 4" aktiv beteiligen, das sie maßgeblich initiiert hat. Wann soll es seine Mission starten?

Rekowski: Der Beginn der Rettungsmission hat sich Corona-bedingt verzögert. Aber wir hoffen, dass das Schiff des Bündnisses "United4Rescue" seine Aufgabe ab Anfang August wahrnehmen kann.

Seenotrettung ist ja kein Selbstzweck, sondern es geht darum, Menschen, die auf der Flucht sind, vor dem Ertrinken zu bewahren. Die EKD hat deshalb sehr bewusst entschieden, sich daran aktiv zu beteiligen.

epd: Deutschland will aus griechischen Lagern einige hundert weitere behandlungsbedürftige Kinder und ihre Familien aufnehmen. Ist das ein Vorbild, das Europa braucht, oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Rekowski: Ich sehe noch nicht, dass sich die Situation der Menschen in den griechischen Lagern grundsätzlich geändert hat - insbesondere die Lage von besonders verletzlichen Personengruppen wie Familien, Frauen und Minderjährige. Insofern ist die Ankündigung der Bundesregierung nicht die große Lösung. Aber in humanitären Fragen ist jeder kleine Schritt und jede Einzelfall-Lösung wichtig und gut.

Gleichwohl müssen wir immer wieder daran erinnern, dass das Problem deutlich größer ist und wir auch grundlegende Lösungen brauchen.

epd: EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat angekündigt, Europol und die EU-Grenzschutzagentur Frontex zu stärken - ist das der richtige Weg?

Rekowski: Ich betrachte solche Vorschläge eher zurückhaltend und skeptisch. Mit ihnen verbindet sich oft die Strategie, nicht Fluchtursachen zu bekämpfen, sondern Menschen, die auf der Flucht sind. Sie sollen daran gehindert werden, Europa zu erreichen. Das darf aber nicht unser Hauptziel sein. Sondern es geht darum, humanitäre Lösungen zu finden.

epd: Sind Sie weniger skeptisch im Blick auf den Vorschlag, Libyen, Algerien und Tunesien durch eine engere Zusammenarbeit dazu zu bringen, dass sie weniger Menschen nach Europa kommen lassen?

Rekowski: Auch dieses Ansinnen ist aus meiner Sicht kein wirklicher Beitrag zur Lösung des Weltproblems Flucht, weil es in der Regel darauf abzielt, die Flüchtlinge aus unserem Blick zu bringen und sie von Europa fernzuhalten. Das ist nicht das, was nach unserem christlichen Verständnis geboten ist. Wir müssen uns mit dem Schicksal von Menschen auf der Flucht intensiv befassen und versuchen, ihre oft erbärmliche Situation substanziell zu verändern.

Da sind Europa und die Weltgemeinschaft gefragt - einzelne Mittelmeer-Anrainerstaaten kommen hier an Grenzen. Es bedarf eines grundlegend anderen Ansatzes.

epd: Was wären denn die wichtigsten Ansätze zur Lösung des "Weltproblems Flucht"?

Rekowski: Von den rund 80 Millionen Flüchtlingen, die weltweit unterwegs sind, fliehen drei Viertel in Nachbarstaaten. Das heißt, sie bleiben zunächst heimatnah. Deshalb müssten die Nachbarstaaten von Krisenländern intensiv unterstützt werden. Dort müssten Bedingungen geschaffen werden, dass sich Menschen nicht auf lebensgefährliche Fluchtwege in weiter entfernte Regionen begeben müssen.

epd: Was halten Sie von den Rückkehrprogrammen für Migranten? Nach einer Studie von "Brot für die Welt" und "medico international" erfolgt die Teilnahme an solchen Programmen oftmals nicht freiwillig.

Rekowski: Wenn Menschen in Deutschland keine Bleibeperspektive haben, ist es zunächst durchaus richtig, möglichst auf eine freiwillige Rückkehr zu setzen. Bei diesen Programmen gibt es aber auch Probleme und Verstöße gegen humanitäre Regeln. Die Betroffenen dürfen auf keinen Fall alleingelassen werden. Wir müssen auch verhindern, dass sie in eine ausweglose oder gefährliche Situation abgeschoben werden.

Das Interview führte Ingo Lehnick.


Manfred Rekowski / © Harald Oppitz (KNA)
Manfred Rekowski / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
epd
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